Mülheim/Zermatt. Neuschnee und schlechte Sicht behindern die Suche nach Karl-Erivan Haub. Das Gebiet ist groß, es gibt Gletscherspalten. Die Zeit läuft.

Sie hatten Hubschrauber mit Wärmebildkameras in der Luft – nichts. Sie hatten Bergretter, die sich in Gletscherspalten abseilten – nichts. Sie hatten zig erfahrene Bergführer unterwegs – weiter nichts. Jetzt, am Mittwochnachmittag, am vierten Tag der Suche nach dem verschwundenen Milliardär Karl-Erivan Haub aus Mülheim, legt sich das Wetter endgültig quer. Neuschnee und schlechte Sicht erschweren die Mission Bergrettung auf der italienischen Seite – und zusehends auch auf der schweizerischen. Und die Zeit, sie läuft.

„Die Suche ist sehr schwierig, das Gebiet ist sehr groß und die Spuren sind verwischt“, sagt am Mittwoch der Sprecher der italienischen Bergrettung, Walter Milan. Auch gebe es viele Gletscherspalten. Das Wetter verhindere zumindest auf der italienischen Seite, dass Hubschrauber weiter aufsteigen könnten. Man hoffe auf ein Schönwetter-Fenster am Freitag. Am Freitag wären es sechs Tage.

Besseres Wetter auf der schweizerischen Seite

„Es kann ein Wunder geschehen, aber das Wetter hilft nicht“, sagt Milan. Ein Problem sei auch, dass Lawinenpiepser nur eine begrenzte Zeit Signale senden; viele Tourengeher wie der verschwundene Haub tragen solche Piepser mit sich, um gefunden zu werden, falls der Schnee sie verschüttet.

Auf der schweizerischen Seite ist das Wetter besser – noch. Waren hier auf dem Höhepunkt der Suche 60 Retter im Einsatz, sind es jetzt noch 23; und zwei Helikopter, die ihre Runden drehen. Doch seit Samstagmorgen ist Haub jetzt verschwunden, und am Mittwoch weiß immer noch niemand, wo er ist. Überhaupt in Italien? Vielleicht doch in der Schweiz? Noch immer über 3500 Meter hoch? „Die Situation ist verzweifelt. Herr Haub ist auf 3800 Metern aus der Klein-Matterhorn-Bahn ausgestiegen. Er ist alleine unterwegs. Da es sich um ein Gletschergebiet handelt, ist es möglich, dass er in eine Gletscherspalte gefallen ist“, sagt Adriano Favre, der Leiter der Bergrettungsdienste im Aosta-Tal, der Schweizer Zeitung ,Blick’. Und: „Die Familie hat den Suchmannschaften sehr viel Geld zur Verfügung gestellt.“ Aber bei diesen Bedingungen seien diese Mittel nutzlos.

Das ist Tengelmann-Chef Karl-Erivan Haub

Karl-Erivan Haub führt eines der größten Handelsunternehmen der Welt. Wir zeigen Bilder des geschäftsführende Gesellschafter der Tengelmann-Gruppe.
Karl-Erivan Haub führt eines der größten Handelsunternehmen der Welt. Wir zeigen Bilder des geschäftsführende Gesellschafter der Tengelmann-Gruppe. © dpa | Roland Weihrauch
Der am 2. März 1960 in Tacoma im US-Bundesstaat Washington geborene Sohn des kürzlich gestorbenen Unternehmers Erivan Haub (r.) hatte Ende der 1990er-Jahre die Führung übernommen und Tengelmann drastisch umgebaut. Dieses Foto wurde im Dezember 1998 aufgenommen.
Der am 2. März 1960 in Tacoma im US-Bundesstaat Washington geborene Sohn des kürzlich gestorbenen Unternehmers Erivan Haub (r.) hatte Ende der 1990er-Jahre die Führung übernommen und Tengelmann drastisch umgebaut. Dieses Foto wurde im Dezember 1998 aufgenommen. © dpa | Oliver Multhaup
Gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Brüdern Christian (r.) und Georg Haub (2.v.r.) posierte der Unternehmer im August 2009 vor einem Tengelmann-Geschäft in Mülheim.
Gemeinsam mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Brüdern Christian (r.) und Georg Haub (2.v.r.) posierte der Unternehmer im August 2009 vor einem Tengelmann-Geschäft in Mülheim. © Reuters | REUTERS / INA FASSBENDER
Karl-Erivan Haub und die Bundeskanzlerin im Tengelmann-Museum in Mülheim an der Ruhr. 1867 wurde die Tengelmann-Gruppe gegründet.
Karl-Erivan Haub und die Bundeskanzlerin im Tengelmann-Museum in Mülheim an der Ruhr. 1867 wurde die Tengelmann-Gruppe gegründet. © REUTERS | POOL New
Haub hatte Tengelmann in den vergangenen Jahren umgebaut, Schritt für Schritt zog er sich aus dem Lebensmittelhandel – der Keimzelle des Unternehmens – zurück. Den Abschluss bildete Ende 2016 der Verkauf der Supermarktkette Kaiser’s-Tengelmann. Stattdessen investierte er in den boomenden Online-Handel.
Haub hatte Tengelmann in den vergangenen Jahren umgebaut, Schritt für Schritt zog er sich aus dem Lebensmittelhandel – der Keimzelle des Unternehmens – zurück. Den Abschluss bildete Ende 2016 der Verkauf der Supermarktkette Kaiser’s-Tengelmann. Stattdessen investierte er in den boomenden Online-Handel. © picture alliance/ASSOCIATED PRESS | AP Content
Karl-Eviran Haub mit seiner Ehefrau Katrin. Das Paar ist seit 1989 verheiratet und zwei Kinder.
Karl-Eviran Haub mit seiner Ehefrau Katrin. Das Paar ist seit 1989 verheiratet und zwei Kinder. © picture alliance / Eventpress | dpa Picture-Alliance / Eventpress Herrmann
Heute gehören zur Unternehmensgruppe 73 Beteiligungen, die einen Umsatz von etwa 30 Milliarden Euro erwirtschaften und mehr als 215.000 Mitarbeiter beschäftigen. Zum Firmenverbund zählen unter anderen der Textildiscounter Kik und die OBI-Baumärkte. Außerdem ist Tengelmann auch an dem Online-Händler Zalando und dem Essen-Lieferdienst Delivery Hero beteiligt.
Heute gehören zur Unternehmensgruppe 73 Beteiligungen, die einen Umsatz von etwa 30 Milliarden Euro erwirtschaften und mehr als 215.000 Mitarbeiter beschäftigen. Zum Firmenverbund zählen unter anderen der Textildiscounter Kik und die OBI-Baumärkte. Außerdem ist Tengelmann auch an dem Online-Händler Zalando und dem Essen-Lieferdienst Delivery Hero beteiligt. © Funke Foto Services | FUNKE Foto Services / Fabian Str
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Vater Erivan Haub verstarb Anfang März

