Berlin. Die Verbraucherzentrale will per Musterfeststellungsklage die Ansprüche von geprellten VW-Kunden durchsetzen.

Mit dem millionenfachen Abgas-Betrug bei Volkswagen hat vor drei Jahren die Diesel-Krise begonnen. Die manipulierten Autos haben mittlerweile massiv an Wert verloren, in vielen Städten drohen Fahrverbote. Schadenersatz hat VW den geprellten Autofahrern in Deutschland bislang nicht gezahlt. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) und der Automobilclub ADAC wollen das ändern.

Mit der neuen Musterfeststellungsklage wollen sie die Ansprüche der Kunden durchsetzen. Nach Angaben der Verbraucherschützer hätten schon 30.000 VW-Besitzer Interesse bekundet. Die Klage soll am 1. November beim Oberlandesgericht Braunschweig eingereicht werden.

Wer kann sich der Musterfeststellungsklage anschließen?

Der vzbv will für Diesel-Fahrer vor Gericht ziehen, die vom Pflichtrückruf nach der Aufdeckung des Abgasbetrugs betroffen waren. Konkret geht es um Fahrzeuge der Marken VW, Audi, Skoda und Seat mit Motoren des Typs EA189, die nach dem 1. November 2008 verkauft wurden. Die Vierzylinder-Diesel gibt es mit 1,2, 1,6 und 2,0 Liter Hubraum. Auch wer das Auto in der Zwischenzeit verkauft hat, kann mitmachen. Allerdings dürfen die Verbraucher zuvor keine eigene Klage gegen VW geführt haben. Wenn das Gericht die Musterklage für zulässig erachtet, können sich Verbraucher kostenlos bis zum Beginn der Verhandlung beim Bundesamt für Justiz in ein Register eintragen. Das soll ohne Anwalt möglich sein.

Wie sind die Erfolgsaussichten?

Volkswagen misst der Klage kaum Erfolgschanchen zu, die Verbraucheranwälte sind dagegen sehr zuversichtlich. Wie die Erfolgsaussichten tatsächlich sind, lässt sich schlecht abschätzen: Eine solche Musterfeststellungsklage hat es in Deutschland noch nie gegeben.

Wie lange dauert der Prozess?

Womöglich könnte die Musterfeststellungsklage zu einem Marathonprozess werden, der sich beim Gang durch alle Instanzen über viele Jahre zieht. Die Kläger erwarten eine mündliche Verhandlung im kommenden Jahr, eine erste Gerichtsentscheidung könnte im Jahr 2020 fallen. Geht die Sache vor den Bundesgerichtshof, könnte es dort 2022 zu einem Urteil kommen. Anschließend müsste die Höhe des Schadenersatzes geklärt werden. VW könnte die Angelegenheit abkürzen, indem der Konzern frühzeitig einem Vergleich zustimmt.

Mit wie viel Geld können VW-Besitzer im Erfolgsfall rechnen?

Auf eine genaue Zahl will sich der Anwalt Rolf Stoll, der die Musterfeststellungsklage für den vzbv betreut, nicht festlegen. Er hält einen Schadenersatz in Höhe von 15 bis 20 Prozent des Kaufpreises für angemessen. Die bisherigen Nachrüstungen und aktuelle Umtauschprämien hält Stoll nicht für umfassend genug, dass sie die Forderung der Verbraucherschützer beeinflussen könnten. „Der Schaden ist bereits mit dem Kauf des Autos entstanden und durch ein Update nicht wettzumachen“, heißt es dazu beim vzbv.

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    Wie groß ist das Risiko für Verbraucher, die sich der Klage anschließen?

    Das Risiko ist gering. Das Prozesskostenrisiko bei der Musterfeststellungsklage trägt der vzbv. Wer sich in das Klageregister eingetragen hat, kann das Urteil abwarten. Sieht das Gericht einen Anspruch auf Schadenersatz, müssen die Kunden diesen selbst durchsetzen. „Unser Ziel ist, dass Autobesitzer entweder das Auto zurückgeben können und dafür den Kaufpreis erstattet bekommen, oder wenn sie es behalten wollen, den Wertverlust kompensiert bekommen, oder wenn sie das Auto bereits verkauft haben, eine entsprechende Entschädigung bekommen“, sagt vzbv-Vorstand Klaus Müller. Verlieren die Verbraucherschützer, gilt das Urteil für alle, die sich der Klage angeschlossen haben.

    Wie viel müsste VW zahlen?

    Für den Wolfsburger Autokonzern gibt es nach dem Diesel-Betrug mehrere Risiken. Neben der Musterfeststellungsklage sind das ein Musterverfahren der VW-Aktionäre und mögliche Bußgelder, die weltweit anfallen könnten. Frank Schwope, Auto-Analyst der NordLB, schätzt, dass all dies Belastungen von zehn bis 20 Milliarden Euro bedeuten könnte. Wirtschaftlich stehe VW jedoch vor einem Rekordjahr mit elf Millionen ausgelieferten Fahrzeugen.

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      Wie erfolgreich waren die Klagen einzelner Kunden gegen VW bislang?

      Nach Angaben von Volkswagen gab es im September 23.800 Verfahren von Diesel-Besitzern gegen den Hersteller oder gegen dessen Händler. Inzwischen habe es über 6000 Urteile gegeben – dem Konzern zufolge blieben die Kundenklagen vor Landgerichten zumeist ohne Erfolg. Verbraucher-Anwalt Stoll wendet jedoch ein, dass es oft gar nicht erst zu einem Urteil komme: VW stimme vorher per Vergleich einer Entschädigung zu, sagt er. In Einzelklagen mit Erfolgsaussicht habe Volkswagen laut ADAC den Autofahrern sogar Geld für ein Stillschweige-Abkommen angeboten. (mit dpa)