Essen. Meine alten Tanten trichterten mir große Angst vor den Russen ein. Erst die Wiedervereinigung nahm sie mir – eine Lesegeschichte.

Als ich klein war, hatte ich viel mit Großtanten zu tun. Es waren die Schwestern meiner Oma. Alle drei waren sich spinnefeind. Ich liebte sie sehr. Tante Lisbeth war die beste: Sie hatte keine Kinder, keine Enkel, dafür einen kranken Mann, der früh starb. Wenn ich bei ihr in der Bochumer Altbauwohnung war, durfte ich die Hitparade gucken mit Dieter Thomas Heck. Den fanden meine Eltern blöd. Und sie machte die besten Schnitzel!

Tante Lisbeth erklärte mir den Krieg. Die Zeit des Hungers, der Evakuierung im Sudetenland. „Als die Russen kamen“, habe sie sich laut schimpfend vor der Scheune aufgebaut, wo sie mit ihren Schwestern, also meiner Oma Mia und meiner Großtante Luise und deren Töchtern im Kleinkindalter (meine Mutter und meine Großcousine) untergebracht war. „Sie krümmten uns kein Haar“, erzählte sie immer wieder.

Tante Lisbeth umgab der Mythos der Russenvertreiberin. Eine Amazone, die vergewaltigenden Männerhorden Angst eintrieb.

Von Neid zerfressene Schwestern mussten Männerhorden vertreiben