La Estrella. Das spanische Dorf La Estrella ist seit Jahren so gut wie verlassen. Nur ein altes Ehepaar lebt dort. Ohne Komfort – aber glücklich.

Keine Asphaltstraße, sondern eine kilometerlange Schotterpiste führt durch Täler und Wälder zu dem Dorf La Estrella. Hier gibt es 45 Häuser, ein Rathaus, eine Kirche – aber nur noch zwei Einwohner: die 85-jährige Sinforosa Sancho und ihren 84-jährigen Ehemann Martín Colomer.

Seit gut 40 Jahren leben die Beiden alleine im Ort. Ohne fließendes Wasser, ohne Heizung, Telefonleitung und Fernsehapparat. In der Gesellschaft von ein paar Hühnern, Kaninchen, Hunden und Katzen. Mit einem Obst- und Gemüsegarten hinterm Haus. Ein früheres Gasthaus, auf dessen Dach immerhin ein Zeichen der Moderne glänzt: Solarzellen, um ein bisschen Strom zu produzieren.

„Wir sind genügsam, wir brauchen nicht viel“, sagen die beiden Einsiedler aus La Estrella, das in Spaniens bevölkerungsärmster Provinz Teruel liegt. Seit sie in dem Kurzfilm „The Last Two – Die letzten zwei“ verewigt wurden, sind sie vermutlich Teruels berühmteste Dorfbewohner.

Einst lebten in La Estrella 200 Menschen

Sinforosa Sancho zbd Juan Martin Colomer scherzen bei der Gartenarbeit.
Sinforosa Sancho zbd Juan Martin Colomer scherzen bei der Gartenarbeit. © REUTERS | SUSANA VERA

Vor vier Jahrzehnten wohnten in La Estrella, das zur nordostspanischen Region Aragonien gehört und mehr als 20 Kilometer vom nächsten Dorf entfernt ist, noch 200 Menschen. Es gab eine Schule, einen Pfarrer, einen Bürgermeister, einen Polizisten und sogar einen Torero. Doch sie alle flohen vor der Einsamkeit in größere Ortschaften, wo es mehr Arbeit gab. Und mehr Leben.

Aber jeder hat eben andere Vorstellungen von dem, was Leben ist. Sinforosa Sancho und Martín Colomer sind in ihrer Abgeschiedenheit glücklich. Sie sind in diesem Dorf aufgewachsen. Und die beiden wollen in La Estrella, so lange es geht, aushalten. Denn dort, wo sie sich vor über 60 Jahren beim Schafehüten kennenlernten, ist ihre Heimat, die sie lieben. Und wo sie jeden Stein kennen.

„Wir haben keine Angst vor der Einsamkeit“, sagt Ehemann Colomer. „Ich hätte wahrscheinlich viel mehr Angst in einer großen Stadt wie Madrid oder Barcelona.“ Auch seine Frau ist wunschlos glücklich: „Es gibt drei wichtige Dinge im Leben“, sagt sie, „und zwar Gesundheit, Liebe und Geld.“ Und alles sei ausreichend vorhanden.

Zweimal im Jahr kommt singender Besuch

Seit Jahren brennt Licht nur noch in einem der Häuser von La Estrella.
Seit Jahren brennt Licht nur noch in einem der Häuser von La Estrella. © REUTERS | SUSANA VERA

Ohne Geld, eine Rente von rund 1200 Euro monatlich, geht es natürlich auch nicht. Das brauchen die beiden allein schon, um gelegentlich mit dem alten Land Rover zum Supermarkt im Nachbarort Villafranca fahren zu können. Dort können sie dann all das einkaufen, was sie in ihrem abgeschiedenen Bergdorf, das auf etwa 800 Meter Höhe in der Sierra de Gúdar liegt, nicht selbst produzieren können.

In Villafranca, wo immerhin 2300 Menschen leben, wohnt auch ihr Sohn Vicente. Er war übrigens der Letzte, der schon vor Jahrzehnten in La Estrella die Koffer packte. Vicente hatte seine Eltern vergeblich gebeten, mit ihm in die Zivilisation zu kommen.

Doch immerhin bekommen die beiden Eremiten zwei Mal im Jahr, im Mai und im November, großen Besuch: Dann wandern die Bewohner vom 24 Kilometer entfernten Mosqueruela singend und betend zur jahrhundertealten Dorfkirche in La Estrella, um dort der heiligen Jungfrau ihre Ehre zu erweisen.

Landflucht ist in vielen Regionen Spaniens ein Problem

Viele Häuser in La Estrella sind seit Jahrzehnten verlassen.
Viele Häuser in La Estrella sind seit Jahrzehnten verlassen. © REUTERS | SUSANA VERA

Die Jungfrau hat sie bisher vor größerem Unheil beschützt, meinen die beiden. Sinforosa Sancho und Martín Colomer halten zum Dank die Dorfkirche in Schuss. Nur neue Dorfbewohner, die das Erbe von La Estrella bewahren könnten, hat auch die heilige Schutzpatronin bisher nicht in die Einsamkeit geschickt. An etlichen Häusern in La Estrella steht „se sende“ (auf Deutsch „zu verkaufen“).

Die Landflucht macht übrigens vielen Dörfern in der Provinz Teruel, die als einer der einsamsten Flecken der Nation gilt, zu schaffen. Auch in anderen Regionen Spaniens, wie etwa im nordwestspanischen Galicien, verfallen Hunderte von Dörfern, in denen niemand mehr leben will. Rund 7000 Weiler und Ortschaften im ganzen spanischen Königreich sind Schätzungen zufolge in den letzten Jahrzehnten verlassen worden – oder wie La Estrella vom Aussterben bedroht.

Falls nicht doch noch ein Wunder geschieht, könnte auch La Estrella in den nächsten Jahren zu einem Geisterdorf werden. „Wenn wir vergehen“, befürchtet Martín Colomer, „wird wohl auch unser Dorf sterben.“