Bergen/Kapstadt. Forscher haben eine 73 .000 Jahre alte Ockerzeichnung in einer Höhle in Südafrika gefunden – und greifen erst einmal selbst zum Stift.

Einem nicht geschulten Auge könnte das Kunstwerk glatt entgehen – doch Forscher sehen in den roten, sich überkreuzenden Linien die möglicherweise älteste menschliche Zeichnung überhaupt. Demnach zeichneten Steinzeit-Menschen vor etwa 73.000 Jahren das Muster mit Ockerfarbe auf einen Stein.

Das in einer Höhle im heutigen Südafrika gefundene Stück sei mindestens 30.000 Jahre älter als die älteste bisher gefundene Zeichenkunst des modernen Menschen. Die Wissenschaftler vermuten, dass der Homo sapiens womöglich sogar noch früher mit künstlerischen Ambitionen zum Ockerstift griff.

Eine wahre Fundgrube für Archäologen

Das Team um Christopher Henshilwood von der Universität Bergen (Norwegen) hatte das Objekt in der Blombos-Höhle gefunden. Sie liegt in Südafrika, etwa 300 Kilometer östlich von Kapstadt in der Nähe der Küste, und stellt eine wahre Fundgrube für Archäologen dar. Bereits seit 1991 wird sie wissenschaftlich erkundet.

Die Höhle wurde 1961 von Henshilwoods Großvater gekauft. Der Forscher selbst verbrachte dort wiederholt seine Ferien und sammelte bei der Gelegenheit Steinwerkzeuge und andere Artefakte, was seine spätere Entscheidung für ein Archäologie-Studium angeblich mitbegründet hat.

Die vertikalen Fundhorizonte in der Höhle teilen Wissenschaftler in drei Zeitabschnitte (M1 bis M3) ein, die insgesamt einen Zeitraum von vor 140.000 Jahren bis heute umfassen. Aus den unterschiedlichen Horizonten bargen Fachleute bereits zahlreiche Zeugnisse der Kultur früher Menschen, etwa eingeritzte Steine oder durchbohrte Muschelschalen.

Zeichnen könnte viel älter sein als gedacht

Das nun untersuchte Fundstück „L13“ stammt aus dem M1-Horizont und wurde auf ein Alter von etwa 73.000 Jahre datiert. Es handelt sich um ein knapp vier Zentimeter langes Stück Stein, auf dem insgesamt neun sich teils durchkreuzende Linien zu sehen sind.

Um herauszufinden, wie die Linien auf den Stein gekommen sind, probierten die Forscher verschiedene Techniken aus. Aus den Experimenten folgern sie, dass sie mit einer Art gespitztem Ockerstift gezielt aufgebracht worden waren und es sich folglich bei dem Kunstwerk um eine Zeichnung handelt. Offenbar war das Bruchstück Teil eines größeren Steins, vermuten die Forscher aufgrund der an den Rändern abrupt abbrechenden Linien.

Die Höhle rund 300 km von Kapstadt entfernt.
Die Höhle rund 300 km von Kapstadt entfernt. © dpaMagnus Haaland | Magnus Haaland

Mit einem Alter von etwa 73.000 Jahren handele es sich womöglich um die älteste bisher gefundene Zeichnung, schreiben die Forscher. Sie sei mindestens 30.000 Jahre älter als die bisher bekannten Nachweise von Zeichenkunst moderner Menschen. Zeichnen habe in Südafrika zum Verhaltensrepertoire des frühen Homo sapiens gehört, folgern die Wissenschaftler. Sie vermuten, dass die Technik sogar noch älter sein könnte. Aus der Blombos-Höhle seien aus älteren Schichten etwa Gravierungen mit ähnlichen Mustern bekannt. Auch ein mit Farbresten gefülltes Schneckenhaus deute darauf hin, dass Zeichnungen oder Malereien schon viel früher angefertigt wurden, möglicherweise sogar bereits vor 100.000 Jahren.

Neandertaler war geistig ebenbürtig

Die bisher ältesten Zeichnungen vom Homo sapiens – etwa aus der französischen Höhle Chauvet oder der spanischen Höhle El Castillo – haben ein Alter von weniger als 42.000 Jahren und stammen somit aus deutlich jüngerer Zeit, schreiben die Forscher.

Die Studie zeige recht solide, dass die damaligen Homo-sapiens-Vertreter in irgendeiner Form mit Ocker gearbeitet hätten, sagt Dirk Hoffmann vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. „Ob das eine beabsichtigte Zeichnung war oder das Nebenprodukt einer anderen Nutzung – das lässt sich wohl nicht mit letzter Eindeutigkeit zeigen, da wäre ich etwas zurückhaltender in der Bewertung.“

Hoffmann hatte mit einem internationalen Forscherteam Anfang dieses Jahres ähnlich alte Höhlenkunst im Fachblatt „Science“ vorgestellt. Sie wurde allerdings von Neandertalern angefertigt.

In drei spanischen Höhlen hatten die Wissenschaftler mindestens 64.000 Jahre alte bildliche Darstellungen wie den Umriss einer Hand und geometrische Formen gefunden. Sie waren somit gut 20.000 Jahre vor Ankunft des Homo sapiens in Europa entstanden. Daraus schloss das Team, dass der Neandertaler dem modernen Menschen geistig ebenbürtig gewesen sei.

Dass nun in Südafrika vermeintliche Zeichenkunstwerke vom sogenannten verständigen Menschen gefunden wurden, sei zu erwarten gewesen. „Die Kapazität dazu hatte der Homo sapiens , das ist von daher grundsätzlich keine Überraschung“, sagt Hoffmann. „Aber es ist gut, nun einen direkten Nachweis davon zu haben.“