Moskau. Eine Russin ist vor der Küste von Kreta mit ihrer Luftmatratze abgetrieben. Jetzt spricht sie über ihre Rettung nach rund 21 Stunden.

Die Sonne war aufgegangen, der Sturm hatte sich gelegt. Aber Olga spürte ihre Kräfte schwinden. Die Unterarme waren weiß vom Rudern im Wasser, die Ellbogen hatten sich am Matratzenrand blutig gerieben, die Oberarme schmerzten, ein Bein hatte sie sich ausgerenkt. „Und das Ufer kam einfach nicht näher, obwohl ich nie aufgehört hatte zu paddeln“, sagt sie. „Aber ich dachte nicht daran, aufzugeben.“

Olga Kuldo hat 21 Stunden gekämpft, allein gegen das Meer vor Kreta. Auf einer Luftmatratze geriet die 55-jährige Russin, nur mit einem Bikini bekleidet, in eine Sturmnacht, galt schon als tot. Aber sie überlebte, dank ihrer fast übermenschlichen Willensleistung. Immer noch ist es schwer für sie, über ihren Urlaub zu sprechen, als sie mit ihrem Mann und ihrer Tochter Erholung auf Kreta suchte. Es sei früher Nachmittag gewesen, als sie sich vor dem Saunagang noch fünf Minuten im Meer abkühlen wollte.

Olga ist keine gute Schwimmerin und treibt kaum Sport

Gegen 14.30 Uhr stieg sie mit ihrer Luftmatratze am Hotelstrand bei Rethymno ins Meer. Sie habe schon nach Sekunden bemerkt, dass sie abgetrieben wurde, erzählt sie, und habe angefangen, mit Armen und Beinen zu rudern. Vergeblich. Sie rief um Hilfe, auf Russisch, Englisch, Deutsch. Der Strand wimmelte von Menschen, aber niemand bemerkte Olgas Not.

Ihre Matratze sah aus wie ein regenbogenfarbiges Eis am Stiel, 180 Zentimeter lang, 72 breit. Olga legte sich quer darüber, mit Armen und Beinen im Wasser. „Ich wollte verhindern, dass die Luft rausgeht. Und ich wollte paddeln, bis ich wieder ans Ufer komme.“

Das war inzwischen knapp zwei Kilometer entfernt. Olga sagt, sie sei keine gute Schwimmerin, treibe kaum Sport. Sie fing an, ihre Paddelschläge zu zählen, sie betete. Die Sonne ging unter, der Mond auf. Über ihr kreisten Möwen, Olga versuchte, sie mit einem Lied von einem verwundeten Kosaken zu vertreiben: „Schwarzer Rabe, schwarzer Rabe, was kreist du über mir? Du machst heute keine Beute, du kriegst mich nicht.“

Wegen des Sturms wurde die Suche abgebrochen

Mit der Nacht kam Sturm, Windstärke sechs, die Wellen türmten sich vier, fünf Meter hoch. Olga hielt sich mit ihrem Blick an den fernen Lichtern des Ufers fest. Sie dachte an die Familie, an die 85-jährige Mutter. „Wie weh würde ich ihnen allen tun, wenn ich aufhöre zu kämpfen.“ Ihr seien viele Dinge durch den Kopf gegangen, banale Dinge, mit denen sie die Todesangst verdrängen konnte: Wie unangenehm es sein wird, wenn sie an Land kommt und irgendwo an der Straße ein Auto anhalten muss, halb nackt, ohne Geld. Es waren Gedanken, die sich um das Überleben drehten. Den Tod habe sie einfach ausgeklammert.

Doch im Hotel war genau davon die Rede. Wegen des Sturms wurde die Suche abgebrochen, sagte die Polizei, die Olgas Angehörigen sehr eindeutig zu verstehen gab, es gehe wohl nur noch darum, die Leiche zu suchen.

Ihre Körpertemperatur lag nur bei 32 Grad

Sie habe alle Gefühle und Gedanken, die in Panik enden könnten, bewusst verdrängt, erinnert sich Olga. Und an angenehme Dinge gedacht. „Ich wollte es die ganze Zeit aus eigener Kraft schaffen, war mir auch, als die Kräfte nachließen, sicher, dass sich gleich die Strömung dreht, dass ich es wieder an Land schaffe.“

Doch dann, als ihre Hoffnung zu schwinden drohte, sah sie ein Flugzeug und dann noch ein Flugzeug. „Ich dachte, das sind Privatpiloten, die einfach eine Runde drehen.“ Eine Maschine kehrte zurück, drinnen saß ein slowakischer Frontex-Pilot, der ein Küstenwachschiff zu Olga lotste. Erst an Bord habe sie gespürt, wie sehr sie fror, erinnert sie sich. Ihre Körpertemperatur lag nur bei 32 Grad, nachdem sie aus dem etwa 20 Grad warmen Wasser gerettet wurde.

Der Wind packte die Matratze und wehte sie davon

Trotz aller Befürchtungen der Ärzte kam sie ohne Wasser in der Lunge, ohne Herzprobleme oder andere Gesundheitsschäden davon. Sie arbeitet wieder als Kardiologin in ihrer Moskauer Polyklinik, sagt, sie sei glücklich, dass sie lebe und wieder bei ihrer Familie sei. „Manchmal weine ich, wenn ich allein bin, beim Autofahren.“

Als die griechischen Küstenwächter Olga aus dem Wasser zogen, umklammerte sie mit einer Hand den Rand ihr Luftmatratze, aber der Wind packte die Matratze und wehte sie davon. „Stellen Sie sich vor, was passiert wäre, wenn ich die Matratze vorher für einen Augenblick losgelassen hätte“, sagt Olga.