Karl-Erivan Haub ist Chef eines der größten Handelsunternehmen Deutschlands. Er führt die Tengelmann-Gruppe in fünfter Generation. Dazu gehören der Textildiscounter Kik, die Baumarktkette Obi und etliche Beteiligungen an Onlinehändlern, die prominentesten sind Zalando und Delivery Hero.

Im vergangenen Jahr feierte Tengelmann sein 150-jähriges Bestehen. Nach dem zweijährigen Drama um den Verkauf der Supermarktkette Kaiser’s/Tengelmann an Edeka, in dem letztlich Altkanzler Gerhard Schröder schlichtete, kam das Unternehmen wieder zur Ruhe. Zuletzt aber folgte ein Schicksalsschlag auf den anderen. Karl-Erivans Vater Erivan Haub, der das Unternehmen über drei Jahrzehnte lang geführt hatte, verstarb Anfang März. Sein Sohn und Nachfolger auf dem Chefsessel fand bewegende Worte für den technikfernen, aber unglaublich zielstrebigen Vater, der bis zuletzt ohne Handy durchs Leben gekommen sei.

Haub bestieg Alpengipfel mehrfach

Das letzte Signal aus dem Handy des 58-jährigen Sohnes erlosch nun am Samstagmorgen um 8.33 Uhr irgendwo am Matterhorn. Die Mülheimer Zentrale hüllt sich in Schweigen, möchte auch über den Gemütszustand der Mitarbeiter kein Wort verlieren. „Wir können und dürfen nichts sagen“, heißt es. Wer die Firma kennt, weiß, dass der in den USA geborene, älteste der drei Söhne von Erivan nicht nur das Gesicht der Familiendynastie ist, sondern auch ihr Gehirn. Karl-Eri­van hat das Unternehmen gründlich umgebaut und mit der Orientierung zum Onlinehandel für die Zukunft ausgerichtet.

Der äußerst durchtrainierte Ausdauersportler kennt das Matterhorn bestens, bestieg den Alpengipfel mehrfach und nahm dort in den vergangenen Jahren auch am traditionellen Skitourenrennen teil (siehe Text unten). „Mein Bruder ist ein sehr erfahrener Skitourengänger und Bergsteiger“, betonte Christian Haub in einem Schreiben an die Mitarbeiter und begründete damit seine Hoffnung, Karl-Erivan noch lebend zu finden.

Ein Satz in diesem Schreiben, das Mut machen sollte, klingt aber wenig aufmunternd: „Dennoch stellen wir uns auf eine längere Abwesenheit meines Bruders ein. Natürlich hat sich unsere Familie auf eine solche Situation vorbereitet, sodass der Geschäftsbetrieb ganz ruhig und geordnet weiterlaufen wird.“

Keine Videoaufnahmen von Haub aus Ski-Gebiet

Doch zurück nach Zermatt. Auf einer Pressekonferenz der Kantonspolizei Wallis und der verschiedenen Rettungsteams wird ihre ganze Ratlosigkeit deutlich. „Er kann sich nach dem jetzigen Stand überall befinden“, sagt Anjan Truffer von den Rettungsfliegern der ,Air Zermatt’. Irgendwann müsse man entscheiden, ob die Suche noch Sinn ergebe. Und sein italienischer Kollege Adriano Favre sagt: „Wir haben alles abgesucht, wo wir ohne Risiko hinkommen konnten. Es hat aber immer wieder stark geschneit.“

Dann, auf Nachfragen. Nein, es gibt keine Videoaufnahmen von Haub aus dem Gebiet. Sein Handy ist aus, also abgeschaltet oder leer. Er hatte nur leichte Kleidung dabei. Und einen Rucksack. „Wir hatten schon erfolgreiche Rettungen nach mehreren Tagen“, sagt der Leitende Rettungsarzt Axel Mann: „Es kommt darauf, welche Kleidung der Vermisste hat und ob ein direkter Kontakt zum Schnee besteht. Zurzeit besteht noch eine minimale Chance, dass er gefunden wird.“

In Mülheim selbst nehmen viele Menschen Anteil am Verschwinden von Haub. Ruth Bittner (72) spricht für viele, wenn sie sagt: „Ich war sehr bestürzt, als ich davon gehört habe. Ich wäre sehr traurig, wenn er nicht zurückkommt.“

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de.