Tübingen. Die vermeintlich niedrigen Infektionszahlen bei über 75-Jährigen in Tübingen sorgten bundesweit für Schlagzeilen. Offenbar zu Unrecht.

Die beschauliche Stadt Tübingen liegt südlich von Stuttgart. Sie hat knapp 100.000 Einwohner und ist angesichts dieser Zahl überproportional häufig in den Artikeln der großen Medien vertreten. Das liegt vor allem an Tübingens streitlustigem Oberbürgermeister Boris Palmer (Die Grünen) – und zuletzt auch an seiner Strategie gegen das Corona-Virus.

„Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Älteren besonders zu schützen, weil für sie die Gefahr durch Corona mit Abstand am höchsten ist“, hatte Palmer im Interview mit dem Berliner „Tagesspiegel“ erklärt. Keinen einzigen Fall bei Menschen über 75 Jahren habe Tübingen in den vergangenen Monaten verzeichnet, sagte er. Tübingens Oberbürgermeister pries auch in TV-Talkshows die guten Infektionszahlen in den Altenheimen seiner Stadt – offenbar zu Unrecht.

Denn wie eben jener „Tagesspiegel“ mit Berufung auf den Landkreis Tübingen berichtet, hatte es in den vergangenen Wochen jeweils mehrere Corona-Fälle bei den über 75-Jährigen gegeben. Nur seien diese in den städtischen Auswertungen nicht aufgetaucht. Palmer begründete dies gegenüber dem „Tagesspiegel“ mit Problemen bei der Übermittlung der Daten zwischen Kreis und Stadt. Eine bewusste Fehlinformation schloss Palmer aus – und entschuldigte sich für seine falschen Aussagen.

Tübingen: Das ist Palmers Konzept zum Schutz vor Corona

Die Stadt setzt bei ihrem Konzept zur Eindämmung der Corona-Pandemie vor allem auf die Eigenverantwortung der Bürger, vor allem jener über 65 Jahre. Für sie verteilt die Stadt kostenlose FFP2-Schutzmasken. Anstelle öffentlicher Verkehrsmittel sollen Senioren mit dem Taxi fahren – die Fahrt kostet sie nicht mehr als ein Busticket. Außerdem gab die Stadt ein Zeitfenster von 9 bis 11 Uhr am Vormittag vor, in dem ältere Menschen einkaufen sollen.

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Bürger können sich kostenlos testen lassen

Boris Palmer betonte immer wieder, wie wichtig der Schutz der älteren Bevölkerung sei. Natürlich würde Tübingen auch alle sonstigen Vorgaben von Bund und Ländern umsetzen: „Abstandsregeln und Masken sind absolut entscheidend dafür, dass die Infektionszahlen nicht explodieren“, sagte der Oberbürgermeister im Interview mit dem „Tagesspiegel.“

Tübingen habe allerdings eben besonderen Wert auf den Schutz der Älteren gelegt. Dazu zählt auch eine Test-Offensive: An jedem Wochentag können sich Bürgerinnen und Bürger Tübingens kostenlos auf dem Marktplatz auf das Coronavirus testen lassen. Das soll auch Infektionen bei Besuchen von älteren Verwandten verhindern.

FFP2-Masken und Testpflicht gehören in Altersheimen zum Standard

Bezahlt werde das alles aus der Stadtkasse – eine halbe Million Euro habe die Stadt bislang investiert. „Ich finde, das ist gut angelegtes Geld, wenn es die Uni-Klinik vor Überlastung schützt und Menschenleben in den Heimen rettet“, sagte Palmer.

Oberbürgermeister Palmer dachte, Tübingen komme besser durch die Corona-Pandemie als viele anderen Städte. Das war offenbar eine Fehleinschätzung.
Oberbürgermeister Palmer dachte, Tübingen komme besser durch die Corona-Pandemie als viele anderen Städte. Das war offenbar eine Fehleinschätzung. © dpa | Sebastian Gollnow

In Altersheimen werde schon seit September viel getestet, erklärte Palmer. FFP2-Masken sind Standard, Bewohner und Pflegepersonal werde regelmäßig untersucht. Seit kurzem gilt das auch für Mitarbeitende mobiler Pflegedienste, die sich ebenfalls regelmäßigen Tests unterziehen müssen. So soll vermieden werden, dass die ambulante Pflegekraft das Virus in den Privatwohnungen alter Menschen verteilt.

Corona-Ausbrüche in drei Tübinger Pflegeheimen

Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen ist es in Tübingen dennoch zu Corona-Infektionen in insgesamt drei Pflegeheimen gekommen, wie die Stadt am Montag in einer Pressemitteilung verkündete. Insgesamt seien 26 Bewohner und elf Angestellte infiziert. Es habe in Tübingen über eine erfreulich lange Zeit keine Ausbrüche in Alten- und Pflegeheimen gegeben, sagte Palmer zu den neuen Fällen.

„Obwohl es mehrfach Infektionen bei den Pflegekräften gab, hat die Barriere, die wir durch die regelmäßigen Schnelltests errichtet haben, in den meisten Fällen gehalten.“ Weil man die Tests aber nicht habe verpflichtend anordnen können, sei das Netz nicht engmaschig genug gewesen. „Es war nur ein Angebot, von dem unterschiedlich gut Gebrauch gemacht wurde“, schloss Palmer seine Stellungnahme.