Berlin. Seit nunmehr einem halben Jahr beschäftigt Deutschland die Corona-Krise. Wie ist es uns seither ergangen? Die Redaktion blickt zurück.

„Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“ Diese beiden Sätze sagte Kanzlerin Angela Merkel am 18. März in ihrer Fernsehansprache zur Corona-Pandemie. Nur wenige Tage später, am 23. März, legte die Bundesregierung das „Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer pandemischen Lage von nationaler Tragweite“ vor. Ein halben Jahr ist das nun her.

Lockdown, Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht – seit nunmehr sechs Monaten bestimmt das Coronavirus in weiten Teilen unseren Alltag. Wir bekommen davon mal mehr, mal weniger mit. Doch jeder einzelne spürt, dass die Pandemie nach wie vor Einfluss auf unsere Leben nimmt. Einschränkungen, Verluste, Unannehmlichkeiten, aber vielleicht auch angenehme Überraschungen, neue Erfahrungen, unerwartete gute Wendungen haben wir erlebt.

Merkels Botschaft gilt auch heute noch, ein halbes Jahr, nachdem sich unsere Leben kurzzeitig oder dauerhaft komplett geändert haben. Auch für die Mitglieder dieser Redaktion. An dieser Stelle wollen wir unsere Erfahrungen aus der Corona-Krise – positive wie negative – mit Ihnen teilen:

Corona-Lockdown: Erschwerter Start im neuen Job

Amelie Marie Weber im Homeoffice. Trotz Videokonferenzen mit den Kollegen, fällt das Einarbeiten in Corona-Zeiten schwerer.
Amelie Marie Weber im Homeoffice. Trotz Videokonferenzen mit den Kollegen, fällt das Einarbeiten in Corona-Zeiten schwerer. © Privat

Negativ: Ich habe mitten in der Krise meinen neuen Job bei FUNKE angetreten. Das Einarbeiten war durch die Homeoffice-Situation natürlich erschwert. Zwar waren meine neuen Kollegen jederzeit per Mail oder Anruf für mich erreichbar, aber es wäre mir viel lieber gewesen, wenn ich meine Fragen einfach hätte quer über den Schreibtisch stellen können. Und natürlich hätte ich zum Einstieg im Büro auch gerne einen Kuchen serviert.

Positiv: Die Tatsache, dass ich seit dem Ausbruch der Coronakrise im Homeoffice arbeiten kann, erleichtert meine Fernbeziehung ungemein. Mein Partner und ich genießen es sehr, uns nun auch mal länger als zwei Tage am Stück zu sehen, und fühlen uns zugleich auch im Job produktiver.

(Amelie Marie Weber, Redakteurin Online)

Aufblühen in der Krise: „Hätte ewig so weitergehen können“

Negativ: Das Coronavirus erschien mir als eine abstrakte und vage Gefahr, bis ein Bekannter mir erzählte, dass sein Vater mit 75 Jahren an Covid-19 gestorben sei. Die erste Frage, die ihm alle stellen würden, wäre: War er vorerkrankt? Wie, als wenn sie sich selbst beruhigen wollten, dass es sie ja nicht treffen könnte. Ja, er war vorerkrankt. Aber was genau heißt das und wo ist die Grenze zu gesund? Fast jeder ist auf irgendeine Weise „vorerkrankt“. Tatsache ist: Der Mann kam gerade von einem Wandertrip aus den Rocky Mountains wieder, als das Virus ihn aus dem Leben riss.

Positiv: Im Frühjahr sprachen alle von einer Krise, aber ich blühte richtig auf und hatte fast schon ein schlechtes Gewissen deswegen. Statt mich morgens durch den Berliner Verkehr zu quälen, schlurfte ich gemütlich ins Homeoffice. Statt im klebrigen Fitnessstudio zu schwitzen, bretterte ich mit dem Rad über den gespenstisch leeren Kurfürstendamm. Statt mich für den Wochenendtrip in den Easyjet-Flieger zu quetschen, entdeckte ich die Umgebung und fand heraus, dass Bezeichnungen wie „Ruhleben“ nicht nur für Endstationen der S-Bahn, sondern für idyllische Ortsteile standen. Von mir aus hätte es ewig so weitergehen können ...

