München. Oscar-Preisträgerin Caroline Link hat Hape Kerkelings Autobiografie verfilmt. Sie wünscht sich in Deutschland mehr Mut zu Gefühlen.

Mit ihrem dritten Film „Nirgendwo in Afrika“ holte Caroline Link (54) im Jahr 2003 den Oscar – weil ihre Tochter erkrankte, konnte sie den Preis nicht selbst entgegennehmen. Nach dem Drama „Exit Marrakech“ mit Ulrich Tukur präsentiert die gebürtige Hessin nun die Verfilmung von Hape Kerkelings autobiografischem Bestseller „Der Junge muss an die frische Luft“ (aktuell im Kino). Die Tragikomödie spielt im Recklinghausen der 70er-Jahre.

Frau Link, was hat Sie an dieser Lebensgeschichte von Hape Kerkeling interessiert?

Caroline Link: Diese Kombination aus Komik und Trauer hat mich sofort sehr gerührt: Das Nebeneinander von Tragik und wirklich tiefem Schmerz auf der einen Seite und von Fröhlichkeit, Optimismus und vor allem Tapferkeit auf der anderen Seite.

Als ich das Drehbuch bekam, lag ich nach einem Skiunfall mit meinem gerissenen Kreuzband im Bett. Ich wusste gar nicht, ob ich bis zum geplanten Drehbeginn überhaupt wieder laufen können würde. Aber diesen Film wollte ich unbedingt machen.

Welche Schnittmengen haben Sie mit dieser Geschichte?

Link: Hape Kerkeling und ich sind beide Jahrgang 1964 und in der Provinz aufgewachsen, die Beschreibungen seiner Kindheit sind mir sehr vertraut. Auch ich hatte diese Onkel, Tanten und Verwandten, die noch gezeichnet waren vom Krieg.

Wenn man sich deren Schicksale vor Augen hält, fragt man sich schon: Was haben diese Menschen durchmachen müssen? Wie konnten die überhaupt noch lachen? Wie konnten die einen Sommertag oder Familienfeste genießen? Und doch haben sich diese Menschen immer wieder aufgerappelt.

Welches Mitspracherecht hatte Kerkeling bei Ihrer Verfilmung?

Link: Wir alle wollten natürlich, dass Hape Kerkeling den Film mag. Bei unserer Begegnung habe ich ihn als Erstes gefragt, wie er sich die Tonlage bei der Verfilmung vorstellen würde. Wie verbindet man Leichtigkeit mit großem Schmerz und Trauer?

Solche Schicksalsschläge wie in seiner Familie sind ja nicht lustig und lassen sich auch nicht relativieren. Wir haben lange darüber gesprochen, wie das funktionieren könnte.

Wie verlief die Diskussion?

Link: Hape war vorsichtig mit der Tragik. Ihm war zwischendurch ein bisschen bange, dass es zu ernst ausfallen könnte, denn er möchte dem Publikum nicht zu viel zumuten.

Meine Vorstellung war, je tiefer das Tal, durch das der Junge schreiten muss, desto mehr freut man sich mit ihm danach, wenn er es geschafft hat. Bei jener Szene mit der Frau vom Jugendamt ist man wirklich glücklich, wie der kleine Junge sich da aufrappelt.

Ist Ihr Oscar Fluch oder Segen? Spürt man danach einen dauerhaften Erwartungsdruck?

Link: Das machen ja immer nur die anderen daraus. Ich weiß doch, was ich kann und nicht kann. „Nirgendwo in Afrika“ war mein dritter Film. Manche Dinge gelingen, andere gelingen weniger. Nur weil ich den Oscar dafür bekam, denke ich doch nicht, dass ich fortan alles grandios mache. Das ist doch nur eine äußere Bewertung.

Gefühle und Kitsch liegen auf der Leinwand oft nahe beieinander. Wie begegnet man der Gefahr der Rührseligkeit?

Link: In Deutschland traut man sich bei Gefühlen wahnsinnig wenig. Die Amerikaner übertreiben es bisweilen und schlagen über die Stränge. Bei dieser Frage kann ich mir nur selbst vertrauen. Ich muss spüren, wie ich etwas machen will und warum auf diese Weise.

Bei Hape verhält es sich ganz ähnlich. Wenn er am Schluss zu der Erkenntnis gelangt: „Und das ist alles, was ich bin. Ich bin meine Mutter. Mein Vater. Ihr Lachen und ihr Schmerz“ – das kann ich sehr gut nachvollziehen. Dieses Benennen von Gefühlen muss man sich im Kino doch trauen! Das ist nicht kitschig, sondern echt!

Warum gibt es eigentlich so wenige Regisseurinnen?

Link: Bei einem Filmprojekt leiden alle privaten Aktivitäten ganz extrem. Wer häufig dreht, setzt sein Familienleben aufs Spiel. Regie ist tatsächlich ein familienfeindlicher Beruf, weil er enorm zeitintensiv ist und man häufig unterwegs sein muss.

Die ungelöste Betreuungsfrage für die Kinder gerät da schnell zum zentralen Problem. In meinem Team arbeiten viele Frauen, aber nur ganz wenige haben eigene Kinder. Es ist ein richtig harter Job, den muss man wirklich wollen – und er kostet einen hohen Preis.