Heilbronn. Vor mehr als einem Jahr wurde der 7-Jährige Ole T. von seiner Babysitterin umgebracht. Nun steht das Urteil gegen die Pflegeoma fest.

Ole T. wäre jetzt acht Jahre alt, würde schwimmen lernen, Tennis spielen und abends „Tom und Jerry“ schauen, das mochte er besonders gern. Aber am 27. April starb der Junge unter der Aufsicht der Frau, die jahrelang auf ihn aufpasste. Jetzt steht das Urteil fest: Elisabeth S. muss für zehn Jahre und sechs Monate ins Gefängnis.

Sie wird für Totschlag verurteilt, nicht für Mord, wie die Staatsanwaltschaft zunächst gefordert hat. Dass der Richter das Strafmaß von 15 Jahren für Mord nicht ausschöpfte, liegt offenbar an einer Depression, unter der die Angeklagte während der Tat gelitten haben soll.

„Objektiv haben sie einen Mord begangen“, sagt Richter Roland Kleinschroth in Richtung der Angeklagten in der Urteilsverkündung. „Aber Sie sind keine Killer-Oma und kein Monster.“ Sie habe aber die Verantwortung für den Tod des kleinen Ole.

Er betonte, dass dieses Verfahren einzigartig sei. Es habe Verhandlungstage gegeben, die unterbrochen wurden, weil alle im Raum geweint haben. „Dass wir Sie für Totschlag verurteilt haben, zeigt, dass wir anerkennen, dass Sie krank sind.“ Außerdem glaubte der Richter, dass sich die Täterin nicht mehr vollständig an die Tat erinnern kann.

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Gerichtsmediziner: Junge wurde mehrfach gewürgt

Das Ereignis liegt fast ein Jahr zurück. Am 27. April 2018 gaben die Eltern Susanne und Jens T. ihren Sohn bei der Babysitterin in Künzelsau ab. Sie wohnte nicht weit, die Mutter beschrieb die Entfernung so: „Etwa 20 Minuten zu Fuß mit den kleinen Beinen von Ole.“

Seit der Junge ein Jahr alt war, kannte er die Frau. Er fühlte sich wohl bei ihr, nannte sie „Oma“. Doch als die Eltern ihn am Morgen abholen wollten, machte niemand die Tür auf. Ein Nachbar öffnete dann den Eltern, die ihren Sohn in der Badewanne fanden, bereits in der Leichenstarre. Ein Gerichtsmediziner sagte vor Gericht, dass der Junge mehrfach gewürgt worden sei.

Die Angeklagte (M) zu Beginn des Prozesses gegen sie im Gerichtssaal in Heilbronn.
Die Angeklagte (M) zu Beginn des Prozesses gegen sie im Gerichtssaal in Heilbronn. © dpa | Roland Böhm

Als der Vorsitzende Richter Roland Kleinschroth das Verfahren Ende November eröffnete, ging er davon aus, dass es wohl über die Weihnachtstage andauern werde. Er rechnete damals allerdings nicht mit den insgesamt 14 Verhandlungstagen, die es dann doch brauchte.

Das lag unter anderem an mehreren psychologischen Gutachten, die zur Schuldfähigkeit der Angeklagten herangezogen wurden. Ein erstes Gutachten hatte die Verteidigerin von Elisabeth S., Anke Stiefel-Bechdolf, als „mangelhaft“ bewertet. Immerhin ein Wunsch des Richters vom Beginn des Verfahrens ging in Erfüllung: Im Januar äußerte sich Elisabeth S. gegenüber einem Arzt.

Ole T. kam seit Einschulung immer seltener zu Besuch

Ihre Schilderung der Tatnacht aber brachte wenig Licht ins Dunkel. Elisabeth S. erzählt vom Fernsehen („Tom und Jerry“), vom Abendessen („Würstchen und Mais“) und, was sie Ole vorgelesen hatte („Stadtmaus und Landmaus“). Doch später in der Nacht soll der Junge aufgewacht sein. „Ich denke, er war wach, als er so schwer geatmet hat“, sagt sie. „Ich habe ihn überall gedrückt und geschüttelt. Ich muss ihn auch am Hals gedrückt haben.“

Als Krankenschwester, so der Nebenklägervertreter skeptisch, hätte sie den Unterschied wissen müssen zwischen Reanimation und Würgen. Die Male am Hals seien aber eindeutig: Das Kind wurde erwürgt.

Als Motiv sieht die Anklage Angst der Frau, den Jungen zu verlieren, weil sie nicht mehr auf ihn aufpassen dürfe. Der Junge kam seit seiner Einschulung im Jahr 2017 immer seltener zu Besuch. Die Nebenklage hatte ebenfalls gefordert, die Pflegeoma wegen Mordes zu verurteilen, hat aber keinen eigenen Strafantrag gestellt. Die Verteidigung allerdings hielt einen Mord für abwegig und plädierte auf fahrlässige Tötung.

Richter Kleinschroth achtete während des gesamten Verfahrens darauf, dass die besondere Situation der Eltern einbezogen wird. Ole war ihr einziges Kind. „Sie können sich sicher sein“, sagt er, „dass wir, ja, dass dieses Land Anteil an Ihrem Leid nimmt.“

Die lange Verhandlung sei schwer für sie, das haben die Eltern einmal über den Anwalt ausrichten lassen. Als die Mutter hörte, dass es im Februar doch nicht zum Urteil kommt, sei sie auf der Straße zusammengebrochen. Doch die Verlängerungen seien nötig gewesen, um offene Fragen zu klären.

„Er war Ihr Lichtblick“

Die Angeklagte sitzt während der gesamten Urteilsverkündung mit gesenkten Kopf im Landgericht Heilbronn. Ihre weißen Haare bedecken ihre Wangen. Erst gegen Ende der Urteilsverkündung spricht der Richter sie direkt an. Er erzählt von ihrer heimlichen Beziehung zu einem Diplomaten, von intimen SMS, aber auch von einer schleichenden Depression, die Elisabeth S. versuchte, zu verdrängen.

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Ihr Mann war gestorben, ihr Sohn schwer krank und sie verlor die Stelle als Vorlese-Oma. „Aber immer, wenn Ole bei Ihnen war“, sagt der Richter, „ging es Ihnen eigentlich gut — er war Ihr Lichtblick.“

Die Verteidigung sagte, es fehle das Motiv. Doch dem folgte der Richter nicht. Kleinschroth sagt: „Das Motiv war: Mir ist gerade alles zu viel.“ Deshalb habe die Frau den kleinen Jungen mit ihren Händen erwürgt, mindestens drei Minuten lang. Um zu zeigen, wie lang drei Minuten sein können, stellte der Richter eine Eieruhr auf das Pult. „Ich will zeigen, wie lange sie zugedrückt haben müssen“, sagt er und fügt in Richtung der Eltern an: „Wir gehen davon aus, dass Ole tief geschlafen hat und die Einwirkung nicht gespürt hat.“

Als die Polizei am nächsten Morgen, am 28. April, eintraf, machte sie ein Foto, dass allen, die das Verfahren begleitet haben, nicht mehr aus dem Kopf gehen wird. Es zeigt die Mutter, die neben ihrem toten Sohn auf dem Teppich liegt, als versuche sie ihn zu wärmen. Im Protokoll heißt es, weder Polizei noch Sanitäter vermochten, die beiden zu trennen.