Berlin. Ski-Legende Sven Hannawald wirkt in der Kinodoku „The Big Jump“ mit. Ein Gespräch über Burn-out, Niederlagen und das Leben als Vater.

Seit seinem triumphalen Gewinn der Vierschanzentournee 2002 mit vier Siegen ist Sven Hannawald eine deutsche Sportlegende. So gesehen ist es nur logisch, dass er auch zu den Gesprächspartnern der Skiflug-Dokumentation „The Big Jump“ (aktuell im Kino) gehört.

Doch anders als viele Kollegen musste der 44-Jährige auch mit massiven Rückschlägen umgehen. Als ein Burn-out seiner Laufbahn ein abruptes Ende bereitete, begann er, sich komplett neu zu erfinden, und kann daher auch hoch persönliche Einsichten über die Grenzen des Leistungsdenkens bieten.

Vor knapp 14 Jahren beendeten Sie Ihre Karriere als Profi-Skispringer. Dachten Sie zum Zeitpunkt Ihrer großen Erfolge schon an das Leben danach?

Sven Hannawald: Nein. Ich musste ja aus gesundheitlichen Gründen abrupt aufhören. Und als Skispringer war ich ein Typ, der nicht mehrere Aktivitäten parallel laufen lassen konnte, sondern sich seiner Sache komplett widmen musste. Das war seinerzeit eine schwierige Phase, weil ich körperlich noch in den Seilen hing und keine Zukunftsperspektive hatte.

Dank Ihrer Erfahrungen sind Sie inzwischen Unternehmensberater, der sich auch mit dem Phänomen Burn-out beschäftigt. Was sind Ihre wichtigsten Tipps?

Hannawald: Wir Menschen halten uns ein bisschen für Computer, die immer schneller arbeiten und denken können. Aber unsere Festplatte lässt sich nicht austauschen. Wenn wir uns vor lauter Perfektionismus und Ehrgeiz immer selbst beweisen wollen, dann laufen wir irgendwann gegen die Wand. Wir sollten dabei auf unsere innere Stimme hören und uns nicht von den Medien einreden lassen, was für uns richtig ist. Wie man dann den Ausgleich zu dem beruflichen Stress schafft, das ist für jeden unterschiedlich.

Gab es bei Ihnen die Gefahr eines neuen Burn-outs?

Der Skisprung-Olympiasieger Sven Hannawald im Jahr 2013 auf der obersten Plattform der Skisprungschanze in Garmisch-Patenkirchen (Bayern).
Der Skisprung-Olympiasieger Sven Hannawald im Jahr 2013 auf der obersten Plattform der Skisprungschanze in Garmisch-Patenkirchen (Bayern). © dpa | Peter Kneffel

Hannawald: Es gab und gibt natürlich Stressphasen, aber ich höre eben auf meine innere Stimme. Wenn ich merke, dass es mir zu viel wird, dann genieße ich meine Zeit mit der Familie und gebe dem Körper, was er braucht, anstatt in der Freizeit auch noch herumzustressen.

Als Skispringer hatte ich es einfach nicht gelernt, nach dem Wettkampf oder dem Training abzuschalten, sondern habe das ins Privatleben hineingenommen. Das hat 0,0 funktioniert. Ich habe eben inzwischen gelernt, dass Nachwuchs und Familie das Wichtigste sind.

Aber haben Sie die extremen Gefühle des Skispringens je wieder erlebt?

Hannawald: Es lässt sich nicht ganz vergleichen: Aber die Geburt von Nachwuchs in der eigenen Familie ist unbeschreiblich. Da hast du das Gefühl, du betrittst eine andere Welt. Der letzte große Kick war die Geburt unseres Sohns vor zwei Jahren, und im Mai kommt jetzt ein kleines Schwesterchen dazu. Darauf freuen wir uns jetzt schon.

Was wäre, wenn sich eines Ihrer Kinder ins Skispringen stürzen würde?

Hannawald: Ich würde es vollkommen unterstützen, denn ich kann ja nachvollziehen, wie schön es ist. Aber ich schaue mir sie auch bewusst an: Was für ein Typ sind die Kinder? Sind sie ehrgeizig? Ich versuche ihnen dann nicht den Ehrgeiz, den Perfektionismus, den Siegeswillen zu nehmen, sondern möchte ihnen beibringen, wie sie damit umgehen.

Hätten Sie sich je ein Leben mit weniger Dramatik gewünscht?

Hannawald: Ich suche zwar grundsätzlich schon den Mittelweg, aber ich brauche auch die Extreme. Ich will beruflich hoch hinaus, und da weiß ich, dass auch Niederlagen kommen. Tiefen und Misserfolge gehören dazu, um den Erfolg genießen zu können. In der Natur gibt es ja auch Extreme. Das Leben ist Ebbe und Flut. Warum sollte der Mensch anders sein?

Ich werde also auch künftig Fehler machen, aber aus denen werde ich lernen. Beim heutigen Skispringen fällt mir auf, dass es relativ wenig Sportler gibt, die dazu stehen. Die wollen ihren Heldenstatus beweisen, indem sie nie Schwächen zeigen. Aber jeder Held, der ganz oben steht, hat auf seinem Weg Rückschläge erlebt.