Stuttgart. Hunderte Randalierer haben sich in der Nacht zu Sonntag in Stuttgart Straßenschlachten mit der Polizei geliefert – die Hintergründe.

Ausschreitungen in Stuttgart – das Wichtigste in Kürze:

  • Laut Polizei zogen in der Nacht zu Sonntag bis zu 500 Randalierer durch Stuttgart
  • Die Randalierer waren in mehreren Gruppen unterwegs, schlugen Schaufenster ein, plünderten und griffen Polizisten an
  • Die Staatsanwaltschaft wirft einem 16-Jährigen versuchten Totschlag vor
  • Innenminister Horst Seehofer (CSU) fordert harte Strafen
  • Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) spricht von einer sinnlosen Gewaltorgie
  • Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Ereignisse scharf kritisiert und sich hinter die Polizei gestellt
  • Mindestens 19 Polizisten sind bei den Ausschreitungen verletzt worden, der entstandene Schaden beläuft sich wohl auf einen sechs- bis siebenstelligen Betrag
  • Stuttgarts Polizeipräsident Lutz sprach von einer „nie dagewesenen Dimension von offener Gewalt gegen Polizeibeamte“
  • Der Polizei zufolge hatten sich die Randalierer mit Verdächtigen solidarisiert, die wegen eines Drogendeliktes kontrolliert worden waren
  • 24 Randalierer wurden vorläufig festgenommen, mindestens sieben sollen dem Haftrichter vorgeführt werden

Dutzende gewalttätige Gruppen haben sich in der Nacht zu Sonntag in Stuttgart Straßenschlachten mit der Polizei geliefert. Dabei verwüsteten sie Teile der Innenstadt, plünderten und verletzten mehrere Beamte.

Bundesinnenminister Horst Seehofer forderte harte Strafen für die Randalierer. „Ich erwarte, dass die Justiz den Tätern, die gestellt werden konnten oder noch können, auch eine harte Strafe ausspricht“, sagte der CSU-Politiker am Montag in Stuttgart. „Da geht es auch um die Glaubwürdigkeit unseres Rechtsstaates.“

Die Entwicklung vom Wochenende und auch in den Monaten zuvor sei ein „Alarmsignal für den Rechtsstaat“, sagte Seehofer. Es gehe nicht nur um Gewalt gegen die Polizei, sondern auch um die Verunglimpfungen der Beamten mit Worten. „Aus Worten folgen immer auch dann Taten.“

Ministerpräsident Kretschmann spricht von einer „Gewaltorgie“

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), der am Montag mit Seehofer am Ort des Geschehens war, bezeichnete die Stuttgarter Auseinandersetzungen als Gewaltorgie. „In meinen Augen war das Landfriedensbruch, was da geschehen ist, und das gehört zu den schweren Straftaten“, sagte der Regierungschef am Montag bei einem Besuch der Stuttgarter Königstraße.

„Wir werden so etwas nicht dulden“, sagte Kretschmann weiter. Die liberale Demokratie werde sich als „wehrhaft“ erweisen.

Beim Landfriedensbruch geht es um Straftaten, die aus großen Menschenmengen heraus begangen werden und die öffentliche Sicherheit gefährden. Laut Strafgesetzbuch wird Landfriedensbruch mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Hunderte Menschen randalieren in Stuttgarter Innenstadt - Geschäfte geplündert

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    Randale in Stuttgart – 19 Polizisten verletzt

    Wie Polizeivizepräsident Thomas Berger am Sonntag auf einer Pressekonferenz mitteilte, wurden 19 Polizisten bei dem Einsatz verletzt. Einer von ihnen sei dienstunfähig. Die Zahl könne sich jedoch noch erhöhen, weil sich die Polizisten im Einsatz häufig erst später mit Verletzungen meldeten.

    24 Personen seien in der Nacht vorläufig festgenommen worden, darunter sieben Personen unter 18 Jahren und sieben zwischen 18 und 21 Jahren. Mindestens sieben der vorläufig Festgenommenen sollen dem Haftrichter vorgeführt werden, sagte Berger. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart teilte am Montag mit, dass sich ein 16-Jähriger wegen versuchten Totschlags verantworten muss. Dem Jugendlichen wird vorgeworfen, in der Randalenacht einem bereits am Boden liegenden Studenten gezielt gegen den Kopf getreten zu haben.

    Insgesamt sollen laut Polizei 500 Menschen in Kleingruppen unterwegs gewesen sein. Polizeipräsident Franz Lutz erklärte auf der Pressekonferenz, dass die Randalierer „aus allen möglichen Ländern“ kommen würden, auch aus Deutschland. „Es war ein bunter Mix durch den Globus, was sich dort versammelt hat“, betonte Lutz.

