Berlin. Pädagogen in den USA und Großbritannien ermutigen Kinder, keine exklusiven Beziehungen einzugehen. Das soll vor Ausgrenzung schützen.

Wie viele Freunde Prinz George (4) hat, ist aus Gründen der royalen Privatsphäre des kleinen Thronfolgers nicht überliefert. Dass der Sohn von Prinz William und Herzogin Catherine allerdings dazu angehalten ist, keinen besten Freund zu haben, das steht in den Richtlinien seiner Grundschule „Thomas’s Battersea“ in London.

Was zunächst für viele Pädagogen und Eltern in Deutschland (noch) merkwürdig anmutet, ist ein Trend aus Großbritannien und den USA, der in vielen Ländern in Zeiten von Anti-Mobbing-Kampagnen und Inklusion mittlerweile viel Zuspruch findet. Viele Eltern hierzulande kennen ähnliche Diskussionen um Geburtstagseinladungen und Einbeziehung aller Kinder bei Elternabenden.

„Es gibt eine Bewegung in einigen amerikanischen und europäischen Schulen, den Ausdruck ,bester Freund’ zu verbieten“, sagte die US-Kinderpsychogin Barbara Greenberg gegenüber dem Sender CBS jüngst. Dieses Gebot sei ein „sehr faszinierendes soziales Experiment“.

Kinder sollen nicht ausgeschlossen werden

Jane Moore, eine Mutter, deren Kinder die Schule von Prinz George in London besuchen, erklärte in einer britischen Talkshow zum Thema: „Es gibt eine Richtlinie an der Schule, die besagt, dass wenn dein Kind eine Party feiert und nicht jedes Kind in der Klasse eingeladen ist, die Einladungen nicht im Klassenzimmer oder auf dem Pausenhof verteilt werden dürfen.“ Der Hintergrund sei, dass sich so kein Kind benachteiligt oder ausgeschlossen fühle.

Die vermeintlich strenge Maßnahme, als Kind keinen besten Freund zu benennen, soll laut Psychologin Greenberg allerdings nicht Freundschaften verhindern, sondern fördern. „Viele Kinder leiden darunter, keinen ,besten Freund’ benennen zu können“, erklärt sie.

Marianne Wittkamp, Mutter der vierjährigen Hedda aus Prenzlauer Berg fühlt sich bei dem Thema an Diskussionen zwischen den Eltern und Erziehern erinnert. „Wir haben uns dann darauf geeinigt, dass alle gleichaltrigen Kinder aus der Gruppe grundsätzlich eingeladen werden müssen, wenn man eine Geburtstagsparty feiert. „Es ist wesentlich mehr Aufwand, aber ich sehe es sogar ein“, sagt die gelernte Schneiderin.

Eine Strategie gegen Mobbing und Ausgrenzung

Nach demselben Prinzip der Assimilation funktionieren in vielen Ländern übrigens Schuluniformen oder mit Namen beschriftete Sitzplätze in der Schulkantine. Letzteres verhindert, dass ein Kind beim Mittagessen alleine sitzen muss. Dass diese Angst, Kinder könnten ausgeschlossen oder gar gemobbt werden, nicht von ungefähr kommt, zeigen neueste Forschungen.

Laut der aktuellen PISA-Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wird in Deutschland fast jeder sechste 15-Jährige regelmäßig Opfer von teils massivem Mobbing an seiner Schule. „Mobbing müssen wir in Deutschland viel stärker thematisieren, weil es hier oft noch an den Rand gedrängt wird“, sagt OECD-Direktor Andreas Schleicher zu den Ergebnissen. Da helfe nur eine Null-Toleranz-Praxis, um deutlich zu machen, dass so etwas nicht akzeptiert werde.

In einer Umfrage unter 504 Teenagern in den Niederlanden fanden Forscher sogar heraus, dass übergewichtige Kinder häufig von Freundschaften ausgeschlossen werden und selbst Klassenkameraden als Freunde bezeichnen, die ihre Sympathie nicht erwidern. Das berichtete der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ).

Auch an deutschen Schulen gibt es den britischen Ansatz

Die von den Lehrern abgegebene Empfehlung an Schüler und Kindergartenkinder, keine besten Freunde zu haben, ist demnach Reaktion auf diese Schieflage. „Wir versuchen mit den Kindern zu reden und ihnen zu erklären, dass man nicht besitzergreifend sein sollte, was Freunde angeht, und sich lieber mit vielen gut verstehen sollte“, erklärt Christine Laycob, Direktorin des Mary Instituts in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri.

Ulrike Leubner, Fachberaterin für Kindertageseinrichtungen, war mehr als 30 Jahre Erzieherin. Sie kann jedoch mit der Idee, Kindern aktiv von engen Freundschaften abzuraten, nichts anfangen. „Freundschaften sind wichtig für die geistige und emotionale Entwicklung eines Kindes“, sagt die Autorin („Mit Kindern Regeln lernen“). Die Intimität und die Geborgenheit, die durch eine Freundschaft entstehe, sei durch nichts zu ersetzen. Sie bedeute, einen Ansprechpartner für schwierige Situationen zu haben.“

„Freundschaft hat auch einen entwicklungspädagogischen Aspekt. Sie bedeutet, an ihr zu arbeiten, sich um den Anderen zu bemühen und positive Verhaltensweisen auszutesten“, erklärt Leubner.

Erste Ansätze dieses Freundeskonzepts gibt es laut Nachfrage an Schulen auch schon in Deutschland, vor allem an bilingualen Schulen, die sich am britischen Kodex orientieren. Auch hier ist vom einem „wichtigen neuen Gruppenansatz“ die Rede.