Saarbrücken. Die Fallzahlen hinken der aktuellen Corona-Situation in der Regel etwas hinterher. Der Covid-19-Simulator kann bei dem Problem helfen.

In der Corona-Pandemie verlässt sich die Politik bei den Beschlüssen zu neuen Maßnahmen auf eine ganze Menge Zahlen. R-Wert, 7-Tage-Inzidenz und belegte Intensivbetten fließen in die Diskussionen mit ein. Allerdings sind die Auswirkungen der Maßnahmen auf Fallzahlen und Co. in der Regel erst mit ein bis zwei Wochen Verzögerung zu beobachten. Die Zahlen hinken der eigentlichen Pandemie-Entwicklung also immer etwas hinterher.

Doch an der Universität des Saarlands hat Professor Thorsten Lehr mit einem Forscherteam und Medizinern der Uniklinik des Saarlandes einen Covid-19-Simulator entwickelt, mit dem sich das Infektionsgeschehen der nahen Zukunft rechnerisch vorhersagen lässt.

Bis auf die Landkreisebene kann mit dem Tool simuliert werden, wie sich die Infektionszahlen bis zu einem bestimmten Datum verhalten. Wann sind die verfügbaren Intensivbetten ausgelastet, wenn der R-Wert steigt? Wie verhalten sich die Infektionszahlen, wenn die Schulen geschlossen werden? Der Covid-19-Simulator kann dazu Vorhersagen treffen.

Mithilfe der Fallzahlen der Gesundheitsämter , einer Datensammlung von rund 10.000 Corona-Patienten , und weiteren Corona-Daten berechnet der Simulator dafür Trends und setzt diese in die Zukunft fort. Das bedeute im Umkehrschluss, dass die Vorhersagen des Simulators nur dann sehr gut funktionieren, wenn die Infektionsentwicklung kontinuierlich ist, sagt Lehr. Je weiter die Vorhersage in der Zukunft liegt, desto größer werden zudem die möglichen Abweichungen vom berechneten Trend.

Aktuell wird der Simulator im Wochenrhythmus mit neuen Daten gefüttert und die Berechnungen damit an neue Gegebenheiten angepasst. „Bei dem momentanen Aktionismus müssen wir mit den vielen Änderungen der Politik arbeiten“, erklärt Lehr. Das lasse sich im Vorhinein nur schwerlich mit einberechnen.

Da sich neue Corona-Maßnahmen aber in der Regel eben erst nach rund zwei Wochen in den Fallzahlen bemerkbar machen, sind die Vorhersagen des Covid-19-Simulators für diesen Zeitraum relativ belastbar.

Covid-19-Simulator wird häufiger genutzt

Außerdem sind die Vorhersagen mittlerweile begehrt, wie Lehr nicht nur anhand der Nutzerzahlen aufzeigen kann. Seit August steht der Covid-19-Simulator für jedermann kostenlos im Internet zur freien Verfügung. „Da hat das aber noch keinen interessiert, weil alle zu der Zeit in einer Ignoranz- und Erholungsstimmung waren.“ In den letzten Wochen habe die Aufmerksamkeit dann aber stark zugenommen. „Wir haben mittlerweile permanent mehrere tausend Leute auf dem Simulator“, sagt der 43-jährige Pharmazeut .

Aus Zuschriften wissen Lehr und sein Team, dass sowohl Privatpersonen den Simulator nutzen als auch Mitarbeiter von Gesundheitsbehörden . „Wir sind beratend für die saarländische Landesregierung tätig und wissen aus internen Kreisen, dass auch andere Landesregierungen unseren Simulator nutzen“, ergänzt Lehr. Zudem seien in den vergangenen Wochen vermehrt Anfragen von kleineren europäischen Nationen eingetroffen. Geld fordern Lehr und sein Team laut eigener Aussage nicht für die Nutzung ihres Simulators.

Dieser soll in Kürze mit einem weiteren Modell erweitert werden. „Damit kann man dann auch Alter und Geschlecht von Infizierten ändern“, sagt Lehr.

Sicheres Weihnachtsfest ist möglich aber unrealistisch

Am vergangenen Mittwoch haben Bund und Länder beschlossen, den Teil-Lockdown zu verlängern . Wie sich die jüngsten Verschärfungen auf das Infektionsgeschehen bis Weihnachten auswirken, lasse sich noch nicht zuverlässig simulieren, sagt Lehr. Dafür könne bis zu den Feiertagen einfach noch zu viel passieren.

Es ließen sich jedoch verschiedene Szenarien erstellen, die auf Erfahrungen aus dem ersten Lockdown und dem Ausland fußen. Lehr ist sich aufgrund der Berechnungen zum Beispiel sicher, dass die von der Bundesregierung angepeilte Sieben-Tage-Inzidenz von 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner bis Weihnachten durchaus erreichbar ist. Dafür sei jedoch ein R-Wert von 0,6 nötig, wie er während des ersten Lockdowns verzeichnet wurde. „Sprich: Wir bräuchten da einfach viel drastischere Maßnahmen und die sind aufgrund der aktuellen Balance gerade nicht hinnehmbar“, sagt Lehr.

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Die Lockerungen der Kontaktbeschränkungen zu Weihnachten und Silvester sieht der Pharmazeut dementsprechend kritisch. „Wenn wir es nicht schaffen, die Fälle bis dahin zu reduzieren, werden wir diese Weihnachtspause auf einem sehr hohen Infektionsniveau beenden.“ Erfahrungen mit dem Influenzavirus zeigten, dass die Weihnachtstreffen als Beschleuniger der Virusverbreitung fungieren.

Lehr lehnt die Lockerungen nicht ab, aus seiner Sicht ist die Entscheidung darüber nur zu früh getroffen worden. Hier kommt wieder sein Simulator ins Spiel. „Würden wir es jetzt schaffen, den R-Wert auf 0,8 abzusenken, dann hätten wir um den 20. Dezember herum eine Inzidenz von 60 bis 70.“ Das sei zwar immer noch weit über dem angepeilten Wert von 50, „aber dann könnte man schauen, ob man die Lockerungen wirklich erlaubt.“