Berlin. Frauenquote, gleiche Bezahlung, Wut auf den Sexismus? Dann aber ganz schnell bei der japanischen Bestsellerautorin Marie Kondo lernen!

Unsere Mütter hatten es viel leichter. Sie konnten sich, wenn der Mann nicht wollte, dass sie arbeiten gehen (das entsprechende Gesetz galt bis ins Jahr 1977), erst einmal eine schöne Tasse Melitta-Kaffee kochen. Oder sich mit dem Putzschwämmchen am Waschbecken abreagieren und so noch mehr Pril-Blumen für ihre Kühlschrankfront verdienen.

Für uns sind diese Zeiten der einfachen Lösungen vorbei. Wenn wir den Fernseher anschalten, dann brennt Paris, Gelbwesten rennen durchs Bild, weil ihnen Lebensmittel zu teuer sind, dann ist da dieses ewige Thema um die Gleichbezahlung, die Elternzeit und ob man jetzt monogam sein, dem Patchwork- oder dem klassischen Familienmodell folgen sollte, um unbedingt glücklich zu sein – ANSTRENGEND.

Und was macht eigentlich die SPD die ganze Zeit? Aber was sollen wir mit all diesen Problemen, die wir zu Lebzeiten ohnehin nicht lösen können und einfach unseren Töchtern wie Müll vor die Tür kippen? EBEN. Nichts.

Konsum ist out, Kapitalismus sowieso

Und nachdem Yoga, Achtsamkeit und diese esoterischen Motto-Tees jetzt langsam Staub angesetzt haben, muss eben etwas Neues her, um uns ständig Unzufriedene zu zerstreuen. Aber Netflix sei Dank: Es ist da.

Zu Beginn des Jahres 2019 widmet Netflix der Bestsellerautorin und mutmaßlichen Selfmade-Multimillionärin Marie Kondo nämlich eine ganze Serie über das Aufräumen. Und weil das Wort schon bei Kindern allergische Reaktionen auslöst, nennt Kondo Aufräumen unlängst „The Art of Magical Cleaning“ (dt. „Die Kunst des magischen Ausmistens“).

Da kann Deutschland draußen noch so mit Bundesdatenleaks und Macron mit seinen Wählern kämpfen – in der guten Stube kann man es sich mit der Japanerin Marie Kondo ganz egozentrisch gemütlich machen. In der Serie kommt sie zu Menschen nach Hause, stapelt Klamotten, mistet aus.

Die Devise: Wer bei sich aufräumt, räumt auch sich auf. Ausmisten bedeutet Prioritäten setzen – die fürs seelische Leben kommen dabei gleich mit. Aufräumen ist so niedlich, tut nicht weh. Wer aufräumt, demonstriert nicht.

Immer diese zierliche, freundliche, aber irgendwie passiv-aggressive Frau im Kopf beginne ich also, mein Leben zu sortieren. Konsum ist out, Kapitalismus sowieso – mein Sohn sieht das anders und fordert zehn Prozent Umsatzbeteiligung für seine Brio-Bahn. Geschenkt. Dann landet sie bei Ebay-Kleinanzeigen.

Genau wie das Playmobil (seit 2016 nicht mehr bespielt), diverse Puzzles, ausgemusterte Computer (jetzt schnell die Fotos sichern), Schuhe, die seit Jahren in Kartons auf ihren zweiten Frühling warten.

Irgendwann ist auch die letzte Flohmarktkiste gepackt

Ich räume auf und sehe mich schon als Mönch, nur mit einer Gebetsmatte und einem Laptop in einem nepalesischen Kloster. Die Welt um mich herum ist ein schwammiges Nichts, wenn die einzige Priorität ist, Sockenpaare zu rollen, Magazine in Boxen zur Zwischenablage zu verpacken.

Zwischendurch realisiere ich, wie es meiner deutschen Oma gegangen sein muss, als sie Stricknadeln unten in die Vorhänge steckte, um diese zu begradigen. Erinnerungen an Weltkriege verfliegen wohl, ähnlich wie Deadlines, Buchprojekte, Jobs – im Putzschwämmchen-Universum sind wir nur Materie, in der Demut, eine Bluse richtig japanisch zu falten, sind wir alle gleich. Aber irgendwann ist dann auch die letzte Flohmarktkiste gepackt.

Die Generation meiner Mutter räumte dagegen weniger auf, ihr bin ich viel zu ordentlich. Also sitze ich da voller Gewissensbisse, durch meinen Aktionismus den Feminismus verraten zu haben, kaue Nägel in meinem geleerten Wohnzimmer. Irgendwie ein bisschen kalt hier ohne Krimskrams. Aber die nächste Welle, die nächste Serie namens „Hortet Euren Shit und werdet Messis“ oder „Die tiefe Seele von Souvenirs“ kommt bestimmt.

Über das Thema hat die Autorin auch mit Bayern2 gesprochen. Hier gibt es den Podcast zum Nachhören.