Berlin. Goldgräberstimmung weit in der Tiefe: Unternehmen treiben den Rohstoff-Abbau auf dem Meeresgrund voran. Umweltschützer warnen davor.

Drachenfische, denen selbst auf der Zunge messerscharfe Zähne wachsen, Riesenasseln in der Größe von Dackeln, gallert-artige Fische mit zwei Köpfen: So wird die Tiefsee oft auf Bildern präsentiert. Doch Hunderte bis Tausende Meter unterhalb der Meeresoberfläche sind nicht nur monströse Geschöpfe zu finden.

Der für gewöhnlich lichtlose Bereich des Meeres beherbergt weitere faszinierende Lebensformen, die sich an eisige Kälte, Dunkelheit und unglaublich hohen Druck angepasst haben. Im Reich der Tiefe gibt es Korallen, die mangels Sonnenlicht nur wenige Mikrometer pro Jahr wachsen, aber bis zu 4000 Jahre alt werden. Oder Kragenhaie, eine Art, die erst nach dreieinhalb Jahren ihre Eier legt – und damit die längste bekannte Tragezeit aller Wirbeltiere hat.

Metalle für Smartphones und Batterien

Umweltschützer auf der ganzen Welt sehen diese noch nahezu unberührten Ökosysteme zunehmend bedroht. Sie warnen vor einem „Kahlschlag in der Tiefe“. Der Grund: Um den wachsenden Bedarf an Metallen zu decken, wollen Rohstoff-Firmen künftig in die Tiefen des Meeres vordringen. Dort gibt es unter anderem Kupfer, Aluminium und Kobalt, aber auch Sulfide, die eine ganze Reihe von Schwermetallen und Spurenelementen enthalten. Die Industrie braucht die Rohstoffe für Produkte wie etwa Smartphones, und selbst „grüne“ Technologien befeuern den Bedarf etwa für Speicherbatterien.

Ein Manganknollenfeld.
Ein Manganknollenfeld. © Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR)/Thomas Kuhn | Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR)/Thomas Kuhn

Auf der bis Ende Juli in Jamaika stattfindenden Konferenz der Internationalen Meeresbodenbehörde ISA soll ein Verhaltenskodex festgelegt werden, der den Rohstoff-Abbau am Meeresgrund reguliert. Der Weltnaturschutzunion (IUCN) geht das allerdings nicht weit genug: „Die Regeln, die gerade zum Management des Rohstoffabbaus in der Tiefsee entwickelt werden, reichen nicht aus, um unwiderruf­lichen Schaden von den Ökosystemen der Meere und den Verlust einzigartiger Arten abzuwenden.“ Den Ozeanboden mit Maschinen aufzureißen, komme „dem Abholzen von Wäldern gleich“, schreibt die Organisation im Schweizer Gland in ihrem Bericht.

Als Tiefsee werden Regionen – je nach Theorie – unterhalb von 200 bis 800 Metern bezeichnet. Der Durchschnitt liegt bei etwa 4000 Metern. Laut IUCN machen Tiefsee-Regionen damit fast zwei Drittel der Erdoberfläche aus. Der größte Teil des Seebodens sei weitgehend unentdeckt, selbst die Rückseite des Mondes sei gründlicher erforscht, schreibt der Umweltverband WWF, eine der wenigen Beobachterorganisationen der ISA.

WWF: Dringend mehr Forschungsarbeit nötig

„Bekannt und unbestritten ist, dass die Bewohner der Tiefsee an sehr stabile ökologische Verhältnisse angepasst sind, sich erst spät und oder selten fortpflanzen, überaus empfindlich auf Störungen reagieren und sehr lange brauchen, sich von schädigenden Eingriffen wieder zu erholen“, so Tim Packeiser vom WWF-Zentrum für Meeresschutz in Hamburg. Es sei dringend mehr Forschungsarbeit notwendig.

