Berlin. Globuli oder Bachblüten, Akupunktur oder Schröpfen – die alternative Medizin kam bei „Maischberger“ nicht gut weg. Impfgegner aber auch nicht.
Hört man Karl Lauterbach bei „Maischberger“ zu, würde wohl jeder seine Zuckerkügelchen sofort in den Ausguss schütten. „Alles Unsinn“, sagt der Arzt und SPD-Gesundheitspolitiker, der auf unterhaltsame Weise die Methoden der Naturheilkunde niedermacht.
Fast sieht es so aus, als würde er sich schütteln, wenn er nur das Wort „Zuckerkügelchen hört“. Es läuft beim Talk mit Sandra Maischberger also nach Plan: Der Mediziner will eine Medizin, die nicht nur wirkt, sondern deren Wirkung auch wissenschaftlich belegt ist. Damit kann die Heilpraktikerin Ursula Hilpert-Mühlig nicht aufwarten. Ihre Medizin wirke, warum – nun ja. So richtig konnte sie das nicht erklären.
Egal, der Präsidentin des Deutschen Heilpraktikverbandes möchten viele gerne glauben. Wie die Wettermoderatorin Claudia Kleinert. Für sie heißt Schulmedizin „mit Kanonen auf Spatzen schießen“, was so viel bedeuten soll: Ärzte verschreiben immer gleich Antibiotika oder operieren.
„Maischberger“ über Naturheilkunde – das waren die Gäste:
• Claudia Kleinert (ARD-Wettermoderatorin)
• Oxana Giesbert (Sohn starb nach Masernerkrankung)
• Karl Lauterbach (SPD-Gesundheitsexperte)
• Natalie Grams (Ärztin und ehemalige Homöopathin)
• Ursula Hilpert-Mühlig (Heilpraktikerin)
• Jacqueline Klaus (Vater starb nach Wunderheiler-Therapie)
„Maischberger“-Talk: Lauterbach kann kaum an sich halten
Kleinert hat ihre Mandelentzündung mit Globuli in den Griff gekriegt, das reicht ihr erstmal an Beweis. Vor dem Fernseher werden ihr reichlich Leute zustimmen, doch in dieser Runde wird die Meteorologin von den meisten belächelt.
Lauterbach kann ohnehin kaum an sich halten, wenn von Bachblüten oder Schröpfen die Rede ist. Es sieht so aus, als wäre er kurz davor loszuglucksen oder die Augen zu verdrehen.
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Warum eine Homöopathin vom Glauben abfiel
Ebenfalls leicht amüsiert über das Vertrauen in Globuli und Co. zeigt sich eine Ärztin und – interessanterweise – ehemalige Homöopathin: Natalie Grams heißt die Frau, die einst ihren Patienten selbst die „sanften Helfer“ anpries – und plötzlich vom Glauben abfiel.
Als sie nämlich ein Buch schreiben wollte, über das, was ihren Patienten über Jahre so gut getan hat. Weil ihr keine Studie bekannt war, die eine Wirkung wissenschaftlich aufzeigte, verdammte sie die Kügelchen ins Reich der Legende. Genau wie Lauterbach ließ sie kein gutes Haar an den Mitteln, die von Millionen Menschen eingenommen werden und die darauf schwören, dass sie helfen.
Selbst gesungenes Seemannslied statt Chemotherapie
Es ist bei „Maischberger“ also alles wie immer in dieser Diskussion: Alles Humbug, aber beliebt wie nie. Leider – jedenfalls aus Lauterbachs Sicht. Und wenn man ihm auch so gerne mal sagen möchte, dass in der Schulmedizin auch nicht alles bestens ist – an diesem Abend stimmt man ihm zu, vor allem, weil die Beispiele so drastisch sind.
Jaqueline Klaus erzählt von ihrem Vater, einem Mathematiker, der an Krebs erkrankt war und sich von einem Heiler behandeln ließ. Statt Chemotherapie empfahl der Heiler, dass der Schwerkranke rund um die Uhr ein von ihm gesungenes Seemannslied hören sollte. Was er auch tat.
Prominente Kämpfer gegen den Krebs
Betroffene spricht von „Hirnwäsche“ und „Esoterik“
Die Tochter kann es bis heute nicht fassen, dass sich ihr Vater aus Angst vor der Chemo darauf eingelassen hat. „Diese Scharlatane bieten für schwierigste Krankheitsbilder einfache Lösungen an.“ Sie spricht von „Hirnwäsche“, von „Esoterik“. Einige Jahre habe ihr Vater keinerlei Symptome gehabt und sehr gut gelebt, er habe sogar wieder geheiratet. Doch dann sei der Krebs zurückgekommen.
Im Gesicht, am Hals wuchsen die Geschwülste. Sein Leid sei unerträglich gewesen. Doch Morphium gab es nicht. Nur das nervtötende Lied des Heilers.
Mutter verlor ihren Sohn nach Masernerkrankung
Da nickt Lauterbach, der aber auch ein bisschen so aussieht, als könnte er nicht fassen, dass Menschen sich freiwillig auf so etwas einlassen. Auch für ein anderes Thema fehlt ihm das Verständnis: Impfverweigerung.
Lauterbach ist für Impfpflicht bei Masern. Und wer dieser Frau zuhört, wird Lauterbach wieder und wieder Recht geben: Oxana Giesbrecht erzählt von ihrem Sohn Micha, der in einer Kinderarztpraxis von einem nicht-geimpften Kind angesteckt wurde.
SSPE: Sohn Micha wurde nur 14 Jahre alt
Micha, der mit sechs Monaten noch zu jung war, um gegen Masern geimpft zu werden, überstand die Krankheit zunächst. Doch dann, fünf Jahre später, zeigten sich Symptome. Er konnte nicht mehr sprechen, er stolperte. Die Ärzte diagnostizierten die schwere Hirnhautentzündung SSPE. „Er wird sterben“, hieß es.
Fast neun Jahre war Micha ein Pflegefall. Gelähmt, taub, blind. Mit 14 Jahren war sein Leben zu Ende.
Schwere Impfkomplikation nur bei einem von einer Million Fällen
Der Bericht der Mutter war so bewegend, dass die Talkshowgäste wie erstarrt dasaßen. Die Diskussion darüber, ob impfen gefährlich sei, konnte Lauterbach auch ganz schnell abräumen: Eine schwere Impfkomplikation gebe es bei einem von einer Million Geimpften. „Wenn man sich aber nicht impfen lässt, ist das Risiko tausendmal so hoch.“
Ein Argument, das überzeugte. Doch Impfpflicht? Der Druck sei zu hoch, man sollte es erstmal durch Aufklären probieren, sagt Claudia Kleinert. „Aufklärung?“, sagt Lauterbach. „Das klappt nicht.“ Warum nicht?
Vielleicht weil, wie die Heilpraktikerin Ursula Hilpert-Mühlig sagte, viele ihrer Patienten deshalb zu ihr kommen, weil sie von den Ärzten enttäuscht waren. Oder weil sie sie oft gar nicht verstanden hatten. (Petra Koruhn)
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