Baikonur. Zum zweiten Mal fliegt Astronaut Alexander Gerst ins All. Er wird als erster Deutscher das Kommando auf der Raumstation ISS übernehmen.
Alexander Gerst könnte aufgeregt sein, bevor er mit der unvorstellbaren Kraft von mehr als 20 Millionen PS zu seiner zweiten Weltraummission aufbricht. Doch der deutsche Astronaut mit dem Spitznamen Astro-Alex wirkt abgeklärt und routiniert.
„Ich weiß, was auf mich wartet“, sagt der Geophysiker, der aus Künzelsau in Baden-Württemberg stammt. Vom Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan twittert er: „Wenn man zum zweiten Mal in sein Raumschiff steigt, dann fühlt es sich schon ein wenig an wie zu Hause.“
Alexander Gerst kennt sich aus im All
Nur vier Jahre nach seinem ersten Aufenthalt auf der Internationalen Raumstation fliegt Gerst am 6. Juni wieder zur ISS. Für die Mission „Horizons“ (Horizonte) soll Deutschlands Mann im All ein halbes Jahr in der Schwerelosigkeit leben und forschen – auf dem Außenposten der Menschheit, der 400 Kilometer über der Erde seine Bahnen zieht.
„Ich weiß schon, wie es sich anfühlt, da zu schlafen, zu essen, zur Toilette zu gehen“, sagt Gerst. Auch auf den Raketenflug zur ISS blickt der 42-jährige Astronaut der Europäischen Raumfahrtagentur Esa gelassen – dank der Erfahrung von seiner Mission „Blue Dot“ 2014.
Das Gefühl beim Start ist „absolut großartig“
Dabei gäbe es gerade beim Start Grund zur Nervosität, denn eine Sojus-Rakete gleicht einem Feuerstuhl. Wenn Gerst auf dem russischen Weltraumbahnhof Baikonur in Kasachstan in die enge Kapsel an der Spitze der Sojus steigt, sitzt er auf rund 77 Tonnen Treibstoff. In wenigen Minuten verbrannt, erzeuge die Rakete damit so viel Energie wie mehrere Kernkraftwerke im selben Zeitraum, erklärt er.
Alexander Gerst: Seine All-Bilder 2014
Das Gefühl beim Start beschreibt Gerst als „absolut großartig“. Doch man könne es nicht komplett genießen. „Es ist ja nicht so, dass wir in einem gemütlichen Sessel sitzen und uns fliegen lassen“, sagte er bei einem Training im Frühjahr in Moskau. Beim Start müssten laufend Systeme überprüft werden. „Man verwendet 90 Prozent seiner geistigen Kapazitäten auf die Operationen, und die restlichen 10 gönnt man sich, um aus dem Fenster zu schauen.“
Diesmal hat er mehr Verantwortung
Vom Flug 2014 habe er daher viele Details vergessen, gesteht Gerst. „Ich bin gespannt, ob ich es bei diesem Start hinkriege, ein bisschen mehr von meiner Umwelt mitzubekommen, weil es nicht mehr so neu ist.“ Doch als Co-Pilot der Sojus hat er diesmal mehr Verantwortung als damals, als er als einfacher Bordingenieur mitflog.
Gersts zweite Mission fällt in ein Jubiläumsjahr. Vor 40 Jahren flog der DDR-Kampfpilot Sigmund Jähn als erster Deutscher in den Kosmos. Der heute 81-Jährige startete im August 1978 mit einer Sojus, einem Vorvorgänger der aktuellen Version, und verbrachte fast acht Tage auf der sowjetischen Raumstation Saljut-6, einem Vorvorgänger der ISS.
Er übernimmt als erster Deutscher das Kommando auf der ISS
Inzwischen ist Gerst der elfte deutsche Raumfahrer. Auf der ISS waren zwei Deutsche vor ihm, und auch er selbst war ja schon da. Dennoch wird seine zweite Reise etwas Besonderes, denn Gerst darf als erster Deutscher ab Oktober für etwa drei Monate das Kommando auf der Raumstation übernehmen. Dies ist ein Privileg, das gewöhnlich die USA und Russland als Hauptzahler des Milliardenprojekts ISS beanspruchen, das im Herbst seinen 20. Geburtstag feiert.
Gersts Reise ins All beginnt an einem historischen Ort. Von Baikonur in der zentralasiatischen Steppe aus war 1961 Juri Gagarin als erster Mensch ins All geflogen. Er umrundete die Erde in 108 Minuten.
Überlebenstraining bei minus zwanzig Grad im Wald
Gerst hat schon 165 Tage im All verbracht. Nun sollen 188 Tage hinzukommen. Zweieinhalb Jahre hat der promovierte Vulkanologe beim Training für die Mission Nummer 56/57 im Raumanzug geschwitzt und Abläufe gebüffelt. Dutzende Experimente warten nun auf ihn im All. Für seine Rolle als Kommandant habe er schon vorab vieles organisieren müssen, sagt er.
Zwischen Moskau, Houston und Köln pendelten Gerst und seine Team-Kollegen, der russische Kampfpilot Sergej Prokopjew (43) und die US-Ärztin Serena Auñón-Chancellor (42). Das schweißt zusammen. „Wir haben das Winter-Überlebenstraining zusammen verbracht, bei minus 20 Grad im Wald, ohne Zelt, ohne Schlafsack. Da lernt man sich kennen“, sagt Gerst. „Mein Ziel ist es, dass wir alle als Freunde wieder landen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Moskau.
Gerst: Die Welt ist nur eine kleine Steinkugel
Der künftige „Commander Gerst“ ist der Popstar in der Crew. Der charismatische Glatzkopf aus Künzelsau ist mit seiner offenen Art und seinem fließenden Russisch auch in Moskau beliebt. „Er spricht so gut. Man könnte eine eigene Pressekonferenz für ihn machen, und er würde zwei Stunden ohne Pause reden“, sagt eine Mitarbeiterin des russischen Kosmonautenausbildungszentrums, wo Gerst trainiert hat.
Gerst, der gerne und viel twittert, ist ein Medienprofi. Im Gespräch zeigt er sich immer wieder auch als nachdenklicher Mensch. Wenn man von der ISS auf die Erde herabblicke, verstehe man plötzlich, dass das nur eine kleine Steinkugel ist, sagt er.
„Die Frage ist, wie wir Menschen es anstellen, dass wir die Erde bewohnbar halten. Letztlich denkt man schon ein bisschen anders drüber, was man da unten alles hat, gerade wenn man sieht, in welchem schwarzen Nichts sich die Erde bewegt.“ Auch deswegen heiße seine neue Mission „Horizons“: „Wir wollten den Blick erweitern auf das, was hinter dem Horizont ist.“ (dpa)