Berlin. Die Bundesärztekammer legt ihre Fehlerstatistik vor: Patienten beklagten sich im vergangenen Jahr 10.800 Mal wegen Behandlungsfehlern.

Die Frage war, ob dem 63-jährigen Patienten ein Plastikröhrchen neben der Harnröhre entfernt worden war oder nicht. Der Arzt im Krankenhaus hatte das Röhrchen – in der Fachsprache eine Harnleiterschiene – schon einen Tag nach der Operation herausgezogen. Das war auch in der Krankenakte vermerkt. Im Entlassungsbrief aber stand, dass das Röhrchen noch im Körper sei.

Der Urologe, der in seiner Praxis die weitere Betreuung übernehmen sollte, versuchte also mit großem Aufwand, das Plastikteil zu finden. Der 63-Jährige musste eine relativ schmerzhafte Untersuchung über sich ergehen lassen, auch ein Röntgenbild wurde angefertigt. Der Patient bekam schließlich Schadenersatz zugesprochen. „Das war eine völlig unnötige Prozedur“, urteilt Walter Schaffartzik. „Da hat jemand nicht gut genug in die Akten des Patienten geschaut.“

Schaffartzik ist Vorsitzender der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern. Er und seine Kollegen kümmern sich um Behandlungsfehler oder besser: um Beschwerden von Patienten, die bei sich einen ärztlichen Fehler vermuten.

Behandlungsfehler: 10.800 Patienten beantragten Schlichtungsverfahren

Im vergangenen Jahr stellten 10.800 Patienten einen Antrag auf ein sogenanntes Schlichtungsverfahren, damit dem Verdacht auf Fehler nachgegangen wird. Die Zahl gab die Bundesärztekammer bekannt. Das sind weniger Beschwerden als 2017 und deutlich weniger als 2013, als es den bisherigen Höchststand von 13.000 Beschwerden gab. Für die Patienten sind die Verfahren kostenlos.

Warum weniger Patienten bei sich einen Behandlungsfehler vermuten, ist unklar. Die Experten der Ärztekammer sehen einen Zusammenhang mit dem 2013 in Kraft getretenen Patientenrechtegesetz. Die öffentliche Aufmerksamkeit habe seitdem wieder abgenommen.

Sie verweisen aber auch darauf, dass Ärzte mehr Bewusstsein für die Fehlervermeidung entwickelt hätten. Seit Jahren setze man sich für einen offenen Umgang mit Fehlern ein, sagt Andreas Crusius, Vorsitzender der ärztlichen Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen: „Allein in den ersten Monaten dieses Jahres wurden mehr als 130 von den Ärztekammern zertifizierte Fortbildungsmaßnahmen zur besseren Kommunikation zwischen Ärzten angeboten.“ Im konkreten Fall hätte bessere Kommunikation geholfen, dass dem Patienten die schmerzhafte Suche nach dem Röhrchen erspart geblieben wäre.

Hintergrund: Rechtsmediziner beklagen Tausende fehler bei Leichenschauen

Pro Jahr gibt es 20 Millionen Behandlungen in Kliniken

Gemessen an jährlich rund 20 Millionen Krankenhausbehandlungen und an den etwa eine Milliarde Kontakten von Ärzten und Patienten in den Praxen ist die Zahl der Fehler sehr gering. In nur 1499 Fällen wiesen die ärztlichen Gutachter schließlich nach, dass Patienten ein gesundheitlicher Schaden entstand. Am häufigsten geschah dies bei der Behandlung von Knochenbrüchen, bei Knie- und Hüftoperationen und bei der Behandlung von Brustkrebs.

Bei den meisten ließen sich die Folgen durch weitere Behandlung beseitigen. Viele Patienten aber müssen mit den Folgen leben: 462 Menschen haben dauerhaft körperliche Beeinträchtigungen oder Schmerzen. 127 Patienten erlitten einen „schweren Dauerschaden“, bekamen also Gliedmaßen amputiert oder blieben teilweise gelähmt. Und: Insgesamt 88 Patienten starben im vergangenen Jahr nachweisbar durch ärztliche Fehler.

Wahrscheinlichkeit von Schaden durch Behandlungsfehler ist gering

„Die Wahrscheinlichkeit, dass Patienten durch einen Behandlungsfehler zu Schaden kommen, ist nach allen Daten, die uns zur Verfügung stehen, extrem gering“, betont Gutachter Crusius­. „Dennoch ist jeder Fehler einer zu viel.“ Er kritisierte, dass die Bedingungen für ärztliche Arbeit nicht auf maximale Patientensicherheit, sondern auf maximalen Gewinn ausgerichtet seien.

Die Zahlen der Bundesärztekammer ermöglichen nur einen begrenzten Blick auf Behandlungsfehler. Viele Patienten, denen ein Fehler passiert, wissen nichts von der Möglichkeit, sich an die ärztliche Schlichtungsstelle in ihrem Bundesland zu wenden. Andere scheuen die Länge eines Verfahrens, das bis zu zwei Jahre dauern kann.

Wieder andere nehmen sich sofort einen Anwalt und klagen gegen den Arzt. Wie oft dies passiert, wird nicht zentral erfasst. Überhaupt werden Behandlungsfehler nicht generell registriert, die Krankenkassen führen eigene Statistiken: Dort wurden zuletzt rund 13.500 Fälle erfasst. Auch hier stellte sich der Großteil der Beschwerden aber als unbegründet heraus.