    Kein politischer Hintergrund für Randale in Stuttgart

    Ein politischer Hintergrund für die Randale liegt laut Polizei nicht vor „Wir können aus der momentanen Sicht der Dinge eine linkspolitische oder überhaupt eine politische Motivation für diese Gewalttaten ausschließen“, sagte Lutz. Er sprach weiter von einer „nie dagewesenen Dimension von offener Gewalt gegen Polizeibeamte und massiver Sachbeschädigung bis hin zu Plünderungen“.

    Von „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ sprach die SPD im baden-württembergischen Landtag. Sascha Binder, Innenexperte der Fraktion, sprach sich für eine schnelle und umfassende Aufklärung der Geschehnisse aus.

    Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) äußerte sich auf Twitter und Facebook zu den Vorfällen; er sei „schockiert von dem Ausbruch an Gewalt“.

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    Ausschreitungen in Stuttgart: Polizisten mit Steinen beworfen

    Nach Angaben der Polizei hatten sich die Randalierer mit Personen solidarisiert, die wegen des Verdachtes eines Drogendeliktes von der Polizei kontrolliert worden waren. 200 Polizisten aus dem Stuttgarter Umland waren in der Nacht in die Landeshauptstadt beordert worden, um die Lage in den Griff zu bekommen; ein Polizeihubschrauber kreiste über der Stadt.

    Bei den gewalttätigen Ausschreitungen seien die Einsatzkräfte mit Flaschen und Steinen beworfen worden, sagte ein Polizeisprecher. Schaufenster seien eingeschlagen und Läden geplündert worden.

    Abgestellte Streifenwagen seien massiv beschädigt worden: Die Randalierer hätten mit Stangen und Pfosten auf die Autos eingeschlagen und Scheiben zertrümmert. Auf vorbeifahrende Streifen hätten die Täter große Steine und andere Gegenstände geworfen. Der Stuttgarter Polizeivizepräsident Thomas Berger beziffert den Schaden der Ausschreitungen auf einen sechs- bis siebenstelligen Betrag.

    Auf Twitter kursierten Videoaufzeichnungen von jungen Männern, die gegen Schaufensterscheiben von Geschäften traten und Pflastersteine aus dem Boden rissen. Schwerpunkte seien der Schlossplatz und die benachbarte Königstraße gewesen, die als Stuttgarts Shoppingmeile bekannt ist.

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    Bundespräsident Steinmeier verurteilt Randale in Stuttgart scharf

    Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu den Randalen geäußert – und scharf verurteilt. „Gewalt, Vandalismus, schiere Brutalität – wie am Wochenende in Stuttgart gesehen – müssen mit aller Härte des Rechtsstaats verfolgt und bestraft werden“, sagte Steinmeier am Montag in Berlin. „Wer Polizistinnen und Polizisten angreift, wer sie verächtlich macht oder den Eindruck erweckt, sie gehörten ,entsorgt’, dem müssen wir uns entschieden entgegenstellen.“

    Steinmeier betonte, diejenigen, die auf den Straßen und Plätzen Tag für Tag unser friedliches Miteinander schützten und das Gewaltmonopol des Staates verteidigten, „verdienen unseren Respekt und unsere Unterstützung, wenn sie brutal attackiert werden“.

    Randale in Stuttgart – Lage eskalierte gegen Mitternacht

    Randale in Stuttgart: Einheiten der Polizei stehen vor einem zerstörten Geschäft in der Königstraße. Hunderte Randalierer lieferten sich in der Nacht zu Sonntag Straßenschlachten mit der Polizei.
    Randale in Stuttgart: Einheiten der Polizei stehen vor einem zerstörten Geschäft in der Königstraße. Hunderte Randalierer lieferten sich in der Nacht zu Sonntag Straßenschlachten mit der Polizei. © dpa | Christoph Schmidt

    Viele Randalierer sollen sich mit Sturmhauben und anderen Kleidungsstücken vermummt haben.

    Um kurz vor Mitternacht habe sich die Lage in der Nähe des Schlossplatzes „aufgeschaukelt“, sagte ein Polizeisprecher; dort hielten sicht am Wochenende immer viele Menschen auf. Es sei zu Auseinandersetzungen zwischen mehreren kleineren Gruppen gekommen.

    Ausschreitungen in Stuttgart: Auch das Schaufenster eines Schuhgeschäfts in der Königstraße wurde stark beschädigt.
    Ausschreitungen in Stuttgart: Auch das Schaufenster eines Schuhgeschäfts in der Königstraße wurde stark beschädigt. © dpa | Christoph Schmidt

    Stuttgart: Schaufensterscheiben eingeschlagen

    Am Sonntagmorgen hieß es, die Lage habe sich beruhigt. Zu sehen waren da noch die Schäden: So waren die Schaufensterscheiben mehrerer Handy-Läden eingeschlagen. Die Nacht zum Montag blieb nach Angaben der Polizei ruhig.

