Berlin. Therese Kersten hat eine Agentur gegründet, die Männern und Frauen in Liebesdingen weiterhilft. Sie testet, wie treu ein Partner ist.

„Bist du Single?“, tippt Kristina in ihr Handy. „Ich bin eigentlich vergeben“, antwortet Michael. Die hübsche junge Frau hatte ihm zuvor geschrieben, dass er ihr im Fitness-Studio aufgefallen sei. Seine Nummer habe sie von einem Bekannten. Michael war überrumpelt, aber neugierig. Er ist seit fünf Jahren mit Susanne liiert, er liebt sie, aber ihr Alltag lässt wenig Raum für Leidenschaft. Der Kontakt mit Kristina hingegen ist aufregend. Zu aufregend, um die Finger vom Handy zu lassen.

Michael, Kristina und Susanne haben in Wirklichkeit andere Namen. Kristina hat Michaels Nummer nicht von einem Bekannten, sondern von Susanne. Und Kristina ist eine von circa 200 weiblichen Lockvögeln, die für Therese Kersten arbeiten. Die 28-Jährige aus Schönebeck (Sachsen-Anhalt) hat eine Treuetest-Agentur gegründet, nachdem sie von ihrem Partner betrogen wurde. „Ich hätte mir gewünscht, früher zu wissen, woran ich bin“, sagt sie. Der SMS-Test ist Kerstens Bestseller, zehn Nachrichten kosten 34 Euro.

Fremdgeh-Quoten laut Umfragen zwischen 13 und 55 Prozent

Bei Michael und Kristina blieb es bei Nachrichten, aber auch persönliche Treffen fädelt Kersten ein. Zum Äußersten kommt es dabei nie, „beim Kuss ist Schluss“, stellt sie klar. Im echten Leben, in dem die andere Frau kein Lockvogel, sondern eine Kollegin, die Ex-Freundin oder eine Partybekanntschaft ist, gehen 25 Prozent der vergebenen Männer fremd. Das ergab zumindest eine Studie von Parship aus dem Jahr 2015.

Von den befragten Frauen waren 13 Prozent untreu. Andere Umfragen kommen auf höhere Fremdgeh-Quoten: In einer Studie der Göttinger Georg-August-Universität gaben 55 Prozent der befragten Frauen und 49 Prozent der Männer an, bereits einmal untreu gewesen zu sein.

Fremdgehen ist heute leichter denn je

Das Dilemma bei der Sache ist: Obwohl viele nach links und rechts schielen, will keiner den Glauben an die Treue aufgeben. Auch nicht die junge Generation, die oft als beziehungsunfähig abgestempelt wird. Eine Umfrage des Jugendmagazins „Neon“ ergab: Für 93 Prozent der Befragten im Alter zwischen 18 und 30 Jahren ist Treue wichtig oder sehr wichtig.

78 Prozent glauben an die große Liebe. Dabei ist der Widerspruch zwischen Anspruch und Realität den meisten bewusst – dank Dating-Apps wie Tinder und Internetportalen, die Affären vermitteln, ist Fremdgehen leichter denn je.

Paartherapeut: Auch Falle stellen, ist ein Vertrauensbruch

Wie geht man damit um, an der Treue seines Partners zu zweifeln? Das Misstrauen zu ignorieren, ist keine gute Idee: „Wenn jemand ein schlechtes Bauchgefühl hat, steckt meistens etwas dahinter“, meint Paartherapeut Falk Kuhfuhs. Und mahnt: „Wer einen Verdacht hat, sollte seinen Partner darauf ansprechen und erklären, woher das ungute Gefühl kommt.“

Ist das Vertrauen aber gestört, glaubt man seinem Partner nicht, egal was er beteuert. Therese Kersten ist dann vielleicht die Letzte, die für Klarheit sorgt. Dabei sind auch ihre Treuetests nur eine Momentaufnahme. Kuhfuhs findet: „Wenn das Vertrauen so gestört ist, dass man Unternehmen kontaktiert, anstatt den Partner anzusprechen, ist das ein bedenkliches Zeichen. Wer dem eigenen Partner eine Falle stellt, hintergeht ihn. Das stellt genauso einen Vertrauensbruch dar.“

Untreue kann Beziehungen auch wieder beleben

Viele Psychologen und Liebes-Experten schlagen einen anderen Weg aus dem Dilemma vor. Sie finden, dass ein Ausrutscher und sogar eine Affäre Beziehungen beleben können. Und dass man seinem Partner nicht unbedingt davon erzählen sollte. Es muss nicht gleich eine offene Beziehung sein, es reicht, ein Auge zuzudrücken, Treue nicht ganz so hoch zu hängen.

Die New Yorker Psychoanalytikerin Esther Perel bietet Paaren an, in getrennten Einzelsitzungen mit ihr die Wahrheit auszupacken. „Untreue neu denken“, nennt sie ihren Ansatz. Das erfordert viel Toleranz, Selbstbewusstsein und Vertrauen in die Beziehung.

Eine geplatzte Hochzeit – drei Wochen vor dem Termin

Nicht immer kann der Betrogene so viel Großmut aufbringen. Therese Kersten erinnert sich an einen jungen Mann, für den der Test ein tragisches Ende hatte: „Er ließ seine Verlobte kurz vor seiner Hochzeit testen. Leider traf sie sich immer wieder mit dem männlichen Lockvogel. Der Betrogene blies die Hochzeit drei Wochen vorher ab.“

Die Ex-Verlobte schien regelrecht süchtig nach Anerkennung von anderen Männern, sagt Kersten. Viele sehnen sich aber nur nach etwas Abwechslung und einer Prise Abenteuer. Psychologen wie Perel glauben, dass dahinter nicht unbedingt eine unglückliche Beziehung steckt. So wie bei Michael, der seine Susanne eigentlich liebt.

Vielleicht müssen wir auch getreu der Maxime der 68er den Glauben an die Liebe fürs Leben ohne den Anspruch an Treue denken. Bleiben wir trotzdem zusammen, ist das doch für sich ein großer Liebesbeweis.