Berlin/Bozen. Der vor 5300 Jahren getötete Gletschermann Ötzi trug eine gedrehte Schnur bei sich. Nun haben Forscher ihre Bedeutung entschlüsselt.

Über keinen anderen Menschen der Jungsteinzeit wissen wir mehr als über „Ötzi“. Sein Mageninhalt, seine Krankheiten, seine Zähne – alles bis ins kleinste Details erforscht. Jetzt ist wohl ein weiteres Geheimnis der Gletschermumie gelüftet.

Die Schnur, die Ötzi bei sich trug, sei seine Bogensehne – und zwar nach Überzeugung der Forscher die weltweit älteste erhaltene. Das teilte das Südtiroler Archäologiemuseum am Dienstag in Bozen mit. Dort wird die Eismumie aufbewahrt.

Ötzi: Schnur des Gletschermanns war eine Bogensehne

Die als Bogensehne (r.) identifizierte Schnur aus dem Besitz von Gletschermann Ötzi liegt neben einer Kordel.
Die als Bogensehne (r.) identifizierte Schnur aus dem Besitz von Gletschermann Ötzi liegt neben einer Kordel. © dpa | Harald Wisthaler

Bisher war nicht klar, was die in Ötzis Köcher erhaltene Schnur genau für eine Funktion hatte. Forscher gingen davon aus, dass die mehrfach gedrillte Kordel aus Pflanzenfasern bestand. Nach Angaben des Museums haben die Wissenschaftler nun jedoch herausgefunden, dass sie aus Tierfasern gemacht und daher belastbar und als Sehne geeignet ist.

Die Forscher um Jürgen Junkmanns von der Universität Bern verglichen demnach jungsteinzeitliche Pfeile und Bögen mit Ötzis Ausrüstung. Dafür bekamen sie vom Museum eine „mikroskopisch kleine Faserprobe“ der Ötzi-Kordel.

Prähistorische Bogensehnen gehörten zu den seltensten Funden in archäologischen Ausgrabungen, hieß es. Für das Archäologiemuseum bedeute das einen weiteren Rekord. „Ötzis kunstvoll gedrillte Kordel und seine Jagdausrüstung sind weltweit die ältesten erhaltenen der Jungsteinzeit.“

Ersatzmaterial für eine weitere Sehne hatte er im Köcher

Der Köcher des Gletschermannes: Darin befand sich Material für eine Ersatzbogensehne.
Der Köcher des Gletschermannes: Darin befand sich Material für eine Ersatzbogensehne. © dpa | Harald Wisthaler

Ein weiteres Bündel aus tierischen Beinsehnen, das sich im Köcher befand, könnte Ersatzmaterial für eine weitere Bogensehne gewesen sein. Die Studie zu den Erkenntnissen wurde kürzlich im „Journal of Neolithic Archaeology“ veröffentlicht.

Der Köcher von Ötzi ist der einzige bekannte neolithische Tragebehälter für Pfeile. Er ist 86 Zentimeter lang und aus Rehfell oder Rehleder genäht. Eine Seite des Köchers ist mit einem Haselstock versteift, so das Südtiroler Archäologiemuseum.

Hinterrücks mit einem Pfeil ermordet

Ötzi lebte vor etwa 5300 Jahren und wurde von einer Gruppe von Verfolgern hinterrücks mit einem Pfeil niedergestreckt. Dieser durchtrennte die Hauptschlagader des Opfers. Schläge auf den Kopf waren zudem ebenfalls tödlich. Als er starb, war Ötzi 45 Jahre alt.

Deutsche Wanderer hatten die Eismumie im September 1991 in der italienisch-österreichischen Grenzregion in der Nähe des Tisenjochs auf 3210 Metern Höhe entdeckt. Von dort wurde er ins Museum nach Bozen gebracht.

Verwandt mit heutigen Bewohnern Korsikas und Sardiniens

Seither arbeiten Wissenschaftler daran, der Mumie möglichst viele Informationen zu entlocken. Neben dem Mord an Ötzi und immer mehr Details zur Ernährung – zuletzt aß er Steinbock – weiß man inzwischen auch, dass er Karies und leichte Parodontose hatte. Seine Augenfarbe (braun) und Blutgruppe (0) sind bekannt. Ebenso, dass der Gletschermann tätowiert war.

Eine Analyse seines Erbgutes ergab: Ötzi und die heutigen Bewohner im südlichen Korsika und nördlichen Sardinien haben gemeinsame Vorfahren. Vermutlich ist ein Teil dieser Vorfahren erst später nach Sardinien und Korsika ausgewandert – daher die Übereinstimmungen im Erbgut. Ötzi selbst lebte die meiste Zeit seines Lebens im Tiroler Eisacktal an der Alpensüdseite. Das ergaben Isotopenanalysen.

Ötzi litt an Borreliose – ausgelöst durch einen Zeckenbiss

Die Entschlüsselung seiner DNA zeigte: Der Gletschermann war stark herzinfarktgefährdet, aber nicht aufgrund mangelnder Bewegung oder schlechter Ernährungsgewohnheiten. Vielmehr war seine genetische Veranlagung ausschlaggebend: Ötzi hatte hohe Cholesterinwerte, litt an Arteriosklerose und Laktose-Intoleranz.

Außerdem machte ihm eine wohl durch einen Zeckenbiss ausgelöste Lyme-Borreliose zu schaffen. Es handelt sich um den ältesten dokumentierten Borreliose-Fall in der Menschheitsgeschichte, und den ersten Nachweis in einem nicht mehr lebenden Individuum überhaupt. (dpa/max)