    Ausschreitungen in Stuttgart: Am Morgen begannen Einsatzkräfte – hier ein Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks – aufzuräumen und die beschädigten Geschäfte abzusichern.
    Ausschreitungen in Stuttgart: Am Morgen begannen Einsatzkräfte – hier ein Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks – aufzuräumen und die beschädigten Geschäfte abzusichern. © dpa | Sven Kohls

    Chaos-Nacht in Stuttgart: Nun beginnt die Ursachensuche

    Die Glasscherben der zerstörten Schaufenster dürften am Montag weggekehrt sein, doch der Schaden ist nicht behoben. Nun beginnt die Aufarbeitung der Chaos-Nacht in Stuttgart. Die Polizei hat ein Hinweisportal im Internet eingerichtet, auf dem Videos und Fotos hochgeladen werden können.

    „Wir werden mit allem, was uns der Rechtsstaat zur Verfügung stellt, diese Randalierer verfolgen und sie zur Rechenschaft ziehen“, sagte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) am Sonntagabend in den „Tagesthemen“ der ARD.

    Strobl sagte, „die Szene im Schlossgarten“ habe sich dort schon seit Längerem festgesetzt. Er forderte ein Gesamtkonzept für die Stadt Stuttgart und ein Maßnahmenbündel. „Das muss die Stadt Stuttgart lösen“, betonte der Minister.

    Oberbürgermeister Kuhn kündigte derweil bis zum kommenden Wochenende erste Sicherheitslösungen an. Im Gespräch seien Alkoholverbote und Aufenthaltsbeschränkungen für öffentliche Plätze. Außerdem könnten diese per Video überwacht werden.

    Was hat eine „taz“-Kolumne mit den Randalen in Stuttgart zu tun?

    Hat möglicherweise auch eine Kolumne der „taz“ zu enthemmter Gewalt geführt? Dies scheint zumindest Bundesinnenminister Horst Seehofer anzudeuten. Seehofer hatte angekündigt, Strafanzeige gegen eine Mitarbeiterin der Zeitung „taz“ wegen einer polizeikritischen Kolumne zu stellen.

    Der „Bild“ sagte er am Sonntag: „Ich werde morgen als Bundesinnenminister Strafanzeige gegen die Kolumnistin wegen des unsäglichen Artikels in der „taz“ über die Polizei stellen.“ Seehofer sagte demnach auch: „Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen, genauso wie wir es jetzt in Stuttgart gesehen haben. Das dürfen wir nicht weiter hinnehmen.“

    In einer Pressekonferenz am Montag sagte Regierungssprecher Steffen Seibert, die Stellung der Anzeige sei noch nicht beschlossen und werde mit Kanzlerin Angela Merkel diskutiert. „Die Presse- und Meinungsfreiheit, sie werden nicht schrankenlos gewährleistet. Sie finden zum Beispiel ihre Grenzen in den Strafgesetzen“, erklärte ein Sprecher des Innenministeriums.

    Gelegenheit zur Aufarbeitung bei Sondersitzung des Innenausschusses

    Sven Hahn, Geschäftsführer der City-Initiative Stuttgart, einem Verbund aus Händlern, Gastronomen, Hoteliers und Kulturbetrieben, plädierte für eine umfassende Analyse. „Wir müssen genau schauen, was passiert ist, wie es dazu kam und ob es dazu Aufrufe gab“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Dann gelte es, sich mit Polizei und Politik sinnvoll abzustimmen, um Lösungen zu finden. „Man tut nichts Gutes, wenn man vorschnell den Finger auf jemanden richtet.“

    Gelegenheit zur Aufarbeitung soll eine Sondersitzung des Innenausschusses am Mittwoch im Landtag geben. Dort will die Opposition Innenminister Thomas Strobl (CDU) ausführlich zur kriminellen Gewalt und zu Maßnahmen zum Schutz von Gesellschaft und Polizei befragen. Die Polizei hat angekündigt, in den kommenden Wochen mit verstärkten Kräften in Stuttgart unterwegs zu sein.

    Aus der Bundespolitik kommen derweil Forderungen nach Konsequenzen. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Mathias Middelberg, sagte der „Welt“: „Das Entstehen rechtsfreier Räume dürfen wir nicht zulassen.“ Die innenpolitische Sprecherin der grünen Bundestags-Fraktion, Irene Mihalic, sagte der Zeitung: „Nun müssen akribisch alle Erkenntnisse zusammengetragen werden, damit zügig geklärt werden kann, wer dahintersteckt und wie es überhaupt dazu kommen konnte.“

    Ausschreitungen waren zuletzt bei einigen Demonstrationen gegen rassistisch motivierte Polizeigewalt Thema. Lesen Sie mehr zu den Protesten und den Folgen in unserem Newsblog: George Floyd: Weiterer Polizist auf Kaution aus Gefängnis. (dpa/afp/fmg)