Berlin. In „Balanceakt“ spielt Julia Koschitz eine Powerfrau, Mutter und Ehefrau. Sie erhält plötzlich die Schockdiagnose Multiple Sklerose.

Julia Koschitz liebt ihren Beruf - das wird im Interview mit der durchweg sympathischen und sehr engagierten Frau schnell klar. Es fällt ihr leicht, von einem Dreh zum nächsten zu wechseln.

Mühelos schlüpft sie in die verschiedensten Charaktere, ihr Gesicht ist auf dem Bildschirm omnipräsent. Jetzt ist Julia Koschitz im ZDF-Drama „Balanceakt“ zu sehen.

Interview in der Drehpause von „Das schaurige Haus“

Geboren ist die 44-Jährige in Brüssel, wo sie die ersten fünf Jahre ihres Lebens verbrachte, dann zog ihre Familie nach Frankfurt. Nach dem Abitur ging Koschitz zum Studium ans Franz Schubert Konservatorium nach Wien - der Ursprungsheimat ihrer Eltern und auch sie hat einen österreichischen Pass.

Marie (Julia, Koschitz) hat wieder einen Krankheitsschub und kann nicht mehr richtig laufen.
Marie (Julia, Koschitz) hat wieder einen Krankheitsschub und kann nicht mehr richtig laufen. © ZDF und Petro Domenigg | Petro Domenigg

Bei ihren Engagements an verschiedenen Theatern zog sie quer durch die, vor allem südliche, Republik. Jetzt wohnt Julia Koschitz in München.

Zum Interview sprachen wir mit ihr während einer Drehpause bei der Jugendbuchverfilmung „Das schaurige Haus“ in den Bergen von Bad Eisenkappel in der Nähe der slowenischen Grenze.

Die Arbeit zu „Balanceakt“ ist für sie bereits zwei Jahre her. Koschitz hat inzwischen so viele Filme gedreht (s. Ende des Artikels), dass sie zunächst Mühe hat, sich an ihre Rolle als MS-erkrankte Frau zu erinnern.

Der Dreh zu „Balanceakt“ verlangte Ihnen einiges ab: Sie pinkeln in die Hose, sind ‘oben ohne’ zu sehen, lassen sich beschimpfen - gab es eine Szene, die Ihnen besonders schwergefallen ist?

Julia Koschitz: Oh je, der Dreh ist schon ne Weile her, da muss ich kurz nachdenken. Ich finde, es ist immer ein Drahtseilakt, wenn viel Leichtigkeit gefordert ist, wie z.B. in der Szene, in der David Rott und ich gekifft haben. Unkontrollierte Lachkrämpfe, vor solchen Szenen habe ich Respekt, weil sie einen schnell entlarven können.

Bei Ihrer Vorbereitung für den Film sprachen Sie mit drei an MS erkrankten Frauen. Was waren dabei die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie gewinnen konnten?

Koschitz: Die Diagnose hat die Frauen erstmal mit der Tatsache konfrontiert, dass sie sich und ihren Körper nicht mehr unter Kontrolle hatten. Ihr Alltag war nicht mehr in derselben Taktung fortzuführen, sie mussten ihr Leben und ihr Selbstbild ändern. Ungewissheit wurde plötzlich zu einem ständigen Begleiter.

Eigentlich ein Zustand, der jeden Menschen betrifft, nur können wir ihn sehr gut verdrängen. Ich hatte den Eindruck, dass die Krankheit einen auch ein Stück weit ehrlicher zu sich selber sein lässt. Und alle drei wollten auf keinen Fall als Opfer gesehen werden.

Marie (Julia Koschitz) ist bei ihrem Neurologen, Dr. Herbert Pritz (Dominik Warta). Die MRT-Bilder zeigen einen guten Verlauf ihrer Krankheit.
Marie (Julia Koschitz) ist bei ihrem Neurologen, Dr. Herbert Pritz (Dominik Warta). Die MRT-Bilder zeigen einen guten Verlauf ihrer Krankheit. © ZDF und Petro Domenigg | Petro Domenigg

Haben Sie in Ihrem persönlichen Umfeld auch Erfahrungen mit dieser Krankheit gemacht?

Koschitz: Nur ganz entfernt. Mit Mitte 20 habe ich zum ersten Mal von der Krankheit und der Angst vor dem nächsten Schub gehört - wie man in seiner Lebensführung versucht, den Stresspegel niedrig zu halten, um einen nächsten zu verhindern. Und immer stand die Frage im Raum, wie gut der Körper sich danach wieder regeneriert.

Stehen Sie sich am Set manchmal selbst im Weg? Regisseurin Viviana Naefe nennt sie „selbstkritisch“…

Koschitz: Dass ich nach einem Take das Gefühl habe „Das war´s!“ gibt es ganz selten. Der Selbstzweifel ist mein steter Begleiter, wobei ich es nicht als destruktiv empfinde, eher als einen Motor.

Sie tanzen sehr viel im Film, waren früher selbst eine leidenschaftliche Tänzerin. Sind diese Szenen Ihretwegen mit in die Geschichte eingeflossen?

Koschitz: Nein, das stand schon im Buch. Aber es stimmt, als Kind wollte ich Tänzerin werden, bis 16 habe ich intensiv getanzt. Heute ist es für mich leider zu einem erniedrigenden Erlebnis geworden, weil ich mich zu gut daran erinnere, was ich mal konnte (lacht).

„Der letzte schöne Tag“, „Schweigeminute“… Sie schlüpfen oft in sehr komplexe Frauenrollen. Wählen Sie diese Charaktere bewusst aus?

Koschitz: Bei meiner Rollenauswahl achte ich auf Abwechslung und in erster Linie auf die Qualität des Buchs, aber auch auf den Regisseur und die Kollegen. Ich glaube, dass selbst einen einfachen oberflächlichen Menschen darzustellen, eine große Herausforderung sein kann.

Wer würde Sie privat auffangen, wenn Sie ein solches Schicksal, wie das ihrer Rolle Marie, ereilen würde?

Koschitz: Meine Freunde, mein Partner, meine Familie. Wir leben zwar alle etwas verstreut, mein Bruder z.B. lebt in Amerika, meine Mutter in Wien, mein Vater in Frankfurt, aber trotzdem haben wir alle eine sehr gute Verbindung. Ich würde auffangen, aber auch aufgefangen werden. Das größte Geschenk, dass man in so einer Situation haben kann.

Sie drehen ja sehr viel – könnte das ein Grund sein, warum man so wenig Privates über Sie im Netz findet?

Koschitz: Ich rede lieber über meinen Beruf als über mein Privatleben. Glauben Sie mir, es ist auch nicht so interessant. Und Zeit für Privates nehme ich mir immer wieder. Nach diesem Dreh habe ich z. B. eine längere Pause.

Ich war die letzten Monate viel weg und freue mich jetzt auf Zuhause, meine Freunde, darauf, meinen Tag frei gestalten zu können und zumindest auf das Gefühl, meine Steuererklärungen irgendwann erledigt zu haben.

Dieser Text ist zuerst auf goldenekamera.de erschienen.

• „Balanceakt“: ZDF, Montag, 26. August, 20.15 Uhr