Berlin. Eltern lassen unter dem Hashtag #ehrlicheEltern ihren Frust raus. Der Hashtag zeigt, dass die Gespräche mit Kindern offener werden.

Es waren 200 Eltern in der Turnhalle und kein Fenster war geöffnet. Auf der Bühne knarzten die Geigen der Fünftklässler, das Blockflötenspiel der Zweitklässler war akustisch mehr bei einer Hundepfeife als bei Musik zu klassifizieren. Am Ende gaben alle Eltern lauten Beifall für ihre vermeintlich hochbegabten Kinder.

Und ja, es sind die Momente, in denen sich viele Eltern bei aller Liebe die Frage stellen, wie weit die Ehrlichkeit oder eben auch Verlogenheit unter Erzeugern gehen muss.

#ehrlicheEltern zeigt Frust der Eltern

Warum dem eigenen Kind nicht einfach mal sagen: „Es tut mir leid, mein Schatz, aber du spielst ganz schlecht Blockflöte.“ Warum als Mutter nicht loswerden, dass ein viertes Kind schön, aber irgendwie auch zu viel war. Warum sich nicht laut ärgern, dass der Nachwuchs auch den schönsten Urlaub mit seinem angeborenen kindlichen Egoismus eigentlich verdirbt?

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Nicht vor den Kindern, aber in der vor Kinderaugen geschützten Filterblase des Internets machen seit einiger Zeit Tausende Erziehungsberechtigte in der allgemein stressigen Weihnachtszeit unter dem Hashtag „ehrlicheEltern“ ihrem Frust und oft auch Ärger über das Leben mit Kindern Luft.

Darunter sicherlich keine Kommentare, die es in das Poesiealbum der Rama-Familie schaffen würden.

„Ich kann einfach nicht mit Puppen spielen“

  • So schreibt Nutzerin „Chris“ auf Twitter: „Ich kann einfach nicht mit Puppen spielen. Und ich habe keinen Bock, mir Mühe zu geben.“
  • Und „Quatschmama“ erklärt über ihren Alltag: „Ich schaue auf die Uhr und rechne aus, wie viele Stunden es noch bis zu ,meinem‘ Feierabend sind.“
  • „Schneeflocke“ schreibt: „Wie soll ich meinem Kind erklären, dass sein bisschen Talent nicht lohnt, damit ich weiter seinen Ballettunterricht bezahle?“

Es sind genau solche Kommentare, die dem Bestsellerautor Thomas Lindemann vor Jahren Aktenordner voller Hassbriefe, aber gleichzeitig viel Lob einbrachten.

Sein Buch „Kinderkacke: Das ehrliche Elternbuch“, das er zusammen mit seiner Frau Julia Heilmann schrieb, traf vor Jahren schon einen Nerv und polarisierte bei der Zielgruppe. „Wir haben das Buch aus Frust geschrieben, weil alles anstrengend war“, sagt der dreifache Vater heute.

Und als das Entsetzten der Leser zu Berichten über das eingeschlafene Sexualleben dank Familienbett, die bösen Blicke beim Rauchen auf dem Spielplatz und wie das Baby einst in einer Boutique die Kotzerei bekam, abgeklungen waren, bekamen die Autoren viel Zuspruch. „Endlich sagt es mal einer“, lauteten die Resonanzen. „Genauso ist es doch.“

„Ich entwickele langsam einen Hass auf diese perfekten Muttis“

Und die Erleichterung um mehr Offenheit unter Eltern und Kindern, aber auch unter Erwachsenen scheint Schule zu machen. So schrieb auch die Nutzerin „TopFritéeNoel“ unter #ehrlicheEltern: „Ich entwickele langsam einen Hass auf diese perfekten Muttis. Ihr macht euch einsam.“

Auch Christine Altstötter-Gleich, Dozentin der Universität Koblenz-Landau, hält Perfektionismus und Fassade in der Erziehung eher für kontraproduktiv. So führe übertriebener Perfektionismus von Eltern dazu, dass Kinder sich abschauen und lernen, dass „Fehler wirklich schlimm sind“ und Wertschätzung nur mit hoher Leistung einhergehe.

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So kann es in ehrlichen Zeiten beispielsweise auch zu solchen Dialogen zwischen Eltern und Kind und damit zu Kritik auf Augenhöhe kommen. Der Vater ringt sich durch und sagt: „Ich fand dein Blockflötenspiel richtig schlecht.“

Und das Kind antwortet: „Hättest du während der Aufführung nicht nur auf dein Handy geschaut, hättest du es wenigstens mitbekommen.“ „Man kommt eben nur mit Ehrlichkeit und einem gewissen Gleichmut durch das Elternsein“, findet auch Thomas Lindemann.