Berlin. Bei Maybrit Illner hat die junge CDU-Politikerin Diana Kinnert ihrer eigenen Partei ein verheerendes Zeugnis ausgestellt. Die CDU agiere behäbig und selbstzufrieden.

Diana Kinnert ist nicht das, was man sich unter einer klassischen Konservativen vorstellt: Sie ist jung, tätowiert, kreativ – und vertritt Positionen, die auf den ersten Blick nicht gerade mit den Unions-Parteien in Verbindung gebracht werden.

Etwa Fragen nach Biodiversität, Bildungsgerechtigkeit, den humanitären Verpflichtungen gegenüber Menschen, die wegen des Klimawandels ihre Heimat verlassen müssen. Doch gerade weil Kinnert eben über solche Themen spricht, passt sie so gut in die Runde von Maybrit Illner.

Maybrit Illner über das Wahl-Desaster von Union und SPD

Nicht Politiker aus der ersten Reihe saßen dort am Donnerstagabend. Sondern Aktivisten und Parteimitglieder, deren Zeit entweder abgelaufen ist – oder denen keine Karriere in der ersten Reihe der Politik bevorsteht. Die offen, ohne den machttaktischen Blick, über die Probleme der Volksparteien sprechen können.

Maybrit Illner – das waren die Gäste:

• Diana Kinnert, CDU-Politikerin und Buchautorin

• Florian Diedrich (LeFloid), Youtuber und Blogger

• Johanna Uekermann, SPD-Parteipräsidium

• Carla Reemtsma, „Fridays for Future“

• Claudia Kade, Journalistin

• Hans-Ulrich Jörges, Journalist

• Ruprecht Polenz, früherer CDU-Generalsekretär

• Gesine Schwan (SPD, Politikwissenschaftlerin

„Das GroKo-Desaster – falsche Themen, falsche Antworten?“ lautete das Thema der Sendung dazu. Und Diana Kinnert, der jungen Konservativen, fiel es nicht schwer, diese Frage mit „ja“ zu beantworten.

Diana Kinnert: „Parteien bewegen sich zu oft in Parallelwelten“

Ihrer Partei, der CDU, stellte sie ein verheerendes Zeugnis aus. Man habe den Zugang zur U30-Generation verloren, die Union setze auf die falschen Themen, man agiere behäbig und selbstzufrieden.

„Unsere Politikkonzepte werden einfach nicht angenommen und davon wird nun abgelenkt“, sagte die 28-Jährige mit Blick auf Äußerungen von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die von „Meinungsmache“ im Internet sprach. Gemeint war der Youtuber Rezo mit seinem Anti-CDU-Video im Vorfeld der Europawahl und der Wahlaufruf von Rezo und mehr als 70 Youtubern im Anschluss.

Kommentar: Rezo-Video: Was Kramp-Karrenbauer nicht verstanden hat

Das Problem, sagte Kinnert, sei aber ein anderes: Parteien bewegten sich mit ihren Strukturen zu oft in Parallelwelten. „Divers geht’s da nicht zu“, sagte sie. Eine Analyse, der wohl auch die ehemalige Juso-Vorsitzende Johanna Uekermann zustimmen konnte.

Juso-Vorsitzende: Man weiß nicht mehr, wofür die SPD steht

Die Union wurde am Sonntag vom Wähler gerupft, die SPD dagegen fast pulverisiert. „Das ist ein scheiß Gefühl“, sagte sie. Uekermann legte den Finger auch gleich in die Wunde: Man wisse nicht mehr, wofür die SPD steht, in sozialen Fragen habe man die Glaubwürdigkeit verloren, es gebe nur „Wischi-Waschi“. Und: „Wir haben viel zu wenig junge Leute bei uns in den Reihen“.

