Stuttgart. Die „Osmanen Germania“ haben sich zur gefürchteten Gang entwickelt. Jetzt steht die Führungsspitze des Klubs in Stuttgart vor Gericht.

Wie brutal und skrupellos die Gruppe anscheinend agiert, zeigt ihr Umgang mit in Ungnade gefallenen Kumpanen. In Herrenberg nahe Stuttgart etwa kidnappten Mitglieder der „Osmanen“ einen Mann, fesselten ihn und – davon ist die Staatsanwaltschaft überzeugt – quälten ihn fast zu Tode: Sie schlugen ihm mit einer Eisenstange mehrere Zähne aus, schossen ihm in den Oberschenkel und traten auf ihn ein, bis er das Bewusstsein verlor.

Dann holten sie ohne Betäubung die Patrone aus seinem Bein. Nach drei Tagen gelang dem Verletzten die Flucht. Sein Vergehen: Er war abtrünnig geworden und hatte sich geweigert, gegen Kurden vorzugehen.

Wegen dieses Verbrechens und weiterer Vorwürfe steht seit gestern die Führungsspitze der türkisch-nationalistischen Straßengang „Osmanen Germania BC“ in Stuttgart vor Gericht. Es war der Auftakt eines spektakulären Langzeitprozesses. Gut 50 Verhandlungstage sind angesetzt, erst 2019 wird es ein Urteil geben.

Schlägereien mit der verfeindeten kurdischen Gang „Bahoz“

Schon die Sicherheitsvorkehrungen sind bemerkenswert: Die Verhandlung wurde in den Gerichtssaal des Gefängnisses Stammheim verlegt, wo in den 1970er-Jahren die RAF-Prozesse stattgefunden hatten.

Die Angst vor Ausschreitungen ist groß. „Es gibt eine Bedrohungslage“, sagt Jan Holzner, Sprecher der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, vage. Rund um das Gefängnis waren gestern Straßenkontrollen aufgebaut, Hubschrauber kreisten über dem Justizgebäude, Hunderte Polizisten waren im Einsatz. Anhänger der „Osmanen“ versuchten, mit Schlagstöcken und Stichwaffen ins Gebäude zu gelangen, auf einem Parkplatz kam es zu Handgreiflichkeiten zwischen einem Prozessbesucher und Anwohnern.

Die „Osmanen“ sollen beste Kontakte zum Umfeld des türkischen Präsidenten haben. Sie stünden in Verbindung mit der Regierungspartei AKP, berichtet das Innenministerium von Nordrhein-Westfalen. Mitglieder nehmen an deutschen Pro-Erdogan-Demonstrationen teil und liefern sich immer wieder schwere Schlägereien mit der verfeindeten kurdischen Gang „Bahoz“. Dahinter stecke ein Machtkampf um die Vorherrschaft „auf der Straße“, so Staatsanwalt Michael Wahl. Die Polizei sorgt sich daher, dass Türken und Kurden am Rand des Prozesses aufeinander losgehen könnten.

Die Gruppe hat sich erst vor drei Jahren gegründet

Angeklagt sind fünf Türken und drei Deutsche, darunter der 46 Jahre alte, selbst ernannte „Weltpräsident“ der rockerähnlichen Gang und sein Vize (38). Von der Entführung ihres Kumpanen in Herrenberg sollen sie gewusst haben. Die Liste der Straftaten, die den Männern vorgehalten wird, ist lang: versuchter Mord, versuchter Totschlag, gefährliche Körperverletzung, Zuhälterei, räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung, diverse Waffen- und Drogendelikte. Man könne bei Verurteilungen von „mehrjährigen Haftstrafen“ für jeden Einzelnen ausgehen, heißt es bei der Staatsanwaltschaft.

Die kommenden Monate werden zutage fördern, wie groß der Einfluss der 2015 gegründeten „Osmanen“ tatsächlich ist. Die Behörden wissen von 33 Ortsgruppen mit rund 400 Mitgliedern. Als Hochburgen gelten die Regionen Frankfurt am Main, Stuttgart und Wuppertal. Obwohl offiziell ein Boxklub, erinnert ihre Struktur an das Rockermilieu: Die örtlichen Ableger nennen sich „Chapter“, an deren Spitze steht ein „President“, die „Osmanen“ haben strenge Hierarchien und tragen Klub-Kutten.

59 Objekte bei einer Razzia durchsucht

Um das Gebaren der Gruppe besser zu verstehen, haben Polizisten vor zwei Wochen bei einer groß angelegten Razzia in Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen Wohnungen und Geschäftsräume von Mitgliedern durchsucht – insgesamt 59 Objekte, darunter die Zellen der beiden ehemaligen Clanchefs in den Justizvollzugsanstalten Offenburg und Stammheim. Der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) kündigte damals an, „dass wir kriminelle Aktivitäten, egal vor welchem gesellschaftlichen Hintergrund, nicht dulden“.

Eines scheint jedoch sicher: Selbst wenn die Angeklagten verurteilt werden, ist das nicht das Ende der „Osmanen“. Sie werden die Führungsposten einfach neu besetzen.