Washington. Die Infektionszahlen in den USA haben sich in kurzer Zeit wegen der Delta-Variante vervierfacht. Die Impfverweigerer sind hartnäckig.

Wer in den vergangenen Tagen Sean Hannity und Mitch McConnell im Fernsehen sah, musste sich die Augen reiben. Der Quotenbringer des TV-Senders Fox News und der republikanische Anführer im Senat von Washington appellierten beinahe flehentlich an ihre amerikanischen Landsleute, sich schleunigst gegen das Coronavirus impfen zu lassen.

Monatelang hatten die wirkungsmächtigen Einflüsterer im konservativen Milieu mal subtil, mal unverhohlen so ziemlich das Gegenteil getan. Sie schürten Vorbehalte gegen die Impfpolitik von Präsident Joe Biden. Sie zweifelten Sicherheit und Effizienz der Wirkstoffe an. Und sie verharmlosten wie weiland Präsident Donald Trump die Gefahren, die mit „Covid 19“ einhergehen.

Seit die Delta-Variante in den USA wütet, fürchten die Konservativen für eine hoch dynamische Abwärtsbewegung politisch mitverantwortlich gemacht zu werden, die sie vor den Zwischenwahlen im Kongress in 16 Monaten gerne Joe Biden allein in die Schuhe schieben würden.

Präsident Joe Biden will die Impfverweigerer mit Fakten umstimmen.
Präsident Joe Biden will die Impfverweigerer mit Fakten umstimmen. © AFP | Drew Angerer

Die Infektionszahlen in den USA haben sich binnen drei Wochen mehr als vervierfacht – von 13.000 Fällen pro Tag Anfang Juli auf über 56.000 Fälle am Donnerstag. Die Zahl der Todesopfer stieg von zirka 100 auf 330 am Tag. Tendenz: steigend.

Das liegt zwar meilenweit von den alarmierenden Spitzenwerten im Januar entfernt, als es an manchen Tagen 300.000 Neu-Infektionen und über 4000 Tote gab. Regierung und Behörden sind aber umso alarmierter, weil 99 Prozent der Neuinfektionen auf Ungeimpfte entfallen, zu über 85 Prozent die entschieden ansteckendere Delta-Variante im Spiel ist und erst 50 Prozent der Bevölkerung (knapp 161 Millionen Bürger) vollständig geimpft sind.

30 Prozent der Bürger wollen sich laut Umfragen nicht impfen lassen

In etlichen Bundesstaaten, zuletzt Missouri, melden Krankenhäuser bereits wieder „Land unter“, weil die Zahl der Einweisungen explodiert. Erfahrungsgemäß wird die Zahl der Todesopfer zeitversetzt folgen. Und das alles weit vor Beginn der kalten Jahreszeit, in der Epidemiologen einen drastischen Anstieg der Fallzahlen in ungeimpften Regionen erwarten, weil sich Aktivitäten von draußen nach drinnen verlagern; sozusagen die fünfte Welle.

Für Präsident Biden ein politisch riskantes Szenario. Obwohl die USA mehr Impfstoffe als nötig zur Verfügung haben, rast da ein Zug heran, der die frühen Fortschritte bei der Bekämpfung der Seuche im ersten Halbjahr zunichte machen könnte. Der Grund: Impfmüdigkeit. Von bis zu vier Millionen am Tag im Frühjahr ist die Zahl derer, die sich pieksen lassen, auf 500.000 gesunken.

Und der Anteil der Impfverweigerer wächst. Laut Umfragen sind inzwischen knapp 30 Prozent der Bürger diesem Lager zugehörig. Während in den demokratischen Ostküsten-Regionen Vermont, Massachusetts, Rhode Island und Connecticut über 70 Prozent der Einwohner beide Impf-Dosen erhalten haben, sind es in den ärmeren Südstaaten Alabama, Arkansas, Louisiana oder Mississippi teilweise weniger als 35 Prozent.

Bis Ende Juni hatten landesweit 85 Prozent demokratischer Wähler mindestens eine Spritze bekommen – aber nur 52 Prozent der republikanischen Anhänger. Dazu passt: Die Bundesstaaten mit den niedrigsten Impfquoten werden von Republikanern regiert und haben 2020 allesamt Donald Trump gewählt. Auch interessant:Trumps Corona-Infektion verlief dramatischer als gedacht

Der abgewählte Ex-Präsident fuhr seit Beginn der Pandemie im Winter 2020 in punkto Vorbeugung (Maskentragen, Impfung etc.) einen Zickzack-Kurs, der bei Millionen Amerikanern den Eindruck hinterließ: alles halb so schlimm. Dabei ließen bis heute über 610.000 Amerikaner wegen Corona ihr Leben. Statistisch ist die Lebenserwartung 2020 um 1,5 Jahre gesunken. Das ist der stärkste Rückgang seit 1942/43. Die durchschnittliche Lebensdauer liegt bei 77,3 Jahren. Hauptgrund laut Seuchenschutzbehörde CDC: Corona.

99 Prozent der aktuellen Corona-Toten waren ungeimpft

Biden, sein Impf-Zar Anthony Fauci und andere Experten wollen den Skeptikern mit harten Zahlen beikommen. Mitte Juli waren rund 159 Millionen Amerikaner vollständig geimpft. Davon holten sich – trotzdem – rund 5500 das Virus, 1000 starben. Macht weniger als 0,0007 Prozent der geimpften Bevölkerung.

Gegenschnitt: 99 Prozent der aktuellen Corona-Toten waren ungeimpft. „Praktisch alle Krankenhauseinweisungen und Todesfälle finden unter ungeimpften Amerikanern statt“, sagt Biden, „diese Tragödien sind vermeidbar.“

Wenn es da nicht einflussreiche Multiplikatoren in sozialen Medien gäbe, die den Corona-Kurs der Regierung nach Kräften unterlaufen wollen. Nach Recherchen der Watchdog-Organisation „Center for Countering Digital Hate” (CCDH) sind zwölf Personen mit rund 60 Millionen Anhängern in Netzwerken von Facebook über Instagram bis Twitter für 800.000 Postings verantwortlich, die sich negativ über die Impf-Anstrengungen des Weißen Hauses ausließen.

Unter den einschlägig beleumundeten Anhänger von Verschwörungstheorien ist auch der Neffe von Alt-Präsident John F. Kennedy. Robert F. Kennedy Jr. hat die Corona-Impfstoffe mit Autismus und den 5-G-Mobilfunknetzen in Verbindung gebracht. Joe Biden hat Facebook und Co. aufgefordert, mehr gegen den destruktiven Unrat im Netz zu unternehmen. Mark Zuckerbergs Unternehmen verwehrt sich dagegen: „Wir retten Leben.“