Allerdings liegt der größte Teil des Tiefseebodens auch jenseits der „Ausschließlichen Wirtschaftszonen“ der Küstenstaaten – und damit jenseits nationaler Rechtsprechung. Dieser Boden, von den Vereinten Nationen als „gemeinsames Erbe der Menschheit“ bezeichnet, wird von der 1994 gegründeten ISA verwaltet, deren Mitgliedsstaaten jährlich an deren Sitz in Kingston auf Jamaika beraten.

Die Behörde will erstmals 2025 Lizenzen für den kommerziellen Abbau der Rohstoffe am Meeresboden vergeben. Angesichts der schnell wachsenden Anzahl an Ländern, die mit großem finanziellen und technischen Aufwand derzeit die Meeresgründe erkunden, habe der „Run auf die Rohstoffe der Tiefsee“ schon längst begonnen, heißt es vom WWF. Forschungsschiffe und U-Boote aus China, Russland, den USA, Europa sind zu diesem Zweck unterwegs, allerorts entwickeln Firmen tiefseetaugliche Bagger und Saug-Roboter.

Dabei geht es unter anderem um bestimmte schwefelhaltige Salze (Sulfide). Die Meeresbodenbehörde ISA hat nach eigenen Angaben bereits 29 Vertragspartnern Lizenzen für die Suche nach polymetal­lischen Sulfiden und kobaltreichen Krusten erteilt – darunter auch an der mehr als 20 000 Kilometer langen Gebirgskette Mittelatlantischer Rücken im Atlantik. Auch Deutschland hat seit 2015 eine Lizenz.

Umweltschützer: Schon kleine Eingriffe schaden

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) mit Sitz in Hannover will Sulfide im Indischen Ozean südöstlich von Madagaskar bis in eine Tiefe von 3000 Metern erforschen. Laut BGR enthalten sie neben Schwefel auch Blei, Kupfer, Zink, Gold und Silber sowie Spurenelemente wie Kobalt, Nickel und Selen. Gerade erst sind die Hannoveraner von einer achtwöchigen Expedition mit dem Forschungsschiff „Sonne“ vom Zen­tralpazifik zurückgekehrt. In ihrem 75 000 Quadratkilometer großen Lizenzgebiet sollen künftig Manganknollen abgebaut werden. Das sind Klumpen, die zu 27 Prozent aus dem Metall Mangan bestehen, aber auch zahlreiche andere Elemente enthalten.

Die Forscher sind zufrieden mit dem Tiefblick: Unter anderem entdeckten sie ein „wirtschaftlich hochinteressantes Manganknollenfeld“. Konkret: acht Millionen Tonnen Knollen auf 350 Quadratkilometern Fläche. Im kommenden Jahr soll ein Gerät getestet werden, das die Knollen unter den extremen Tiefsee-Bedingungen abbauen kann.

Um einen „Beitrag für verantwortungsvolle Rohstoffgewinnung zu leisten“, habe die Besatzung der „Sonne“ die in und auf dem Meeresboden lebenden Tiere wie Fadenwürmer, Ruderfußkrebse und Seegurken entnommen oder fotografiert. „Mit Hilfe von Gen­analysen werden die Proben jetzt ausgewertet, um den Artenreichtum und das Verbreitungsgebiet der Tierwelt in den ausgedehnten Knollenfeldern zu analysieren.“

Die IUCN glaubt, dass schon kleine Eingriffe schweren Schaden bringen können: Wenn Sedimente am Meeresboden aufgewirbelt werden, könne dies einige Tiere ersticken und anderen die Sicht nehmen. Lebewesen würden zudem gestört durch Lärm, Vibrationen, Licht und Schiffe. Außerdem be­stehe die Gefahr, dass giftige Stoffe durch Lecks ins Meereswasser gelangen. Die Ölkatastrophe wie durch den Untergang der BP-Bohrplattform im Golf von Mexiko zeigt, wie schwierig ein zuverlässiger Einsatz auch modernster Technik in der Tiefsee ist, ergänzt der WWF – und dort wurde „nur“ in 1500 Meter Tiefe gefördert.