Berlin. In den Niederlanden testen Schulen flexible Ferienzeiten. Die Eltern freuen sich über entspannten Urlaub. Kritik kommt aus Deutschland.

Skifahren in den Bergen, Sonnetanken im Süden – wer in die Winterferien fahren will, die es in einigen Bundesländern gibt, muss sich auf Stress gefasst machen: Weil die Kinder frei haben und Tausende Familien gleichzeitig in die Urlaubsparadiese pilgern, wird die Auszeit zur Nervenbelastung. Die Züge sind voll, die Autobahnen auch.

Der ADAC schlägt Stau-Alarm. Inzwischen ist jedes zweite Elternpaar so genervt von dem Dilemma, dass es die festen Ferien ihrer Kinder am liebsten abschaffen würde, wie eine Umfrage im Auftrag der Friedrich-Naumann-Stiftung ergab. Aber es hilft ja nichts – oder doch?

Enschede, ein schmuckes niederländisches Städtchen kurz hinter der deutschen Grenze. Die Schwestern Mabel (8) und Wende (6) sind zwei von 230 Schülern der La-Res-Grundschule und freuen sich schon auf den nächsten entspannten Urlaub.

Nicht während der Ferien, sondern demnächst, wenn ihre Eltern Zeit haben und ein günstiges Hotel finden. Neulich seien sie in die Eifel gefahren, berichtet Vater Robert, und es sei herrlich gewesen: Nicht eine Minute standen sie im Stau.

Urlaubsplanung in die Hand der Eltern

Möglich macht das ein Experiment, an dem elf niederländische Schulen teilnehmen, darunter die La-Res-Grundschule. Sie haben die starren Ferienzeiten abgeschafft und legen die Urlaubsplanung in die Hand der Eltern. Die können selbst entscheiden, ob sie die Kinder im Februar aus dem Unterricht nehmen, im März oder erst im August.

Die La-Res-Grundschule testet die freiwilligen Ferien.
Die La-Res-Grundschule testet die freiwilligen Ferien. © Screenshot/Google Maps | Screenshot/Google Maps

Die La-Res-Grundschule ist ein brauner Klinkerbau im Zentrum der Stadt. Deren Rektorin Renate Klokman sagt, das etablierte System sei veraltet. „Die Idee der sechswöchigen Sommerferien stammt noch aus einer Zeit, als Kinder ihren Eltern beim Einholen der Ernte helfen mussten.“ Die heutige Eltern-Generation dagegen habe große Schwierigkeiten, eine Betreuung zu organisieren. Es sei deshalb höchste Zeit für die „flexibele schoolvakantie“, findet Klokman.

Kritik kommt vom Deutschen Lehrerverband

Die Eltern brauchen nur ein Formular auszufüllen, in das sie eintragen, wann die Familie verreisen möchte. Die Kinder sind derweil verpflichtet, den verpassten Unterrichtsstoff und wichtige Arbeiten nachholen. Von so viel Freiheit träumen deutsche Familien.

Wer sein Kind nur ein, zwei Tage krank meldet, um mit ihm ein entspanntes langes Wochenende außerhalb der Ferien zu verbringen, bekommt mitunter die volle Härte des Gesetzes zu spüren. In manchen Bundesländern drohen sogar Freiheitsstrafen.

Die Polizei hält gezielt Ausschau nach Schwänzern, im vergangenen Jahr griffen Beamte an den Flughäfen Nürnberg, Memmingen und München mehrere Unterrichtssünder auf. Schulen halten mit aller Macht an der Ferienbindung fest.

Heinz-Peter Meidinger vom Deutschen Lehrerverband schimpft: „Eine Schule, wo den einen Tag die einen, den anderen Tag die anderen da sind, wird zu Recht nicht mehr ernst genommen.“ Und Jürgen Böhm, Vorsitzender des Verbands Deutscher Realschullehrer, mahnt, Kindern werde durch das niederländische Modell vermittelt, „dass man sich im Leben das nehmen kann, wonach einem gerade ist“.

Das gefürchtete Chaos blieb aus

Findet Renate Klokman in Enschede überhaupt nicht. Wenn ein Kind im Sommer anderthalb Monate lang der Schule fern bleibe, vergesse es viel von dem, was es vor den Ferien gelernt habe. Das gefürchtete Chaos übrigens sei ausgeblieben, weil das flexible System gut organisiert und akzeptiert sei.

Die Regierung in Den Haag will in den nächsten Wochen darüber entscheiden, ob der niederländische Versuch sogar ausgeweitet wird. Auch in anderen Ländern, der Schweiz etwa, experimentiert man mit einer Abkehr vom Ferienzwang.

Und hier? Beendet Torsten Heil von der Kultusministerkonferenz (KMK) jede Diskussion. Die Ferien würden weiterhin Jahre im Voraus von der KMK verabschiedet. „Dieses Vorgehen garantiert die notwendige Planungssicherheit und Orientierung für die Schulen und die Familien, aber auch für die Wirtschaft.“

Die Botschaft ist klar: In Deutschland bestimmen die Behörden, wann Zeit für Familienurlaub ist – und stürzen Eltern in Verzweiflung.