Mannheim. In der Uniklinik Mannheim war jahrelang verschmutztes OP-Besteck im Einsatz. Die Leitung wusste das. Ein Prozess ist nicht in Sicht.

Im größten deutschen Hygieneskandal der letzten Jahrzehnte stockt die juristische Aufarbeitung. Von 2007 bis 2014 sollen Patienten in der Uniklinik Mannheim mit verschmutzten Instrumenten operiert worden sein. Zehntausende von Patienten könnten betroffen sein. Mehr als drei Jahre ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen Ex-Klinikchef Alfred Dänzer. Seit Dezember 2017 ist Dänzer angeklagt.

Der Vorwurf: Verstoß gegen das Medizinproduktegesetz. Doch ein Prozessbeginn ist nicht in Sicht. „Dem Hygieneskandal folgt der Justizskandal Mannheim“, sagt der Patientenanwalt Burkhard Kirchhoff.

Der Fall gilt als bundesweit beispiellos: Siebeneinhalb Jahre lang war die Uniklinik Mannheim nicht in der Lage, OP-Bestecke vorschriftsmäßig aufzubereiten – weder technisch noch personell. Zu diesem Schluss kam 2015 eine unabhängige Expertenkommission.

Klinikleitung wusste von Hygienemängeln

Deren Untersuchungsbericht legte nicht nur katastrophale Hygienemängel in dem 1350-Betten-Haus offen. Er offenbarte auch, dass die Klinikleitung über die Missstände im Bilde war, aber nichts dagegen tat.

Das Universitätsklinikum Mannheim im Jahr 2016.
Das Universitätsklinikum Mannheim im Jahr 2016. © imago/masterpress | imago stock

Wiederholt hatten Ärzte vor „kontaminierten In­strumenten“ und „einer direkten Patientengefährdung“ gewarnt. An vermeintlich gereinigten OP-Bestecken klebten Blut-, Haar- und Gewebereste von früheren Eingriffen; in einem sterilen Instrumentenkasten steckte eine tote Fliege. Doch die Verantwortlichen ignorierten alle Warnhinweise.

Zwar tauchten „Verstöße gegen Vorschriften der Hygiene“ ab 2011 in Risikoberichten der Klinik auf. Doch um Kosten zu sparen, passierte nichts. Trotz der Infektionsgefahr wurde immer mehr operiert. „Die Priorität lag ausschließlich auf dem Bereich Finanzen“, resümierten die Gutachter. Erst durch eine anonyme Anzeige im Oktober 2014 flog der Skandal auf.

Verfahrensdauer ist nicht abzuschätzen

Seither läuft die Strafverfolgung. Die Staatsanwaltschaft Mannheim hat rund 150 Mitarbeiter, davon war ein einziger Ermittler für den Fall abgestellt. Als er das Verfahren nach drei Jahren beendet hatte, ging er direkt in Pension.

Seit 14 Monaten liegen 22 Bände Fall- und Ermittlungsakten, 18 Beweismittelordner und 20 Sonderbände beim Landgericht Mannheim. Der Verteidigung wurden Fristen gesetzt und verlängert; derzeit wartet das Gericht auf eine erneute Stellungnahme der Staatsanwaltschaft.

Die Kammer sei ausgelastet „mit vorrangigen Verfahren, insbesondere mit Haftsachen“, erklärt ein Sprecher. Eine Einschätzung zur Verfahrensdauer: „leider nicht möglich“. „In absehbarer Zeit“ drohe „keine Verjährung“.

„Ein Schlag in das Gesicht betroffener Patienten“

Das schleppende Verfahren sei „ein Schlag in das Gesicht betroffener Patienten“ und „ein Armutszeugnis für den Rechtsstaat“, kritisiert Kirchhoff. „Teile der deutschen Justiz tragen für mich eine Mitschuld am Leid von Patienten“, sagt der Anwalt, der viele Infektionsopfer vertritt.

Ermittlern und oft überlasteten Gerichten fehle „das medizinische Know-how“. Die jahrelange Bearbeitung sei ihm „ein Rätsel“. Offenbar hätten die Strafverfolger „mehr abgewartet, zugeschaut und die Klinik selbst aufarbeiten lassen“, statt hart zu ermitteln. „Die Justiz hat hier und da auch mal blutige Hände“, sagt Kirchhoff.

Ex-Klinikchef ist jetzt Aufsichtsratsvorsitzender

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz mit 55.000 Mitgliedern und Förderern wird unruhig. „Das Gericht ist gefordert, nun schnellstmöglich den Prozessbeginn anzustreben“, mahnt Stiftungsvorstand Eugen Brysch. Es sei „wichtig“, dass die Staatsanwaltschaft den Ex-Klinikchef angeklagt habe, „denn in der Regel trifft es nur die Mitarbeiter und die Leitungen kommen davon“.

Patienten seien „der Hygienesituation im Krankenhaus weitgehend ausgeliefert“. Das Hinauszögern des Prozesses sei „unerklärlich“. Patientenanwalt und Patientenschützer fordern Schwerpunktstaatsanwaltschaften und speziell geschulte Sonderermittler zur Aufklärung von Hygieneverstößen in Kliniken.

Der angeklagte Ex-Klinikchef Alfred Dänzer verlor durch den Hygieneskandal nicht nur seinen Posten in Mannheim. Er war auch als Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft nicht mehr tragbar. Doch längst hat Dänzer wieder Fuß gefasst. Seit Dezember 2015 wacht er als Aufsichtsratsvorsitzender der DRK Kliniken in Berlin über ordnungsgemäße Abläufe für rund 200.000 Patienten pro Jahr.