Berlin. Unsere Reporterin ist süchtig nach Instagram, der Welt des leichten Scheins. Das neue Buch „Unfollow“ spricht ihr aus der Seele.

Nena Schink und ich haben eine Gemeinsamkeit: Wir beide sind süchtig. Süchtig nach Instagram. Genau wie Schink verbringe ich täglich rund zwei Stunden auf der Plattform. Das sind 672 Stunden jährlich. 28 Tage. Ein ganzer verdammter Monat, jedes Jahr.

Es ist also kein banales Thema, diese Social Media-Welt. Sie ist ein essenzieller Bestandteil im Leben vieler junger Menschen. 85 Prozent der 12- bis 17-jährigen Deutschen nutzen Instagram täglich. „Das sind ganz schön viele verlorene Stunden des Glücks“, schreibt Nena Schink. Die Journalistin hat ein ganzes Buch über ihre Sucht verfasst. Es ist am 31. Januar bei „Eden Books“ erschienen. In „Unfollow - Wie Instagram unser Leben zerstört“ beleuchtet die 27-Jährige auf mehr als 200 Seiten die Nachteile des sozialen Netzwerks Instagram.

Instagram: Frauen im digitalen Schönheitswettbewerb

Dass es davon unglaublich viele gibt, daran lässt sie keine Zweifel. Gerade Frauen und Mädchen, schreibt Schink, befänden sich in der Instagram-Welt in einem permanenten Schönheitswettbewerb. Sie vergleichen sich mit Influencerinnen, die ihr Sixpack präsentieren oder mit ihren weiß-gefilterten Zähnen in die Selfie-Kamera lächeln.

Pickel, Augenringe, Speckpölsterchen – stets fein säuberlich wegretuschiert. „Es ist gefährlich, dass Fake das neue Normal ist“, schreibt Schink. Natürlich ist mir das eigentlich bewusst. Ich habe Medienwissenschaften studiert, schätze meine Medienkompetenz als recht hoch ein und neige ohnehin nicht dazu, mich mit anderen zu vergleichen. Dennoch vergesse ich es manchmal, wenn ich wieder mal müde im Bus durch das verregnete Berlin zur Arbeit fahre und auf dem Smartphone eine Influencerin braungebrannt und durchtrainiert am weißen Sandstrand auf Bali rumhüpfen sehe.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Instagram, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Verlobungen sind bei Instagram beliebter als Uniabschlüsse

Schink übt scharfe Kritik am Frauenbild, das Instagram vermittelt. Familienfotos erhielten auf Instagram den meisten Zuspruch, sagt die Autorin. Frauen schreiben deshalb gerne direkt in ihre Profilbeschreibung, wie viele Kinder sie haben und dass sie verheiratet sind. Hashtag #wifey. „Es fehlt nicht mehr viel und sie schreiben in ihre Instagram-Biografie noch den Beruf ihres Mannes.“ Ich muss schmunzeln, denn ich habe tatsächlich Frauen im Bekanntenkreis, die genau diese Information bereits ihrem Profil hinzugefügt haben.

Aber eigentlich ist das nicht zum Schmunzeln. Bei Instagram werden Verlobungen und Schwangerschaften aufwendiger zelebriert als Uniabschlüsse und berufliche Aufstiege. In einer Welt, in der Likes die höchste Form der Anerkennung sind, könnte das für junge Frauen langfristig zum Problem werden. Schink schreibt: „Wir dürfen nicht länger tatenlos dabei zusehen, wie Instagram Mädchen dazu animiert, sich auf ihr Äußeres und ihr Leben daheim zu reduzieren.“

Instagram: Über Fremde lästern, statt Zeit mit echten Freunden zu verbringen

Insgesamt mache uns die Plattform zu schlechteren Menschen. Wir lästern über das, was wir täglich sehen, anstatt den Personen, die wir peinlich oder störend finden, einfach zu entfolgen. Wir beschäftigen uns mit Informationen von Menschen, die wir im wahren Leben nicht mal grüßen. Wir verschwenden kostbare Zeit, die wir viel besser in Beziehungen außerhalb der Insta-Blase investieren könnten.

Ja, ja, ja - Ich bekenne mich in allen Anklagepunkten schuldig.

Es gehört viel Mut dazu, so schonungslos ehrlich über die eigenen Instagram-Probleme zu schreiben. Den hat die Autorin in „Unfollow“, ihrem ersten Buch, bewiesen. Gleichzeitig fügt sie an einigen Stellen private Memoiren ein, die zur Thematik wenig beitragen. Zum Beispiel wenn sie im Kapitel „Instagram und die Freundschaft“ einen „Liebesbrief an die Mädchen ihres Herzens“ veröffentlicht. Kitschige Formulierungen wie „Ihr bedeutet die Welt für mich und seid die meine“ bräuchte das Buch für meine Begriffe nicht unbedingt und den Brief hätte Schink ihren Freundinnen auch privat überreichen können. Den Lesern hätte nichts gefehlt.

Influencer: Nena Schink taucht ein in die Fake-Welt der Instagram Blogger

Das Kapitel „Die Welt der Influencer“ ist dagegen sehr interessant für jeden, der sich mit Instagram auseinandersetzt. Schink teilt ordentlich gegen die aus, die im digitalen Paralleluniversum ihr Geld verdienen. Als Reporterin für das „Handelsblatt“ und die „Bunte“ hat sie so manche Influencerin hautnah erlebt. Im Buch entzaubert Schink die „aufgehübschte Instagram-Welt.“ Sie legt die knallharten Verkaufsstrategien hinter bezahlten Postings offen, berichtet von langweiligen Blogger-Partys, die nur im Netz nach viel Spaß aussehen, und beschreibt die Arroganz, mit der ihr einige Influencerinnen begegneten.

