Berlin. Howard Carpendale spricht im Interview über Weihnachten trotz Corona, gute Schlager und warum er den Stil der Queen of Pop nicht mag.

„Happy Christmas“ heißt das Weihnachtsalbum von Howard Carpendale (75), das er zusammen mit dem Londoner Royal Philharmonic Orchestra aufgenommen hat. Mit Evergreens wie „Rockin’ Around The Christmas Tree“ oder „White Christmas“ erinnert es angenehm an Zeiten, als vor dem Fest noch über das Pro und Wider von Lametta diskutiert wurde statt über 2G oder 3G.

Unsere Redaktion erlebte am Telefon einen nachdenklichen Carpendale, der mit dem Zustand der Welt hadert.

Herr Carpendale, warum ein Weihnachtsalbum? Sicher, es ist Weihnachten, aber die Konkurrenz ist doch schon so groß.

Howard Carpendale: Es war eine einzigartige Möglichkeit, mit dem ­hervorragenden Philharmonic-Orchester zu arbeiten. Was dadurch entstanden ist, ist etwas ganz Besonderes.

Ruft man dann bei so einem Orchester an und fragt: Hey Leute, habt ihr Zeit?

Carpendale: Das hat meine Plattenfirma gemacht. Die muss dafür bezahlen. Das war nicht billig, glaube ich.

Der Musiker Howard Carpendale: „Es heißt, man soll optimistisch sein. Aber manchmal ist auch Zeit für Realismus.“
Der Musiker Howard Carpendale: „Es heißt, man soll optimistisch sein. Aber manchmal ist auch Zeit für Realismus.“ © dpa | Jan Woitas

Verdient man denn an so einem Album überhaupt? Das Geld bekommen doch die Komponisten oder Rechteinhaber der Weihnachtslieder.

Carpendale: Sie werden es mir nicht glauben, aber ich bin jetzt ehrlich zu Ihnen. Die Leute haben verdammt schwere Zeiten hinter sich. Ich auch, aber meine waren bestimmt weniger schwer als das, was viele andere durchgemacht haben. Da geht es mir nicht um einen Hit. Zu geben ist mir wichtiger.

Was war denn für Sie persönlich das Schwerste an der Zeit?

Carpendale: Ich wäre gerne aufgetreten, wir hatten große Pläne. Natürlich hätte ich meine Familie gerne öfter gesehen und meinen Enkel öfter auf den Arm genommen. Mein Sohn Wayne passt schon sehr auf. Er war immer sehr besorgt, wenn wir zu ihm kamen, denn wenn man es zu leichtnimmt, kann man jemanden aus seiner eigenen Familie infizieren. Wir waren zwei Jahre sehr diszipliniert. Das Wichtigste ist, dass wir jetzt zu Weihnachten alle wieder zusammenkommen. Das Problem ist zwar noch nicht vorbei, aber ich denke, mit 2G kann man sich halbwegs sicher fühlen.

Kommt auch Ihr Sohn aus den USA?

Carpendale: Das ist leider nicht möglich, aber wir werden skypen.

Ausgerechnet aus Ihrer alten Heimat kommt die neue Virusvariante. Haben Sie noch einen Bezug zu Südafrika?

Carpendale: Abgesehen davon, dass ich da ein paar Verwandte habe: Südafrika ist für mich passé. Dieses Land hat eine große Chance verpasst. Wir haben eines der schönsten Länder der Welt – und es ist ruiniert.

Sie treten in einer Impfkampagne auf. Kennen Sie persönlich Impfgegner?

Carpendale: Ja, und ich kann die Skepsis auch verstehen, etwa bei einem 30-Jährigen, der sich topfit fühlt. Aber manchmal muss man sich in einem Land auch solidarisch zeigen. Es kommt ja nicht allzu oft vor.

Warum lieben die Leute Sie seit vielen Jahrzehnten?

Carpendale: Ich habe es über die Jahre geschafft, die Richtung meiner Musik immer wieder zu ändern. Ich weiß nicht genau, was die Definition von einem Schlager ist. Ich habe diese Schublade nie ernst genommen. Ich mache die Musik, die mir gefällt, und manchmal ist das möglicherweise ein sehr schlagerhafter Titel. Schlager heißt ja eigentlich nur, dass es ein Hit ist. Und als junger Mann wollte ich schon Hits haben.

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Das Publikum ist verwöhnter geworden, seit Helene Fischer Megashows macht.

Carpendale: Wie alles kommt auch das aus Amerika. Helene hat als Erste gemacht, was in Amerika durch Cirque du Soleil und so weiter gang und gäbe war. Das haben die deutschen Schlagerfans bis dato nie gesehen. Und das war ein sehr großer Teil ihres Erfolges. Sie ist auch sehr sympathisch, sie sieht toll aus, sie singt wunderbar und kann das gekoppelt mit Akrobatik. Das war in Deutschland etwas ganz Neues. Es ist sicherlich ein Trend da zu diesen Events. Ich persönlich würde lieber in einer ausverkauften 3000er-Halle auftreten als in einer großen Arena, weil ich das Publikum spüren will.

Es gibt ja auch den Gegentrend. Bruce Springsteen tritt am Broadway auf, Madonna spielte Theater.

Carpendale: Madonna ist nun nicht so mein Fall. Sie hat mal gute Musik gemacht, aber für eine Dame ihres Alters präsentiert sie sich auf eine Art, die ich nicht gut finde.

Sie meinen, sie müsste nicht immerzu den Busen zeigen?

Carpendale: Zum Beispiel. Ich bin sicher, dass es vor 100 Jahren schon Busen gab. So unglaublich ist das nicht.

In Ihren Liedern geht es immer um Gefühle. Was geht Ihnen nahe?

Carpendale: Ich frage mich, was unsere Familie von bald acht Milliarden Menschen mit dieser Welt macht. Es tut schon weh. Aber wir sind alle schuld daran, ich schließe mich da nicht aus. Jetzt hoffe ich, dass das Gespräch nicht zu sehr eine negative Richtung bekommen hat. Es heißt, man soll optimistisch sein. Aber manchmal ist auch Zeit für Realismus.