Hamburg. Im neuen Kieler „Tatort“ treiben Neid und Gier eine Kassiererin in den Kontrollverlust. Ein starker Krimi, der in die Psyche blickt.
Peggy sieht rot. Mit einem Rasenmäher fuhrwerkt sie durch ihre Wohnung und schrottet die Einrichtung. Blumentöpfe stürzen um, der Glastisch zerspringt, ein Vorhang wird von der Sichel der Maschine gefressen, Erinnerungsfotos und der Fernseher bersten. Erschöpft sinkt die Frau nach dieser Raserei auf das Sofa. Mit diesem Akt der Zerstörung beginnt der aktuelle Kieler „Tatort“ mit dem Titel „Borowski und das Glück der Anderen“.
Peggy (Katrin Wichmann) ist Verkäuferin in einem Supermarkt. Sie lebt mit ihrem Mann Micha (Aljoscha Stadelmann) in einem Einfamilienhaus. Und könnte eigentlich zufrieden sein. Doch Peggy ist voller Neid und Gier und Frustration. Sie bricht bei den neuen, vermeintlich reichen Nachbarn ein, den Dells. Als sie von Thomas Dell überrascht wird und der sie demütigt, nimmt sie dessen Waffe und erschießt ihn.
Gegensätzliche Kommissare erzeugen Spannung
Der Zuschauer weiß sehr schnell, wer den Mord begangen hat, Borowski (Axel Milberg) und seine neue Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik) dagegen tappen im Dunkeln. Sahin entscheidet sich für die kühle Ehefrau des Toten (Sarah Hostettler) als Täterin, doch Borowski zögert.
Es ist der zweite Fall, den er mit Sahin lösen muss. Viel Spannung und auch Humor in diesem eigentlich gar nicht lustigen „Tatort“ ergibt sich aus den unterschiedlichen Temperamenten der beiden Ermittler. Sahin ist eine quirlige junge Frau, Borowski dagegen der ruhige Beobachter, der sich kaum aus der Fassung bringen lässt. Er versucht sich in das Geschehen im Haus der Dells hineinzudenken, stellt mit der Gerichtsmedizinerin später die Tötungsszene nach und bekommt Zweifel an Sahins Theorie.
Gefährlicher Neid am „Tatort“ in Kiel
Woher rührt Peggys kompletter Kontrollverlust?
Drehbuchautor Sascha Arango und Regisseur Andreas Kleinert gelingt mit dem neuen Borowski-Fall ein starker Krimi, der seine Spannung nicht aus der Suche nach dem Mörder bezieht, sondern aus der Psychologie der Figuren.
Wie kommt es, dass Peggy jegliche Kontrolle verliert? Warum schminkt und stylt Victoria Dell (Hostettler) sich perfekt und verlangt nach einem Anwalt, bevor sie eine Aussage macht? Wie hält Micha es mit seiner frustrierten Ehefrau Peggy aus?
Und die Frage, woher Kommissarin Sahin ihr blaues Auge hat, interessiert nicht nur ihre Kollegen Borowski und Schladitz (Thomas Kügel), sondern auch den Zuschauer.
Präzises Spiel von Karin Wichmann
Mit Katrin Wichmann, derzeit am Deutschen Theater Berlin engagiert, hat Andreas Kleinert eine Schauspielerin in seiner Besetzung, die mit Präzision und Einfühlungsvermögen die Mörderin wider Willen spielt.
Die frustriert an der Kasse sitzt und von niemandem so richtig wahrgenommen wird; die von einem Glück träumt, das sich nur mit viel Geld verwirklichen lässt; und die von zwei Boutiqueverkäuferinnen immer noch von oben herab angesehen wird, obwohl sie gerade für 800 Euro Klamotten gekauft hat.
Aus Neid und Gier entsteht erst das Böse. Wichmann zeigt diesen schleichenden Prozess mit großer Wahrhaftigkeit.
Fazit: Böse, klug und komisch.
• Sonntag, 3. März, 20.15 Uhr, ARD