Berlin. Forscher sprechen von neuen Extremen im sogenannten Gender-Marketing: Immer mehr Spielzeug ist auf Jungen bzw. Mädchen zugeschnitten.

Schon als Kind in eine Schublade gesteckt zu werden, das wollte Nadine Landruth ihrem Sohn Elias mit sechs Jahren ersparen. Doch es ist ein andauernder Kampf – mit den Freunden, den Lehrern. Und das jeden Tag. Elias ist Erstklässler, lebt in Berlin und hat drei Schwestern – eine vierjährige und zwei große (12 und 16 Jahre alt).

Zu Hause wächst er umgeben von Prinzessinen-Kostümen, Barbies und Badepuppen auf. Und natürlich spielt er mit, geht einmal wöchentlich zum Ballett, lässt sich von seiner kleinen Schwester Gunda die Nägel lackieren. Dabei fühlt er sich sehr wohl – und zeigt das auch nach außen. „Elias ist im Grunde sehr mutig“, sagt seine Mutter Nadine Landruth, eine Sozialarbeiterin. Wie oft hat sie mit Lehrern gesprochen, ihren Sohn nicht auf die rosa lackierten Fingernägel anzusprechen, mit den Großeltern über die Röcke geredet. „Ich will nicht, dass er sich geniert, dass er denkt, er sei anders, dass Jungs das nicht dürfen.“

Tatsächlich war der Druck auf Kinder, sich in konservative Geschlechterrollen-Klischees zu fügen, auf subtile Weise noch nie so groß wie in der aktuellen Kinder- und Schülergeneration. Forscher weltweit sprechen sogar von neuen Extremen im Gender-Marketing. Unter ihnen Stevie Schmiedel, promovierte Geschlechterforscherin aus Hamburg. „Noch nie gab es so viel gegendertes Spielzeug wie heute.

Ulmen-Fernandes kämpft gegen Geschlechterklischees

Ein Beispiel: Prinzessin Lillifee füttert ihre Tierchen und isst dabei selbst nicht viel, während Käpt’n Sharky seinen Tieren Befehle erteilt und auf starken Mann macht“, sagt die Expertin unserer Redaktion. Das seien Spielewelten, die klar in klassische Mädchen-Jungen-Rollen unterteilt sind. Während Lego für Jungs Sternenkriege und Ninjakämpfer bereithalte, dürften Mädchen bei Lego Friends frisieren, shoppen gehen und vielleicht auch mal etwas bauen, aber bitte mit dünner Taille und hohen Schuhen. Die Mutter zweier Töchter gründete vor fünf Jahren die Initiative „Pinkstinks“, die sich mittlerweile im Auftrag des Bundesfamilienministeriums gegen Sexismus in der Werbung einsetzt.

Eine Ninja-Lego-Figur.
Eine Ninja-Lego-Figur. © LEGO | Lego

Und auch von Seiten der Eltern regt sich immer mehr Widerstand gegen den Druck, Kinder stereotypisch zu erziehen. Ein prominentes Beispiel ist Collien Ulmen-Fernandes, die mit dem Schauspieler Christian Ulmen eine sechsjährige Tochter hat. „Meine Tochter hat leider vor Kurzem eine Serie gesehen, in der sich die Mädchen super tussig aufführen“, erzählt die Moderatorin unserer Redaktion. „Sie dachte danach, dass es normal ist, dass Mädchen hysterisch schreien, wenn sie ins Wasser springen, dabei hat sie das zuvor nie getan.“

Zum Thema „Jungssachen und Mädchenkram“ hat Ulmen-Fernandes das Buch „Lotti und Otto“ veröffentlicht. Auch dreht sie nun den Zweitteiler „No More Boys and Girls“ für den Sender ZDFneo. Denn ob sich Mädchen und Jungs wohlfühlen und wie ihre Prägung abläuft, ist keine Befindlichkeit, sondern spielt für die individuelle und kollektive Entwicklung eine große Rolle.

Expertin rät, Kindern die Werbeindustrie zu erklären

So erzielten Jungen beim aktuellen Pisa-Test häufiger Höchstleistungen als Mädchen. Das gilt nicht nur für Deutschland, sondern für fast alle 44 teilnehmenden Länder. „Wir sollten darüber nachdenken, ob wir Jungen und Mädchen gleichermaßen zu Spitzenleistungen anspornen“, sagt Francesco Avvisati, einer der Autoren der Studie. Ulmen-Fernandes stimmt dem zu.

„Ich denke, dass wir eine Rolle rückwärts machen, durch das immer extremer werdende Gendermarketing, das Kindern vermittelt wird“, sagt sie. Die Rollen, so Ulmen-Fernandes, würden durch solches Spielzeug enorm auseinandergehen. Jungs und Männer müssten Helden sein, eine Familie ernähren können, Mädchen dagegen gepflegt und fürsorglich. Expertin Stevie Schmiedel empfiehlt deshalb, über diese Klischees zu reden.

„Eltern können schon mit Vierjährigen Spielzeugkataloge durchgehen und ihnen kindergerecht erklären, wie die Werbeindustrie arbeitet – und dass sie sich nicht davon beeinflussen lassen sollen.“ Man könne auch vor dem Kind seine eigene Verunsicherung thematisieren. „Dass wir selbst immer wieder Dinge hinterfragen müssen, sodass wir nicht auf gegenderte Produkte hereinfallen.“

Collien Ulmen-Fernandes plädiert in diesem Sinne für die Erweiterung der Palette. „Ich habe nichts gegen Glitzerspängchen für Mädchen.“ Allerdings sollten auch Spiele angeboten werden, die technisches Verständnis und räumliches Vorstellungsvermögen fördern. Und Jungs, so findet Schmiedel, sollten ihre weiche Seite ausleben dürfen. Zu diesem Thema bietet ihre Initiative „Pinkstinks“ einen Workshop für Schulen an. Dieser basiert auf dem Buch „David und sein rosa Pony“.