Essen. Film-Star Iris Berben spricht im Interview über ihr Alter, über die junge Generation und warum sie sich wie eine 18-Jährige fühlt.

Der letzte große Auftritt von Iris Berben hatte nur indirekt einen filmischen Anlass. Beim Festival von Cannes war die 70-Jährige im Auftrag eines Kosmetikkonzerns unterwegs.

Doch sie nutzte diese Plattform, um über gesellschaftliche Themen zu sprechen, die sie akut bewegen – und dabei auch ihre eigene Befindlichkeit in einer Zeit voll gravierender Umbrüche zu reflektieren.

Immerhin: Nächstes Jahr könnte sie auch in anderer Funktion an die Croisette kommen. Ruben Östlunds „Triangle of Sadness“, den sie letztes Jahr drehte, wird als sicherer Wettbewerbsfilm für 2022 gehandelt.

Botschafterin in Cannes: Iris Berben trägt ein Kleid mit der Aufschrift „Plus forts ensemble“ (Stärker zusammen).
Botschafterin in Cannes: Iris Berben trägt ein Kleid mit der Aufschrift „Plus forts ensemble“ (Stärker zusammen). © Getty Images | Pascal Le Segretain

Bei Ihrem Auftritt auf dem roten Teppich in Cannes trugen Sie ein Kleid mit der Aufschrift „Stärker zusammen“. Ist denn in den letzten Monaten ein neuer Gemeinschaftsgeist unter Künstlern entstanden?

Iris Berben: Meines Erachtens hat sich das Bewusstsein, dass wir solidarisch sein müssen, in unserer Branche verstärkt. Das hat sich auch immer wieder in den Unterstützungsaufrufen an die Politik gezeigt. Kultur ist eben nicht das Sahnehäubchen auf einem Lebensalltag.

Ob Musik, bildende Kunst, Filme oder Literatur, das verbindet Menschen. Doch viele Kollegen müssen weiterhin strampeln, vor allem wenn sie ihren Lebensunterhalt durch einen Extrajob sichern mussten, der jetzt weggefallen ist.

Es wird viel zu tun geben, um allen gerecht zu werden, das ist eine große politische und gesellschaftliche Aufgabe. Und der Teil der Künstler, der arbeiten konnte, muss sich jetzt den Kolleginnen und Kollegen stellen, die dieses Glück nicht hatten.

In einem unserer letzten Gespräche meinten Sie, dass Sie vom Leben erstaunt werden wollten. Sehen Sie das nach dem Corona-Schock jetzt anders?

Berben: Nein. Natürlich gibt es schmerzhafte Erkenntnisse, gerade wenn es um so viele persönliche Schicksale geht. Aber ich finde auch, dass ein längst begonnener Wechsel durch die Pandemie befördert wurde. Ich will dieser nichts Positives abgewinnen, das wäre zynisch, aber bestimmte Tendenzen wurden verstärkt.

Wir haben eine kraftvolle junge Generation, die Forderungen stellt, die jetzt auf der Agenda sämtlicher unterschiedlicher politischer Parteien stehen. Und wir müssen mit diesen Veränderungen umgehen lernen. Wir dürfen die Menschen mit ihren Ängsten vor Erneuerung und Veränderung nicht alleine lassen. Denn ansonsten fallen sie den falschen Leuten in die Hände.

Die Veränderungen finden ja auf verschiedensten Ebenen statt – bis hin zur Sprache. Wie nehmen Sie das wahr?

Berben: Die Forderungen, die so massiv kommen, sind notwendig. Das wissen wir. Wir sollten dabei nicht vergessen, worum es inhaltlich geht: Dass Menschen ausgegrenzt wurden, dass man Menschen verletzt hat. Es gibt Wichtigeres, als das nur an der Sprache festzumachen.

Wir sollten die Menschen nicht mit neuen Verordnungen verschrecken, sondern eben am Inhalt dessen arbeiten, was wir verändern müssen: Respekt und Akzeptanz gegenüber anderen Lebensformen. Darum geht es doch und darauf kommt es an. Die Sprache wird sich dann automatisch verändern. Das muss man nicht so brachial einfordern, das mag ich nicht.

Aber Sie können die junge Generation im Prinzip verstehen?

Berben: Ja, ich war in den 60er-Jahren auch so radikal, und heute sitze ich da und sage ‚Seid nicht ganz so radikal.‘ Ich glaube, dass man immer erstmal das Pendel sehr weit ausschlagen lassen muss, um einen Nutzen zu haben.

Und Sie sehen die generelle gesellschaftliche Entwicklung optimistisch?

Berben: Ja, die Welt wird sich neu ordnen. Und man wird so vieles überdenken. Es ist schon längst der Weg geebnet. Wir in Deutschland sind nur ein bisschen schwerfällig. Ich muss da beispielsweise an die Digitalisierung denken. Früher waren wir immer Vorreiter, und jetzt sind wir Schlafmützen.

Für Ihren eigenen Weg müssen Sie sich ja wohl keine Sorgen machen. Sogar Ihre internationale Karriere kommt wieder in Gang, nachdem Sie unlängst mit dem früheren Cannes-Gewinner Ruben Östlund drehten. War das so geplant?

Berben: Ich habe immer die Sachen auf mich zukommen lassen. Ich habe nicht gesagt: ‚Ich müsste durch diese Tür gehen. Ist das die richtige?‘ Ich bin nicht planlos, aber ich mache keine Lebensplanung, und damit bin ich nicht schlecht gefahren. Jetzt nehme ich sehr zufrieden zur Kenntnis, dass man mit 70 auch für die nächsten zwei Jahre ganz wunderbare Angebote hat. Das war nicht selbstverständlich.

Aber die Zeiten haben sich eben geändert. Das gilt auch für meine L’Oréal-Kolleginnen wie Helen Mirren, Andie McDowell oder Jane Fonda. Wir haben ein anderes Selbstbewusstsein – das ist ‚Women‘s Empowerment‘, deshalb fühle ich mich bei einer Marke, die das unterstützt, gut aufgehoben. Jedenfalls gucke ich jetzt einfach, was als nächstes kommt und worauf ich Lust habe.

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In "Shazam! Fury of the Gods" spielt Helen Mirren die Bösewichtrolle. © dpa

Was hätte die junge Iris Berben gesagt, wenn sie Sie hören würde?

Berben: ‚Gib nicht so an, das glaube ich dir sowieso nicht‘. Aber das waren noch andere Zeiten. Viele junge Leute müssen sich heute genauer aufstellen und wissen, wohin sie möchten. Ich habe mir seinerzeit nur gedacht: ‚Ich will das Leben fühlen und mitmachen, so intensiv, wie ich nur kann.‘

Dass ich das in einem Beruf tun kann, der einem das verstärkt schenkt, weil man in so viele unterschiedliche Leben eintreten kann, das hat sich die junge Iris nicht gedacht. Insbesondere nicht, nachdem sie aus drei Schulen herausgeflogen war und ewig keinen Schulabschluss hatte.

Welchen Grad an Lebensintensität erreichen Sie denn jetzt? 90 Prozent? 100?

Berben: 110. – Ich will keine Grenzen haben. Geistig nähere ich mich der Zeit, wo ich 17 und 18 war. Ich merke nur an den Knochen und manchmal an meiner Erschöpfung, dass ich das nicht mehr bin. Aber heute weiß ich viel mehr, sehe ich viel mehr, und deshalb macht alles noch viel mehr Spaß.