Wien. Von dem Tiroler Skiort breitete sich das Coronavirus in alle Länder aus. Hinterbliebene von Skifahrern beschuldigen die Behörden.
Für eine Gemeinde mit 1600 Einwohnern steht Ischgl erstaunlich oft im weltweiten Interesse. Das ehemalige Bergbauerndorf ist ein berühmter Skiort, Prominente wie Thomas Gottschalk, Bill Clinton oder Rihanna genießen den Aufenthalt in den Luxushotels. Legendär sind die Partys nach der Piste im „Ibiza der Alpen“.
Im Frühjahr 2020 aber machten genau diese ausgelassenen Après-Ski-Feiern Negativschlagzeilen. Plötzlich war Ischgl Europas erster Corona-Hotspot. 6000 infizierte Ischgl-Heimkehrer meldeten sich bei den Behörden, der Kläger spricht von insgesamt 11.000 Infizierten.
Après-Ski-Partys hat Hannes Schopf (72), Journalist im Ruhestand, nicht im Sinn, als er mit einer Reisegruppe einen kurzen Urlaub in dem Ferienort in Tirol macht – er springt für einen Bekannten ein. Schopf ist leidenschaftlicher Skifahrer.
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Ischgl-Witwe: Sieglinde Schopf klagt Österreichs Behörden an
Nachdem sein Corona-Test positiv ausfällt, geht er in seinem Hotel in Quarantäne. Vier Tage später schleppt er sich mit fast 40 Grad Fieber zum Rettungswagen. Zwei Wochen später stirbt er in der Klinik.
„Ich hatte keine Möglichkeit mehr, mich von ihm zu verabschieden – das war nach der Obduktion nicht mehr möglich“, sagte seine Witwe Sieglinde Schopf dem Magazin „News“. Sie ist zusammen mit ihrem Sohn eine der Hauptklägerinnen im Prozess, ihr Fall ist Freitag in Wien verhandelt worden.
Die beiden werfen den Behörden schwere Fehler vor, die Abreise sei viel zu spät und chaotisch erfolgt. Sie fordern 100.000 Euro Schadenersatz, das Geld wollen sie spenden.
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Die Abreise vollzog sich chaotisch – Schuld der Behörden?
Laut Klägeranwalt Alexander Klauser hätten die Ämter aus wirtschaftlichen Überlegungen keine ausreichenden Gesundheitsmaßnahmen festgelegt. Außerdem habe Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am 13. März eine Quarantäne für Ischgl ohne Vorbereitungszeit verkündet. Tausende Urlauber seien dadurch chaotisch und dicht an dicht gedrängt geflohen. Kommentar: Nach Ischgl: Es braucht neue Anreize im Kampf gegen Corona!
„Wer sich noch nicht in der Woche davor mit dem Coronavirus infiziert hatte, infizierte sich jetzt in überfüllten Pkws und Skibussen“, sagt der Jurist. Auf diesem Wege dürfte sich auch Hannes Schopf mit Sars-CoV-2 angesteckt haben. Er saß auf der Rückreise in einem Bus mit hustenden und niesenden Ischgl-Urlaubern. Taxis fuhren gar nicht mehr in das Gebiet.
Der Staat Österreich bleibt hart – und lehnt einen Vergleich ab
Klauser schlug eine dreimonatige Pause des zivilrechtlichen Prozesses vor. In dieser Zeit würde sich herausstellen, ob die Staatsanwaltschaft Innsbruck wegen der Causa Ischgl strafrechtliche Anklagen gegen Behördenvertreter erheben werde. Doch die Richterin wies ihn ab. Da alle relevanten Informationen über das Handeln der Behörden bekannt seien, schloss sie das Verfahren und kündigte ein schriftliches Urteil in einigen Tagen an.
Der Staat Österreich jedenfalls bleibt hart: Eine einvernehmliche Lösung und Vergleichsverhandlungen lehnt er ab. Die Republik vertritt die Auffassung, dass Regierung und Behörden mit dem damaligem Wissen über das Virus richtig handelten und die Klage deshalb grundlos ist.
Die Gegenseite sieht mindestens eine Mitschuld beim Verstorbenen
Stattdessen stellen sie ein „Allein- bzw. Mitverschulden des Verstorbenen“ fest, heißt es in einer Stellungnahme der Finanzprokuratur, so heißt in Österreich die Dienststelle, die die Republik juristisch vertritt. Er habe nämlich vom Virus und sogar von Todesfällen in Italien gewusst und sich „bewusst entschieden, die Reise anzutreten“.
In den kommenden Wochen erwartet auch die Deutsche Dörte Sittig aus der Nähe von Köln ihren Gerichtstermin in Wien. Schon am Freitag beobachtete die Partnerin eines verstorbenen Wintersportlers vor Ort den ersten Prozess.
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Die Kläger erwarten ein Schuldeingeständnis der Behörden
Sie wolle hauptsächlich ein Schuldeingeständnis des Staats, sagt sie. „Ich erwarte einfach, dass man sagt: Da haben wir nicht rechtzeitig reagiert.“ Ein Dutzend weitere Klagen werden noch verhandelt.
Für Ulrich Schopf, Sohn des Toten, geht es nicht ums Geld – falls seine Mutter und er welches bekommen, wollen sie es spenden. Doch darum zu kämpfen, das sei er seinem Vater schuldig, sagt der Lehrer. „Da geht es um Präsenz auch für diejenigen, die sie nicht mehr zeigen können.“ Was er sich vom Urteil erhofft? „Gerechtigkeit. Wenn ich einen Fehler mache, und das kann jedem passieren, dann stehe ich dazu!“ (mit dpa)