Los Angeles. Joaquin Phoenix gibt in seinem neuen Film „Joker“ den irrlichternden Psychopathen – wie wird man so eine Rolle eigentlich wieder los?

Als römischer Kaiser Commodus war er in „Gladiator“ der mächtige Gegenspieler von Russell Crowe, in „Walk the Line“ als Country-Legende Johnny Cash absolut authentisch, ebenso in „The Master“ (2012) als traumatisierter Veteran des Zweiten Weltkriegs.

Jede dieser Rollen brachte ihm eine Oscar-Nominierung ein. Mit seiner furiosen „Joker“-Interpretation hat er diesmal große Chancen, den Oscar tatsächlich zu bekommen. Auf den diesjährigen Filmfestspielen in Venedig wurde „Joker“ mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Wir sprachen mit Joaquin Phoenix (44) in Los Angeles.

Mr. Phoenix, man hatte bisher den Eindruck, dass Sie Comic-Book-Verfilmungen gar nicht mögen. Als man Ihnen anbot, Hulk oder Doctor Strange zu spielen, haben sie jedesmal dankend abgelehnt. Was gab denn den Ausschlag, dass Sie diesmal beim Joker zugesagt haben?

Joaquin Phoenix: Mich hat es tatsächlich nie gereizt, bei den großen Marvel-Comic-Franchise-Movies mitzumischen. Denn da hätte ich als Hulk oder Doktor Strange gleich für mehrere Filme unterschreiben müssen und mich auf Jahre hinaus auf diese Rolle festlegen lassen. „Joker“ hingegen ist ein Film, der aus dem Muster der üblichen Comic-Bombast-Movies sehr deutlich herausfällt, denn eigentlich ist er ja eine Charakterstudie.

Er zeigt, wie aus einem psychisch angeschlagenen jungen Mann namens Arthur Fleck der Joker wird. Diese Entwicklung – oder Deformation, wenn man das so bezeichnen will – ist das Kernstück der Geschichte. Und das darzustellen, hat mich unheimlich fasziniert. Außerdem war von vornherein klar, dass es keinen weiteren „Joker“-Film mit mir geben wird.

Haben Sie keine Angst, manchmal zu weit zu gehen und damit den Zuschauer zu überfordern?

Um wirklich angstfrei spielen zu können, muss man sich von der Erwartung des Zuschauers völlig frei machen. Wenn ich vor der Kamera stehe, kommuniziere ich mit dem Regisseur und natürlich auch mit den anderen Schauspielern. Der Rest ist mir in dem Moment völlig egal. Gute Schauspielerei ist Jazz – nicht Mathematik. Die Schwierigkeit besteht darin, die richtige Balance zu finden. Verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich war das „Joker“-Drehbuch akribisch ausgearbeitet, dramaturgisch präzise und jeder Charakter, jedes Detail darin minutiös festgelegt. Das war das Sprungbrett. Dann musste man springen.

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Konnten Sie dieses furchtbar irre Lachen, das Sie im Film haben, nach dem Ende der Dreharbeiten schnell wieder loswerden?

Das hat in der Tat einige Zeit gedauert. Aber jetzt lache ich wieder ganz unbeschwert, wie Sie hören können. Ich gehöre nicht zu den Schauspielern, die sich von ihrer Rolle nur schwer lösen können. Natürlich waren diese Dreharbeiten sehr intensiv. Währenddessen habe ich mich fast ausschließlich mit der Rolle befasst.

Gedanklich und auch emotional. Der Joker wurde also in gewisser Weise mein Leben. Ich habe ihn gespielt, mit dem Regisseur darüber geredet, abends die neuen Texte für den nächsten Tag auswendig gelernt und dann etwas geschlafen. Am nächsten Morgen wieder ans Set. Ich habe mich während dieser Zeit mit niemandem getroffen, kaum telefoniert. Ich war auf einer strengen Diät, deshalb konnte ich mich nicht mal mit jemanden auf einen Drink oder zum Abendessen verabreden. Aber dann war Drehschluss – und jetzt ist der Joker Geschichte.

Als Joker haben Sie mit vielen inneren Dämonen zu kämpfen, müssen Ängste und Traumata verdrängen. Färbt so etwas nicht auch auf Sie persönlich ab?

Nein, nicht wirklich. Ich bin ein sehr fröhlicher und ausgeglichener Mensch. Allerdings habe ich oft das Gefühl, die Leute denken, ich sei voller Probleme und schrecklicher Erlebnisse, die mich ständig quälen und heimsuchen. Das hängt wahrscheinlich vor allem damit zusammen, dass mein Bruder River vor 26 Jahren einen tragischen Tod gestorben ist, bei dem ich Zeuge war. Und dass mein telefonischer Hilferuf, den ich damals machte, um so schnell wie möglich einen Krankenwagen zu bekommen, tagelang in den Medien immer und immer wieder abgespielt wurde. Das alles hat mich natürlich geschockt. Mit der Zeit bin ich aber darüber hinweggekommen.

Das klingt sehr abgeklärt für einen Hollywood-Star…

… lassen wir den „Star“ mal weg. Ich bin vor allem Mensch – ein suchender Mensch, der noch viele Fragen ans Leben hat. Aber ein paar Antworten habe ich schon gefunden. Früher habe ich, zum Beispiel, viel geraucht und auch sehr gerne Alkohol getrunken. Das mache ich schon lange nicht mehr. Für mich ist inzwischen sehr wichtig, dass ich mit meinem Körper im Einklang lebe. Wenn ich meinen Körper vernachlässige und mich zum Beispiel schlecht ernähre, hat das sehr schnell negative Auswirkungen auf meine Stimmung. Und es geht mir auch geistig schlecht. Im Gegensatz dazu fühle ich mich sehr wohl, wenn ich vegan esse, lange Spaziergänge mache und genügend Schlaf bekomme. Ich lebe sehr bewusst und intensiv. Und das meist weitab von Hollywood.