Die in England entdeckte Mutation des Corona-Virus ist wohl bis zu 70 Prozent ansteckender. EU-Länder reagieren mit Flugverboten.

  • In Großbritannien breitet sich eine neue Variante des Coronavirus aus
  • Die Mutation soll 70 Prozent ansteckender sein
  • Um die Verbreitung einzudämmen, gelten in London und anderen Regionen besonders strikte Maßnahmen
  • Ab Montag sind Landungen von Flugzeugen aus Großbritannien in Deutschland größtenteils verboten
  • Belgien kappt neben den Flug- auch die Zugverbindungen auf die Insel

Berlin. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bestellt eilig Impfstoffe nach – und es gibt Grund zur Sorge. In Großbritannien und Südafrika verbreitet sich eine neue Variante von Sars-CoV-2.

Um die Ausbreitung der mutierten Form des Coronavirus zu verhindern, haben die Niederlande, Frankreich, Österreich und Italien ein Verbot des Flugverkehrs mit Passagieren aus Großbritannien verhängt.

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Auch Deutschland schränkt Reiseverkehr nach Großbritannien ein. Für Flugzeuge aus Großbritannien gilt laut der neuen Regelung ab Montag 0 Uhr ein Landeverbot. Ausgenommen sind demnach reine Frachtflüge, Flüge mit medizinischem Personal oder wenn Maschinen nur mit Crews an Bord nach Deutschland zurückkehren wollen. Das Verbot gilt zunächst bis 31. Dezember.

Auch für Flüge aus Südafrika kündigte die Bundesregierung Einschränkungen an. In Südafrika war ebenfalls eine mutierte Version des Coronavirus entdeckt worden.

Corona-Mutation soll offenbar deutlich ansteckender sein

Die britische Regierung geht davon aus, dass sich das mutierte Virus leichter verbreitet. Um bis zu 70 Prozent ansteckender als die bekannte Form sei die Variante, sagte Premier Boris Johnson am Wochenende. In einer ersten Analyse schreiben Wissenschaftler mehrerer britischer Universitäten, die mutierte Variante weise eine ungewöhnlich große Anzahl von genetischen Veränderungen auf.

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Ob das Virus dadurch tatsächlich so viel ansteckender geworden ist, stellt der Leiter des Projekts „Mutationsdynamik von Sars-CoV-2 in Österreich“, Andreas Bergthaler, jedoch infrage: „Man weiß nicht genau, was diese Mutationen machen. Auch nicht in Kombination. Das ist alles andere als klar.“

Der Virologe Christian Drosten twittert, die Verbreitung könne Zufall sein und müsse nicht zwingend auf einen Selektionsvorteil zurückgehen. In Deutschland sei die neue Variante bislang nicht gesehen worden. Selektionsvorteil bedeutet eine Veränderung des Virus, die ihm einen Vorteil bringt – etwa den, infektiöser zu sein. Hinweise darauf, dass die Mutation zu schwereren Covid-19-Fällen führt, gibt es laut Bergthaler nicht.

WHO fordert europäische Länder zu Verschärfung der Corona-Maßnahmen auf

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) forderte ihre europäischen Mitgliedsstaaten auf, ihre Corona-Maßnahmen angesichts der Mutation des Virus in England zu verschärfen. „In Europa, wo die Übertragung hoch und weit verbreitet ist, müssen die Länder ihre Kontroll- und Vorbeugemaßnahmen verstärken“, sagte eine Sprecherin der WHO-Europa am Sonntag.

Mutationen und Corona-Impfung: Virologen bisher gelassen

Experten reagieren bisher gelassen, da der Impfstoff eine Immunreaktion gegen gleich mehrere Virusmerkmale erzeugt. „Ich erwarte nicht, dass eine Impfung unwirksam wird“, sagt Andreas Bergthaler. Ähnlich sieht es der SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe Karl Lauterbach: „Wir müssen nicht davon ausgehen, dass der Impfstoff bei dieser Mutation weniger wirksam ist.“

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Weltärzte-Präsident Frank Ulrich Montgomery erinnert daran, dass auch die Grippe-Impfung von Jahr zu Jahr je nach „Viren-Cocktail“ variiert: „Das kann uns auch beim Corona-Virus passieren.“ Die Mutation zeige, „dass wir uns noch konsequenter schützen müssen“. Sinnvoll sei mit Sicherheit, Kontakte einzuschränken, mahnt er.

