Berlin. Der einstige Reporter Claas Relotius flog 2018 als Fälscher im großen Stil auf. Jetzt hat er sich erstmals öffentlich dazu geäußert.

Zweieinhalb Jahre ist eine der größten Fälschungsskandale der deutschen Mediengeschichte her. Claas Relotius, bis dahin ein gefeierter und mit Preisen überhäufter Star-Reporter, stürzte das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ in eine tiefe Krise. Nun hat er sein Schweigen gebrochen und über seinen steilen Aufstieg und tiefen Fall gesprochen.

Er habe nicht deshalb betrogen, um Karriere zu machen, beteuerte Relotius gegenüber der Zeitschrift „Reportagen“ in einem ungewöhnlich langen, mehr als 90 Fragen umfassenden Interview. Er sei psychisch krank und habe sich in Behandlung begeben. Durch manisches Schreiben habe er versucht, seine Gedanken zu ordnen und sich abzulenken.

Auf die Frage, wie viele seiner insgesamt 120 verfassten Texte in seiner Journalistenzeit korrekt waren, sagte er: „Nach allem, was ich heute über mich weiß, wahrscheinlich die allerwenigsten.“ Er habe „in der unverrückbaren Überzeugung geschrieben, es würde bei der Erzählform Reportage keinen Unterschied machen, ob alles 1:1 der Realität entspricht oder nicht“.

Relotius erzählt von wirren psychotischen Krisen

Relotius gab an, er „habe das Schreiben benutzt, um wieder Klarheit zu bekommen. Später habe ich mich nicht gefragt, ob wirklich alles so gewesen ist. Ich habe meinen Text in der Zeitung gesehen, mich daran festgehalten und hochgezogen, mich normal gefühlt. Ich hatte es ja hinbekommen, einen Text zu schreiben, der in der Zeitung stand.“

Die Arbeit, die Recherchereisen ins Ausland hätten ihn abgelenkt, ihm Sicherheit gegeben. Wenn er nicht habe schreiben können, habe er psychotische Krisen durchlebt. „Nach einer Rückkehr aus Albanien bin ich über mehrere Tage in ein Waldstück bei Hamburg gegangen, um nach einem Störsender zu suchen, der meine Gedanken blockiert und die Kommunikation mit anderen Menschen verhindert.“ Lesen Sie hier:Ex-„Spiegel“-Autor Relotius wehrt sich gegen Enthüllungsbuch

An anderer Stelle sprach Relotius über die Rückkehr von einer längeren Israel-Reise: „Ich hatte Angst zu sprechen, habe mich in meinem WG-Zimmer eingeschlossen, Steckdosen abgeklebt. Ich hatte das Gefühl, meine Gedanken verschwinden und fremde Gedanken strömen ein. Der Typ, der am Bahnhof mit sich selbst redet ‒ der war in der Zeit ich.“

Relotius schrieb aus egoistischen Gründen

„Das hemmungslose Schreiben hatte für mich eine ganz egoistische Funktion“, so Relotius. „Es hat mir geholfen, Zustände, in denen ich den Bezug zur Realität verloren habe, zu bewältigen, zu kontrollieren und von mir fernzuhalten. Schon lange vor dem Journalismus.“ Er habe diesen Beruf auf eine Art von Anfang an „missbraucht“. Auch interessant:Journalistenpreise: Der lange Schatten des Claas Relotius

Relotius hatte für den „Spiegel“ Reportagen geschrieben, die fehlerhaft waren, und die zum Teil erfundene Szenen, Gespräche und Ereignisse enthielten. Relotius war damals Anfang der Dreißiger und für das Gesellschaftsressort tätig. Sein Lügenkonstrukt flog erst auf als sein Kollege Juan Moreno den Ungereimtheiten in den Geschichten hinterherrecherchierte. Moreno hat darüber und über die Widerstände, auf die er im Spiegel selbst traf, ein Buch geschrieben. Relotius hat gegen den Inhalt geklagt. Moreno soll Unwahrheiten verbreitet haben. (zrb)