Leute wie die „Fridays for Future“-Aktivistin Carla Reemtsma oder den YouTuber Florian Diedrich, auch bekannt als „LeFloid“. Beide jung, beide politisch. Auch sie saßen in Illners Runde als Vertreter jener Generation, die mit ihren Themen – der Kampf gegen den Klimawandel und die Freiheit im Netz – aktuell die Debatte bestimmen.

Youtuber LeFloid: Parteien zu ambitionslos

„In der Politik werden gerade nicht die Fragen beantwortet, die junge Menschen beschäftigen“, sagte Reemtsma. Es gebe planetare Grenzen, ein enges Zeitfenster, das habe die Politik bis heute nicht begriffen. Auch Youtuber „LeFloid“ meinte, dass die Parteien – allen voran die großen – zu ambitionslos seien.

Es fehlten Diskussionen, Streit – und eben auch mal der Mut zu ungewohnten Maßnahmen wie einer Minderheitsregierung. Klimaaktivistin Reemtsma warnte gleichwohl davor, die Erwartung an Politik zu sehr mit Koalitionen zu verknüpfen. Es gebe Abkommen, die gelten – egal, für welche Regierung.

Ex-CDU-Generalsekretär fordert Preis für CO2

Das klangt nicht jugendlich-naiv, sondern durch und durch überlegt. Kein Wunder also, dass die „Alten“ in der Runde – die SPD-Politikerin Gesine Schwan und der ehemalige CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz – voller Respekt über die Aktivisten sprachen.

Schwan kritisierte die Parteien für ihre Neigung, Probleme zunächst aus einer Machterhalts-Perspektive zu betrachten. „Bewegungen wie Fridays for Future sind eine große Hilfe, dieses Koordinatensystem zu verändern“, sagte sie. Ex-CDU-General Polenz lobte die Klima-Debatte und sprach sich für eine Bepreisung von CO2 aus – eine Forderung, die vom Wirtschaftsflügel seiner Partei mit Nachdruck bekämpft wird. Noch.

Wie geht’s weiter mit den Regierungsparteien?

Denn klar ist: Die politische Landschaft ist im Wandel. Das Thema Klimawandel bewegt die Menschen – und es entscheidet Wahlen. Im Westen kämpfen Union und Grüne um die Vorherrschaft, im Osten trifft die AfD als neue Volkspartei auf. Die SPD dazwischen droht zerrieben zu werden.

„Welt“-Politikchefin Claudia Kade und „Stern“-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges, die von Maybrit Illner abseits der Runde mehrmals um Einschätzung geboten wurden, zeichneten ein negatives Bild der Regierungsparteien.

Die Sozialdemokratie drohe unterzugehen, sagte Kade. Sie streite schon wieder über Personen – und nicht über Inhalte. Jörges meinte, die CDU und ihre Vorsitzende seien auf einem denkbar schlechten Weg. Kramp-Karrenbauer habe sich den Konservativen in der Partei angedient – ein Fehler.

Landtagswahlen im Osten könnten Schicksal der GroKo entscheiden

Mit Blick auf den Aufstieg der AfD im Osten sagte Jörgen: „Im Osten sehen wir das Ergebnis der westdeutschen Ignoranz.“ Der Osten sei nach wie vor die Werkbank des Westens. Man habe zwar Geld überwiesen, sich aber nie um die Probleme vor Ort gekümmert. Dass die AfD in Sachsen so stark sei, könne niemanden überraschen. Dort habe auch die NPD im Landtag gesessen.

Und ausgerechnet im Osten – in Sachsen, Thüringen und Brandenburg – stehen im Herbst Landtagswahlen an. Wahlen, die über das Schicksal der Großen Koalition entscheiden könnten. CDU-Mitglied Diana Kinnert ist überzeugt, dass es der Union gelingen kann, bis dahin wieder auf die Beine zu kommen. Wenn sie endlich Dinge wie Klima, Mobilität, Digitalisierung, Diversität in den Fokus rücke. Sie hätte auch sagen können: ihre Themen.