Großbritannien: Regierung verschärft Lockdown wegen Corona-Mutation

Wegen der schnellen Ausbreitung der Mutation in Großbritannien hat die britische Regierung einen neuen Shutdown für die Hauptstadt London und den Südosten Englands verhängt. Dieser soll laut dem britischen Gesundheitsminister Matt Hancock bis zum 30. Dezember dauern.

Die kürzlich entdeckte Variante des Coronavirus sei um bis zu 70 Prozent ansteckender als die bisher bekannte Form, sagte Premierminister Boris Johnson am Samstag vor Journalisten. Es gebe allerdings keine Hinweise darauf, dass Impfstoffe gegen die Mutation weniger effektiv seien.

„Es gibt immer noch viel, das wir nicht wissen. Aber es gibt keine Beweise, dass die neue Variante mehr oder schwerere Krankheitsverläufe auslöst“, sagte Johnson. Auch eine höhere Sterblichkeit sei durch die Virus-Variante VUI2020/12/01 bisher nicht festgestellt worden.

Die in Großbritannien entdeckte neue Variante des Coronavirus ist nach Angaben von Premier  Boris Johnson nach ersten Erkenntnissen deutlich ansteckender als die bekannte Form.
Die in Großbritannien entdeckte neue Variante des Coronavirus ist nach Angaben von Premier Boris Johnson nach ersten Erkenntnissen deutlich ansteckender als die bekannte Form. © dpa | TOBY MELVILLE

Mehrheit der Neuinfektionen in London durch neue Virusvariante

Der oberste wissenschaftliche Regierungsberater Patrick Vallance betonte, dass im Dezember 60 Prozent der Neuinfektionen in London die neue Variante betroffen hätten. „Sie breitet sich rasch aus und ist dabei, die dominierende Variante zu werden“, sagte er.

Die britischen Behörden stehen wegen der Ausbreitung der Mutation in engem Kontakt mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wie die Organisation im Kurznachrichtendienst Twitter am späten Samstagabend schrieb: „Wir werden die Mitgliedstaaten und die Öffentlichkeit auf dem Laufenden halten, sobald wir mehr über die Merkmale der Virusvariante und deren Auswirkungen erfahren.“

Künftig vier statt drei Corona-Warnstufen in Großbritannien

Wegen der Ausbreitung verschärfte die Regierung die Corona-Restriktionen etwa in London deutlich: Für Millionen Menschen fallen Weihnachtsfeiern mit Familien und Freunden nun aus. „Wenn das Virus seine Angriffsmethode ändert, müssen wir unsere Verteidigungsmethode ändern“, sagte Johnson. „Ohne diese Maßnahmen, darauf deuten die Zeichen hin, werden die Infektionszahlen in die Höhe schnellen, Krankenhäuser würden überfordert sein und weitere Tausende Menschen werden ihr Leben verlieren.“

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Statt drei Corona-Warnstufen gibt es künftig vier – in die höchste fallen außer der Hauptstadt auch noch andere Regionen im Südosten. Dort dürfen die Bewohner nur noch aus wichtigen Gründen ihre Wohnung verlassen, etwa um zum Arzt oder zur Arbeit zu gehen. Auch zu Weihnachten dürfe man keine Angehörigen anderer Haushalte treffen, betonte Johnson. „Wir opfern die Möglichkeit, unsere Lieben dieses Weihnachten zu sehen, damit wir eine bessere Chance haben, ihr Leben zu schützen, damit wir sie bei zukünftigen Weihnachten sehen können.“

Einwohner der Corona-Stufe 4 dürfen diese nicht verlassen

Alle nicht lebensnotwendigen Geschäfte sowie andere Einrichtungen wie Fitnessstudios, Friseure, Kinos oder Schönheitssalons müssen schließen. Einwohner der höchsten Corona-Stufe 4 dürfen diese Zone nicht verlassen. Der Handelsverband BRC warnte vor schwerwiegenden Folgen für die Wirtschaft. „Für Unternehmen ist das Hin und Her der Regierung alles andere als hilfreich“, sagte Verbandschefin Helen Dickinson. Die Entscheidung falle mitten in die wichtigste Phase des Einzelhandels vor Weihnachten.

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(dpa/bef/te/lary/san)