Berlin. Im Rostocker „Polizeiruf 110“ muss sich Kommissar Bukow einem schrecklichen Verdacht stellen: Ist sein Sohn in einen Mord verwickelt?

Die Stoffeligkeit des TV-Ermittlers Alexander Bukow (Charly Hübner) sucht in der Armee der TV-Ermittler ihresgleichen. In der neuen Episode des Rostocker „Polizeirufs 110“ ist sie in schönster Pracht zu bewundern.

Allerdings ist das Raubeinige in der „Kindeswohl“ betitelten und glänzend inszenierten Folge (Drehbuch: Lars Jessen, Christina Sothmann; Regie: Lars Jessen) noch viel mehr als sonst ein Schutzschild gegen die Außenwelt.

Die bedrängt ihn diesmal mit voller Wucht: Es geht um Erziehungsfragen und den Umgang mit seinem Sohn Samuel (Jack Owen Berglund). Den muss er nach nächtlichem Rowdytum zunächst von der Polizeistation abholen – dann ist er ganz verschwunden. Er war, wie sich herausstellt, vorher noch an einem Tatort. Der Leiter eines Heims für schwer erziehbare Jugendliche ist im Wald erschossen worden. Nun fehlt nicht nur von Samuel Bukow, sondern auch von Keno, einem aufsässigen Heimkind (Junis Marlon), der schnell als Hauptverdächtiger gilt, zunächst jede Spur.

Bukow bollert und bellt – noch mehr als sonst

Und Alexander Bukow bollert und bellt fortan wie ein gereizter Wachhund durch die Szenerie. Der von privaten Verwicklungen kontaminierte Fall ist eine Einladung an die Drehbuchschreiber, die zwischenmenschlichen Spannungsfelder abzumessen, die im Rostocker Polizeirevier herrschen und die den „Polizeiruf 110“-Kriminal­filmen mit Bukow von Beginn an eingeschrieben sind.

Bukows Vorgesetzter (Uwe Preuss) versucht gar nicht erst, den nur formell suspendierten Ermittler von der Suche nach dem Mörder fernzuhalten und macht Bukows Partnerin Katrin König (Anneke Kim Sarnau) zu seiner Aufpasserin. Der beinah flehentliche Appell vom Boss („Wir sind doch eine Familie“) geht dabei locker als ironischer Kommentar zu den ­dysfunktionalen Sozialstrukturen durch, die einem hier allenthalben begegnen.

Eine zweite Erzählspur führt nach Polen

„Kindeswohl“ erzählt auf intensive Weise davon, wie der Staat daran scheitert, sich um die durch das Raster des Benimms und der Systemverträglichkeit fallenden jugendlichen Delinquenten zu kümmern. Auf einer geschickt gegen die Geschehnisse in Rostock montierten zweiten Erzählspur berichtet der Film von den Ereignissen auf einem polnischen Bauernhof. Dort lebt ein Junge, der die Sprache der Einheimischen nicht spricht, aber von den deutschen Behörden dennoch in dieses karge Leben geschickt wurde. 850 Kinder aus Deutschland sind derzeit in Pflegefamilien im europäischen Ausland untergebracht, informiert der Abspann dieses „Polizeirufs“.

Der noch nie vor der Tristesse ­abseits von Boomregionen und blühenden Landschaften zurückschreckende Nordost-„Polizeiruf“ ist in seiner neuen Ausgabe so grau und hässlich wie wohl noch nie. Am Ende stellt sich für Bukow, der ohnehin nur seinen Sohn heil wieder haben will, und für seine Kollegin König sowieso nicht die Frage, warum der auf harte Erziehungsmethoden stehende Heimleiter sterben musste, sondern warum die Welt solch ein Jammertal ist. (Thomas Andre)

Fazit: Top-Folge – mit tollen Schauspielern.

• „Polizeiruf 110: Kindeswohl“, ARD, Sonntag, 7. April, 20.15 Uhr