Washington. Für sie ist kein Berg zu hoch, kein Tal zu tief – Diana Ross zählt zu den großen Damen des Souls. Am Dienstag wird sie 75 Jahre alt.

Juni 2002. Bonn. Museumshof. Rappelvoll. Ein Abend mit Diana Ross. Der schwarzen Soul-, Pop-, Disco- und R&B-Diva schlechthin. Der einzige in jenem Jahr auf deutschem Boden. Gemischte Gefühle im Publikum vor dem ersten Ton. Man wusste, es ging ihr nicht gut. Nach 14 Jahren war die Ehe mit dem norwegischen Reeder Arne Næss auf Grund gelaufen.

Und künstlerisch steckte die Frau, der Nile Rodgers und Bernard Edwards das programmatische „Upside Down“ spät auf den sehnigen Leib geschrieben hatten, in der Sackgasse. Zu viel Wein und Tabletten taten den Rest.

Andere Altstars ziehen sich in Abwärtsphasen in ihre Edeldomizile zurück und bleiben der Arbeit fern. Diana Ross ging kurz vorher in eine Entzugsklinik und lieferte am Rhein ein so himmelhoch jauchzend schönes Konzert ab, dass Dabeigewesene noch heute in kleine Freudentänze verfallen.

Wegbereiterin für Whitney Houston oder Beyoncé

Sich daran zu erinnern ist an diesem Dienstag ein besonderes Vergnügen. Die Frau, die in den 1960er-Jahren Sängerin der erfolgreichsten Mädchenband der Welt war und danach eine Solokarriere mit allen Höhen und Tiefen hinlegte, die Frau, die für Janet Jackson, Whitney Houston, Beyoncé und andere den Pfad vortrampelte, wird 75.

Im Sommer geht sie wieder auf Tournee (leider nur in Amerika) und blättert durch ein künstlerisches Werkbuch, das Generationen eng am Herzen tragen.

Nicht die beste Sängerin – „aber sie hatte alles andere“

Diana Ross im April 1976 auf einer Pressekonferenz in Hamburg.
Diana Ross im April 1976 auf einer Pressekonferenz in Hamburg. © dpa | Cornelia Gus

Diana Ernestine Earle Ross wuchs in einer Sozialbausiedlung in der Autohochburg Detroit auf, gospelte im Kirchen-Chor, übte heimlich „Aaahhs“, „Ooohhs“ und „Uuuhhs“ und träumte von einer Karriere als Sängerin. Mit 16 rückte sie Berry Gordy auf die Pelle. So lange, bis der in diesem Jahr 90 werdende Gründer des legendären Motown-Labels ihr und den Freundinnen Florence Ballard und Mary Wilson, die erst unter The Primettes und später unter The Su­premes firmierten, eine Chance bot.

„Sie war nicht die beste Sängerin“, erinnerte sich Gordy später, der Ross erst als Sekretärin nahm und später mit ins Bett, „aber sie hatte alles andere – Gefühl, Zerbrechlichkeit, Vitalität“. Eine Mischung, die den Puls der Zeit traf.

14 Nummer-eins-Hits in zehn Jahren

Mit 14 Nummer-eins-Hits binnen eines Jahrzehnts von „Where Did Our Love Go“, „Baby Love“ und „You Can’t Hurry Love“ bis „Stop! In the Name of Love“ und „You Keep Me Hangin’ On“ spielten sich „Die Obersten“ mit ihrem seidenzarten Soulgezirpe und dreieinhalbminütigen Mädchen-trifft-Junge-Dramen in die Gehörgänge auch des weißen Teils der Vereinigten Staaten. Durch die Supremes wurde Ross zur Ikone.

Dass ihr Aufstieg nicht ohne Kollateralschäden vonstatten ging, war im Jahr 1986 nachzulesen. Mary Wilson schredderte in ihrer Autobiografie „Dreamgirl“ den Heiligenschein. Ross war bei ihr ein skrupelloses Miststück, das entweder auf dem Rücken ihrer Kolleginnen oder auf Gordys (er ist der Vater eines ihrer fünf Kinder) Karriere machte.

Für „Lady Sings the Blues“ gab’s die Oscar-Nominierung

Im Jahr 1970 zündete Stufe zwei: Mit „Ain’t No Mountain High Enough“, knapp sieben Sternminuten Erbauungsmusik, startete La Ross ihre millionenschwer dotierte Sololaufbahn. Der waren bis Mitte der 80er-Jahre zwölf weitere Top-Ten-Hits vergönnt, darunter „Chain Reaction“.

Auch im Schauspielfach blühte sie. Für ihre Debütrolle der Billie Holiday in „Lady Sings the Blues“ folgte im Jahr 1973 die Oscar-Nominierung als beste Hauptdarstellerin. Allein, Liza Minelli gewann. „Cabaret“ war noch eine Spur besser.

Michael Jackson besang sie in „Dirty Diana“

In dieser Zeit festigte sich der Ruf Ross’ als Hohepriesterin des Dekadenten, die ohne perfekt getrimmte Afrofrisur, Echsenhaut-Jeans und daumenlange Wimpern um die Augen nicht vor die Tür geht. Als der Erfolg ausblieb, geriet das Allürenhafte unters Vergrößerungsglas. Bei einer Leibesvisitation am Flughafen in London wurde Ross an die Brust gefasst. Was ein Handgemenge und den Einzug ihres Rückflugtickets auf der Concorde zur Folge hatte. „Dirty Diana“, wie Michael Jackson sie in einem Song verewigte, scherte sich nicht drum. Kein Berg hält sie auf, kein Fluss zurück.