Essen. „Die Hugenotten“ blickt zurück auf die Flucht der französischen Protestanten nach Deutschland. Deshalb ist die Doku so sehenswert.

„Aufbruch ins Ungewisse“ und „Die Ankunft in der Fremde“ lauten die Kapitel des zweiteiligen Doku-Dramas „Flucht im Namen Gottes“, das Arte am Samstag ausstrahlt. Die Geschichte von Verfolgung und der Hoffnung auf einen Neuanfang in der Fremde spielt in einer westeuropäischen Vergangenheit, die von der viel besungenen „Aufklärung“ noch Äonen entfernt scheint. Es geht um Glauben, um Religion und deshalb fast zwangsläufig um Politik, Macht, Einfluss.

1685 bekräftigt Frankreichs König Ludwig XIV. im Edikt von Fontainebleau den Katholizismus als Staatsreligion und beendet die Religionsfreiheit für die Protestanten im Lande, die mehrheitlich der radikalen, weit über Luther hinausgehenden Lehre des französischen Reformators Calvin folgen. Eigentlich ist nur die offene Glaubensausübung verboten, nicht die private Überzeugung, doch die Praxis sieht anders aus.

Furcht vor einer Verbreitung republikanischen Gedankenguts

Wer nicht konvertiert, ist Gewalt und Willkür ausgesetzt. Männern droht die Galeere, Frauen und Kindern die Umerziehung. Wer die Flucht wagt, riskiert sein Leben. Ludwig sieht in den Hugenotten, im Pluralismus überhaupt, eine Gefahr für die Monarchie, die ihre Macht ja gerade mit dem Katholizismus legitimiert, fürchtet eine Verbreitung „republikanischen“ Gedankenguts.

Denn die Hugenotten sind nicht mehr die einst verspotteten „kleinen Hugos“. Machthungrige Adelige begehren seit langem gegen den Thron auf, haben die protestantische Bewegung in eine politisch-militärische umfunktioniert.

Das Doku-Drama aus Spielszenen, exzellentem Archivmaterial und Aussagen von Wissenschaftlern oder Nachkommen blickt auch zurück auf Werden und Wachsen dieser Auseinandersetzungen „im Namen des Herrn“; auf das Gemetzel der Bartholomäus-Nacht 1572 etwa, auf die Gräuel und Folgen der „Hugenottenkriege“.

Doch vor allem konzentriert sich der Zweiteiler am Beispiel der Tuchmacher-Familie Loyal und zweier Kaufleute auf die Folgen von Fontainebleau und damit auf deutsche Territorien, in denen rund 40.000 meist hoch qualifizierte Hugenotten Schutz fanden.

Kurfürst in Brandenburg wirbt mit Glaubens- und Steuerfreiheit

Die Loyals machen sich auf den gefährlichen Weg nach Brandenburg. Der calvinistische Kurfürst Friedrich Wilhelm wirbt mit Glaubens- und Steuerfreiheit, um sein unter den Folgen des 30-jährigen Krieges leidendes Fürstentum wirtschaftlich voranzubringen und seine Position gegenüber der lutherischen Bevölkerung zu festigen.

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Andere haben es leichter. Kaufmanns-Sohn Boué errichtet in Hamburg ein Handelskontor, baut mit Senatshilfe eine Werft; ein Nachkomme wird später der bedeutendsten Hamburger Werft des 18. Jahrhunderts vorstehen, der „Französischen Schiffbauerei“.

Zu spät kommt an Frankreichs Hof die Erkenntnis, dass mit den Hugenotten auch wertvolle Expertise in Bereichen wie Handwerk/Manufaktur, Schiffsbau, Handel, Architektur, Wissenschaft verschwunden ist. Da sind sie schon alle hier, die Vorfahren von Theodor Fontane, Alexander von Humboldt, Karl Benz oder Ex-Bundesinnenminister Thomas de Maizière.

• Arte, Samstag, 23.11.2019, 20:15 Uhr.