Kein entspannter Urlaubsschnappschuss: Nena Schink beschreibt in „Unfollow“, wie viel Zeit dieses Foto in Anspruch genommen hat. Heute schämt sich die Autorin für ihre digitale Selbstinszenierung.
Kein entspannter Urlaubsschnappschuss: Nena Schink beschreibt in „Unfollow“, wie viel Zeit dieses Foto in Anspruch genommen hat. Heute schämt sich die Autorin für ihre digitale Selbstinszenierung. © Privat | privat_HIGHRES

Vieles was ich in „Unfollow“ lese, ist nicht neu für mich. Die Autorin beschreibt Situationen aus ihrem eigenen Leben, die ich selbst nur allzu gut kenne: Angestrengt auf einer Luftmatratze posieren, anstatt den Urlaubstag zu genießen. Mit Freundinnen erst mal Fotos knipsen, bevor der Mädelsabend überhaupt beginnt. Das Hochzeitsvideo des Ex-Freundes anschauen, obwohl es seltsame Gefühle in mir auslöst. Alles schon gehabt, alles schon erlebt. Nena Schink, I feel you!

Sucht: Was tun gegen das ständige Verlangen nach Bestätigung?

Was also ist zu tun? Leider hat die Autorin kein Geheimrezept für ihre Leser und mich. Doch sie gibt Denkanstöße und kleine Tipps, die jeder beherzigen kann: Nur noch Personen folgen, deren Inhalte einen wirklichen Mehrwert bieten. Nachdenken, bevor man Bilder veröffentlicht. Das Handy einfach mal in der Tasche oder gleich ganz zu Hause lassen. Wie wäre es, die App schlicht und einfach zu löschen?

Schink bezeichnet Instagram zwar als eine „selbstzerstörerische App“ und lässt sich auf mehr als 200 Seiten darüber aus, wie unglücklich die Plattform uns macht. Doch ganz verzichten möchte Nena Schink auf ihr Profil, mit immerhin fast 5000 Followern, dennoch nicht.

Dass das ein wenig paradox ist, weiß die junge Journalistin selbst: „Schließlich möchte auch niemand ein Buch von einem Ex-Raucher lesen, der darüber schwadroniert, wie ihm der Nikotinentzug gelang, um dann kurz nach der Veröffentlichung des Buches direkt wieder zur Zigarette zu greifen.“

Nena Schink löscht ihr Instagram-Profil nicht

Nena Schink macht das auch, allerdings nicht immer: Zu ihrer Verteidigung schreibt Schink, dass sie sich dem digitalen Fortschritt nicht komplett verweigern will. Man könne ja auch ab und an ein Glas Wein trinken, ohne süchtig zu sein. An dieser These habe ich meine Zweifel. Jeder weiß: Wer einmal trocken ist, sollte nicht wieder zum Glas greifen. Und so sollte meiner Meinung nach auch jeder Instagram-Süchtige, der Plattform komplett entsagen, wenn er wirklich von ihr wegkommen möchte.

Nena Schink und ich, wir sind noch nicht bereit dazu. Genau wie ich postet Schink immer noch sehr regelmäßig, teilt banale Selfies in ihrer Story und kommentiert unter den Fotos von anderen. Unser Drang nach Selbstinszenierung – er scheint stärker als das Wissen, dass diese App uns nicht viel Gutes tut.

Auf meinem eigenen Instagram-Account poste ich übrigens meist Inhalte zu meinem Beruf:

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Instagram, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Fazit: „Unfollow“ ist eine wichtige Lektüre für die Instagram-Generation

Und dann sind da noch die Vorteile, die Instagram auch mit sich bringt und die im Buch recht kurz kommen. Ich halte über diese Plattform Kontakt zu Freunden und Bekannten in der ganzen Welt und konnte bereits einige Menschen in der virtuellen Blase kennenlernen, die nun auch mein Offline-Leben bereichern. Gerade als Journalistin nutze ich Instagram auch, um meine Texte zu verbreiten und über meine Arbeit zu informieren.

Obwohl „Unfollow“ diese Aspekte weitgehend außer Acht lässt und ich der Autorin nicht in jedem Punkt zustimme, hat mich das Buch weitergebracht. Schink hat mir nochmal vor Augen geführt, dass ich einige Nutzungsgewohnheiten überdenken muss. Vor allem die Zeit, die ich mit der App verbringe, will ich deutlich reduzieren. Zwei Stunden täglich sind schlicht und ergreifend zu viel. Das bleibt nach der Lektüre von „Unfollow.“

Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll, über die Tatsache, dass ich nicht die Einzige bin, deren Instagram-Nutzung außer Kontrolle geraten ist. Fakt ist: Ich bin eine von vielen. Sehr, sehr vielen. Deshalb ist dieses Buch wichtig. Wer einen Ratgeber sucht, wird hier nicht fündig. Aber alle, die sich selbst und ihre Sucht nach der digitalen Selbstbestätigung hinterfragen möchten oder die verstehen wollen, was in den Köpfen der Instagram-Generation vor sich geht, sollten „Unfollow“ lesen.

Social Media – mehr zum Thema:

Instagram selbst möchte den Schönheitswettbewerb auf der Plattform verhindern. Deshalb sollen „Likes“ abgeschafft werden. Der Videodienst TikTok macht Instagram Konkurrenz. Und sorgt bereits für politische Aufregung. Dennoch versuchen auch traditionelle Medien genau dort eine junge Zielgruppe zu erreichen. Selbst die Tagesschau hat einen TikTok-Kanal.