Moskau. Vor der Mitte Juni beginnenden Fußball-WM werden in Russland massenweise streunende Hunde eingeschläfert. Tierschützer protestieren.

Das Plansoll ist grausam: Allein in Jekaterinburg sollen in diesem Jahr 4500 streunende Hunde eingefangen werden, 4050 von ihnen sterben. „Die Hunde werden zehn Tage in Quarantäne gehalten, zehn Prozent davon – gesunde und gutmütige Tiere – ausgesondert, die übrigen 90 Prozent eingeschläfert“, berichtet Anna Waiman, Leiterin der Tierschutzstiftung Soosaschtschita, dieser Zeitung. „Die ausgesonderten Tiere werden sterilisiert und gegen Tollwut geimpft. Sie bekommen noch 20 Tage Gnadenfrist. Wenn sie danach niemand aufgenommen hat, tötet man auch sie.“

Russland hat Hunden den Kampf angesagt. Ausgerechnet vor der Fußball-Weltmeisterschaft, die am 14. Juni startet, häufen sich Meldungen über einen staatlichen Feldzug gegen streunende Tiere. „Der Fußball wird gegen Hunde geschützt“, verteidigt die Tageszeitung „Kommersant“ die Aktion. Kritiker wie die von der Initiative „Bloody Fifa 2018“ (Blutige Fifa) fühlen sich dagegen an düstere Zeiten erinnert: „Elf russische Städte werden mit dem Blut herrenloser Tiere überschwemmt. So sind die Nazis im Zweiten Weltkrieg mit Menschen umgegangen.“ Inzwischen haben mehr als 1,6 Millionen Menschen eine Protesteingabe auf der Plattform change.org unterschrieben.

„Ohne uns wäre das ein Fließband des Todes“

Auch Tierschützerin Anna Waiman will das massenhafte Hundesterben in ihrem Land nicht hinnehmen. Sie und ihre Freiwilligen suchen nicht nur für die zunächst verschonten zehn Prozent der gefangenen Tiere neue Herren und Unterkünfte, sondern auch für andere gesunde und friedliche Streuner. „Ohne uns wäre das ein Fließband des Todes“, schildert sie. Die Stadtverwaltung von Jekaterinburg reagiert auf die Rettungsaktion jedoch ungerührt: „Unsere Priorität ist die Sicherheit und Gesundheit der Bürger“, sagt Rathaussprecher Anatoli Karmanow. „Auch sterilisierte Hunde werden keine Streichelhündchen.“

Eigentlich sind Hundetötungen in Russland verpönt. In Städten wie Sankt Petersburg, Kaliningrad, Nischni Nowgorod oder Rostow am Don behandeln die Kommunalverwaltungen streunende Hunde nach dem FSIF-Prinzip: „Fangen, sterilisieren, impfen, freilassen“. Doch offenbar wollen viele Rathäuser störende Streuner schnell und billig beseitigen, bevor die WM-Touristen kommen.

Hundefänger versuchen mehrfach Kopfgeld zu kassieren

Die Zeitschrift „Sobesednik“ berichtet, dass Tierschützer im Herbst auf dem Gelände des Rostower Zentrums für herrenlose Tiere Tausende Hunde- und Katzenkadaver entdeckten. Mitarbeiter des Zentrums behaupten dagegen, Fotos und Videos der in Kühlhallen gelagerten Tierkörper seinen gefälscht.Der Duma-Abgeordnete Wladimir Burmatow klagt, es sei einfach günstiger, die Tiere massenhaft zu töten als sie zu versorgen.

Und die Moskauer Tierschützerin Jekaterina Dmitrijewa, eine der „Bloody Fifa“-Initiatorinnen, berichtet, Hundefänger kurvten mit Kühlwagen voller toter Hunde von einer Kommunalverwaltung zur nächsten, um mehrfach Kopfgeld zu kassieren. Der Lokalpolitiker Oleg Schejn aus Astrachan sagt, in der Stadt seien vergangenes Jahr nur drei Prozent der 6000 streunenden Hunde sterilisiert, die übrigen getötet worden.

Giftpfeile verursachen einen qualvollen Tod

Tierschützerin Waiman aus Jekaterinburg sagt, in den Kleinstädten der Umgebung würden die Hunde aus Kostengründen erst gar nicht eingefangen, sondern mit Giftpfeilen abgeschossen, die qualvolle Erstickungskrämpfe hervorriefen. „Die Fußball-WM bietet uns vor allem einen Anlass, auf die haarsträubende staatliche Politik gegenüber den herrenlosen Haustieren aufmerksam zu machen: Fangen und töten“, sagt ihre Moskauer Kollegin Dmitrijewa.

Das internationale Echo ist laut. Das Sportministerium hat die Austragungsstädte inzwischen angewiesen, gegenüber den Streunern möglichst human vorzugehen. Dazu sollen eigens neue Tierheime eingerichtet werden – ein Auftrag, bei dem sich auch wieder viel Geld verdienen lässt.Es ist nicht das erste Mal, dass Hunde einem Fußballturnier zum Opfer fallen. Als Polen und die Ukraine 2012 die Europameisterschaft ausrichteten, war dort von einem „Hundemassaker“ die Rede.