(Oliver Stöwing, Redakteur Vermischtes)

Social Distancing: Großeltern verpassen zu viele Entwicklungsschritte

Im Spreewald unterwegs mit „Lasti
Im Spreewald unterwegs mit „Lasti". Der eingeschränkte Aktionsradius während des Corona-Lockdowns hat den entscheidenden Anstoß zur Anschaffung eines Lastenfahrrads gebeben. © FMG | privat

Negativ: Ich habe einen kleinen Sohn, im November feiert er seinen zweiten Geburtstag. Mein Mann und ich leben erst seit einigen Jahren in Berlin, unsere Familien in Nordrhein-Westfalen. Mir tat es sehr weh, dass wir den Großeltern aus Schutz und Vorsicht zu großen Teilen vorenthalten mussten, an der Entwicklung des Kleinen teilzuhaben. Wir haben Besuche gestrichen, die Omas, Opas und die Uroma lediglich mit Fotos und Videos versorgt. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der bei Kindern so viele Entwicklungsschritte passieren. Die ersten Schritte, die ersten Worte, Küsschen und Umarmungen – das alles haben sie verpasst.

Positiv: Vor allem während des Lockdowns war unser Aktionsradius – wir haben kein Auto und verzichten noch immer größtenteils auf öffentliche Verkehrsmittel – sehr eingeschränkt. Da wir schon lange mit der Anschaffung eines Lastenfahrrads geliebäugelt haben, haben wir uns dank Corona endlich einen Traum erfüllt. Mittlerweile haben wir schon mehr als 700 Kilometer mit „Lasti“ zurückgelegt – und waren sogar schon mit Sack, Pack und Kind auf einer mehrtägigen Tour mit Übernachtung im Spreewald.

(Jennifer Kalischewski, Redakteurin Online)

Menschenleere Hauptstadt – eine einmalige Erfahrung

Negativ: Meine Eltern sind über 80 Jahre alt und beide nicht mehr bei bester Gesundheit. In diesem Alter kann jeder Tag der letzte sein. Und obwohl das so ist – oder gerade weil, habe ich meine Eltern in diesem Jahr monatelang nicht besucht, sondern nur mit ihnen telefoniert. Ich wollte nicht, dass ich sie ungewollt und unbewusst infiziere. Insbesondere für meine Mutter wäre Covid-19 das sichere Todesurteil gewesen. So auf Distanz zu gehen, bedeutete aber auch, dass einer von beiden hätte sterben können, ohne dass ich ihn oder sie vorher noch einmal gesehen hätte.

Potsdamer Platz am Abend des 6. April
Potsdamer Platz am Abend des 6. April © privat / FMG

Erschwerend kam hinzu, dass meine Mutter die Corona-Situation nicht verstand. Einem alten Menschen begreiflich zu machen, dass es zu seinem eigenen Schutz ist, auf ein persönliches Treffen oder gar eine Umarmung zu verzichten, ist nicht leicht. Deswegen hat es mich auch sehr berührt, dass die Bewohner von Alten- und Pflegeheimen in Deutschland über Wochen keinen Kontakt mehr nach außen haben durften. Einsamkeit im Alter ist Gift für jeden Menschen. Und ich frage mich manchmal, wie viele alte Menschen während des Lockdowns wohl an diesem Schmerz gestorben sind.

Positiv: Berlin glich während des Lockdowns bisweilen einer Geisterstadt – eine bizarre, aber auch faszinierende Erfahrung, die wahrscheinlich so schnell nicht wieder kommt. Leider. Ob man tagsüber durch die Friedrichstraße lief oder abends den Potsdamer Platz kreuzte – Anfang April ging es dort so ruhig zu wie sonst nur an Feiertagen, während eines Schneesturms oder des Endspiels einer Fußball-WM. Plötzlich hatte man mit dem Fahrrad die Straße für sich, konnte am Abend das Zwitschern der Drosseln hören, wo sonst der Autolärm alles überlagerte. Obwohl nur wenige Menschen unterwegs waren, erschien mir die Stadt menschlicher. Ich hoffe, dass von dieser Erkenntnis etwas bleibt.

(Guido Heisner, Chef vom Dienst Print)

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