Essen. Dem Titelzusatz zum Trotz ist der Film „Annie - kopfüber ins Leben“ keine fröhliche Komödie, sondern ein nur scheinbar heiteres Drama.

Früher oder später kommt das in den besten Beziehungen vor: Zwischen Alltag und Arbeit bleibt die Leidenschaft füreinander auf der Strecke. Drehbuchautorin Dominique Lorenz seziert in „Annie“ eine in die Jahre gekommene Ehe. Die Titelfigur, von Bernadette Heerwagen als Sympathieträgerin um die vierzig aus der Nachbarschaft verkörpert, leidet schon seit einiger Zeit unter dem körperlichen Desinteresse ihres Ehemanns Ralf (Thomas Loibl).

Die beiden lieben sich, aber Sex ist kein Thema mehr. Später liefert Ralf die passende Vorlage für ihre Erklärung: Er kann nicht verstehen, dass Annie keine Verwendung mehr für den gemeinsamen Schlafzimmerschrank hat, der sei doch so praktisch gewesen. Genau so, sagt sie, habe sie sich zuletzt gefühlt: wie ein Teil des Inventars; praktisch, aber kaum noch wahrgenommen.

Realistisch erzählte Geschichte

Clever verpackt Lorenz diesen Dramenstoff zunächst als Beziehungskomödie: Beim gemeinsamen Wellness-Wochenende mit Freundin Tine (Kathrin von Steinburg) verbringt Annie eine Nacht mit Fitnesstrainer Raimund. Dummerweise bleibt der Seitensprung nicht ohne Folgen.

Annie arbeitet in einer Kinderwunschklinik (Michael Fitz spielt ihren sympathischen Chef) und hat dort tagtäglich mit Paaren zu tun, die alles tun würden, um Nachwuchs zu bekommen; eine Abtreibung käme nie für sie in Frage käme. Sie muss Ralf daher wohl oder übel die Wahrheit sagen, schließlich weiß der Gatte am besten, dass er nicht der Erzeuger sein kann. Seine Reaktion ist erst ungläubig und dann heftig: Er zieht aus.

Zu diesem Zeitpunkt ist aus der Komödie dem überflüssigen Titelzusatz zum Trotz („kopfüber ins Leben“) längst ein Drama geworden. Witzig ist die Geschichte im Grunde nur noch, wenn das Kind beim Namen genannt wird. Weil Ralf und Teenager-Tochter Cora (eine echte Entdeckung: Antonia Fulss) mit den gleichen Worten – „Das ist ein dicker Hund!“ – auf Annies Schwangerschaft reagiert haben, heißt das Baby fortan nur noch „der dicke Hund“.

Dialoge sind lebensnah

Ansonsten aber erzählen Lorenz und Regisseur Martin Enlen die Geschichte relativ realistisch und deshalb nur noch bedingt komisch: Weil sexuelle Kontakte mit Hotelgästen nicht gern gesehen sind, verliert Raimund seinen Job und zieht als WG-Partner bei Annie ein, doch das geht nicht gut, zumal Cora alles andere als begeistert ist. Brüskiert ist auch Tine, die die Schwangerschaft der Freundin als „fette Ohrfeige des Schicksals“ empfindet, schließlich versuchen sie und ihr Mann (Manuel Rubey) seit fünf Jahren vergeblich, ein Kind zu zeugen.

Trotzdem verströmt der Film mit seinen freundlichen warmen Farben (Kamera: Philipp Timme) weiterhin zumindest optisch die behagliche Atmosphäre eines Feelgood-Movies. Die Dialoge wiederum sind lebensnah und nachvollziehbar, zumal Lorenz gerade ihre Hauptfiguren ausnahmslos ernst nimmt. Bloß die nervigen Eltern bewegen sich am Rand der Karikatur, allen voran Ralfs Vater (Michael Lerchenberg), der angesichts der Zustände wiederholt „Sodom und Gomorra!“ zetert.

Seltsam nur, dass sich in solchen Filmen stets die Frauen vernachlässigt fühlen: Ralf bastelt lieber an seinem Motorrad, als sich Annies Sorgen zu widmen. Etwa der Frage, ob mit Cora irgendwas nicht stimme, weil die 15-Jährige lieber lernt, als mit Freunden abzuhängen. Er ist der Meinung, sie dramatisiere und suche nach Lösungen für Probleme, die es gar nicht gebe.

Solche Darstellungen ziehen sich durch erstaunlich viele Filme dieser Art. Möglicherweise spiegelt diese Einseitigkeit tatsächlich die Realität wider, aber vielleicht lässt sich das Phänomen auch mit der Zielgruppe erklären: Die ist überwiegend weiblich und zumindest bei ARD und ZDF im Schnitt 60plus.