Berlin. Der Klimawandel sorgt für extremere Wetterlagen in vielen Teilen der Welt. In einigen Regionen bringt dies kältere Winter mit sich.

Auf der Zugspitze wurde in der Nacht zu Dienstag mit minus 34,5 Grad ein Kälterekord für den Februar gemessen. Hamburg und der Norden liegen unter einer Schneedecke, Berlin bibbert bei den tiefsten Temperaturen dieses Winters. Und selbst eher wärmere Ballungsgebiete wie das Ruhrgebiet gleichen einer Kältekammer. Ein Forscherteam um Martin Wegmann vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven beweist nun, dass ausgerechnet die Erderwärmung für kältere Winter in bestimmten Regionen verantwortlich ist.

Die Studie zeigt, dass abnehmendes Seeeis in der Arktis zu kälteren Wintern in Sibirien führt. Und von dort gelangt die kalte Luft mitunter auch zu uns – wie aktuell durch das Hochdruckgebiet „Hartmut“ und die umgangssprachliche „Russenpeitsche“. Um aktuelle Entwicklungen zu erklären, haben die Forscher sich Daten der Jahre 1910 bis 1940 angesehen, weil zu dieser Zeit ähnliche Entwicklungen zu beobachten waren.

Für den Laien klingt es wie ein Widerspruch: Die allgemeine Erderwärmung führt zu kälteren Wintern in Sibirien. Wie kann das sein?

Martin Wegmann: Tatsächlich ist es so, dass sich die Erde im globalen Mittel immer weiter erwärmt. Das schließt aber nicht aus, dass es regional und temporär auch kälter werden kann. Im Fall unserer Studie sind wir zu dem Schluss gekommen, dass das schwindende arktische Meereis für die kälter werdenden Winter in Sibirien hauptverantwortlich ist.

Man kann sich das Seeeis wie einen Deckel auf einer heißen Pfanne vorstellen. Es kommt dann weniger Wärme von unten durch. Ist der Deckel nicht drauf, entsteht eine Blockade für die milden Westwinde. Im Falle von Sibirien heißt das, dass mehr polare Luftmassen in das Innere des Kontinents transportiert werden.

Bis wohin sind diese kalten Winter spürbar? Wird es auch bei uns kälter?

Martin Wegmann ist Klimawissenschaftler am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven.
Martin Wegmann ist Klimawissenschaftler am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. © Martin Wegmann | Martin Wegmann

Wegmann: Als Klimawissenschaftler schauen wir uns immer recht lange Zeiträume an. Momentan kann man diesen Langzeittrend für die letzten 30 Jahre besonders stark in Sibirien beobachten. Aber auch in Europa und den USA gibt es immer mehr Extremereignisse, auch was die Temperatur betrifft. Das äußert sich in beide Richtungen, kälter und wärmer. Ein gutes Beispiel war die erste Januarhälfte in den USA. Extreme Kälte östlich der Rocky Mountains, überdurchschnittlich hohe Temperaturen an der Westküste. Viele Indizien sprechen dafür, dass solche Ereignisse in Zukunft zunehmen; auch in Europa.

Ist die aktuelle Wetterlage (Russenpeitsche) auch auf den beschriebenen Effekt zurückzuführen?

Wegmann: Der Fall Sibirien ist eine Art medizinische Frühdiagnose für die mittleren Breiten, in denen wir uns ja auch hier in Deutschland befinden. Dieser Mechanismus könnte auch Westeuropa betreffen. So kann man auch bei uns eine Abnahme der Westwindstärke beobachten.

Diese Westwinde bringen uns im Winter maritime, warme Luftmassen nach Deutschland. Schwächen diese ab, haben kältere Luftmassen es leichter, sich in Deutschland auszubreiten. Ein gutes Beispiel dafür ist die Wetterlage eben in dieser Woche. Die Westwinde über Zentraleuropa sind gerade sehr schwach. Ein Hochdruckgebiet über Skandinavien schaufelt kalte, russische Luft nach Westeuropa während es in der Arktis gerade sehr warm ist. Ob solche Wetterlagen zunehmen bei weniger Seeeis, das möchten wir untersuchen.

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    Tritt das Phänomen immer mal wieder auf (wie 1910 bis 1940) – oder dauerhaft?

    Wegmann: Vermutlich hat es diesen Mechanismus auch schon in der Vergangenheit gegeben. Nur gibt es heutzutage einfach viel mehr Menschen und Infrastruktur, die davon betroffen sind. Menschen sind angepasst an ein Durchschnittsklima, weniger an Extremereignisse. Insofern ist es wichtig diesen Trend hin zu kälteren Wintern im Auge zu behalten.

    Die Zukunft stellt uns vor ein großes Rätsel. Nämlich: Was passiert, wenn im Herbst gar kein Seeeis mehr vorhanden ist? Wissenschaftliche Studien sagen voraus, dass dies nicht mehr lange dauern wird. Schätzungen liegen momentan bei 2060 – plus minus zehn Jahre, je nach Region in der Arktis. Sicherlich wird das unsere Winde und Luftströmungen deutlich beeinflussen. Die Forschung darüber wie genau das aussehen wird, steckt noch in den Kinderschuhen.

    Gibt es eine Chance, dass dieses Phänomen wieder umschlägt und in naher Zukunft nicht mehr auftritt?

    Wegmann: Dass das Seeeis wieder zunehmen wird bis Ende des Jahrhunderts, davon ist nicht auszugehen. Ganz im Gegenteil, alles spricht dafür, dass zumindest im Sommer die Arktis eisfrei sein wird. Bis es soweit ist – so unterstreichen mehrere Klimaforschungsgruppen – sind mehr Extremereignisse in den mittleren Breiten zu erwarten.

    Was passiert, wenn das Eis verschwunden ist, mag kaum jemand zu prognostizieren. Es wäre ein Zustand des Klimasystems, den die moderne Zivilisation so noch nie erlebt hat. Und damit ein unbekanntes Risiko, was es im besten Falle zu vermeiden gilt. Dafür müssten allerdings drastische Maßnahmen zur Verringerung der Treibhausgase in der Atmosphäre ergriffen werden. Danach sieht es momentan aber nicht aus.

    Eisbären leiden unter dem Klimawandel

    Große dunkle Knopfaugen, helles flauschiges Fell: Eisbären gehören neben den Kodiak-Bären zu den größten fleischfressenden Landsäugetieren. Und sie stehen vor einem existenziellen Problem: Ihr Lebensraum schwindet. Am 27. Februar ist Welt-Eisbärentag.
    Große dunkle Knopfaugen, helles flauschiges Fell: Eisbären gehören neben den Kodiak-Bären zu den größten fleischfressenden Landsäugetieren. Und sie stehen vor einem existenziellen Problem: Ihr Lebensraum schwindet. Am 27. Februar ist Welt-Eisbärentag. © imago/Nature Picture Library | imago stock&people
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    Der Eisbär ist das Symbol für die Arktis. Doch der Klimawandel und die Jagd gefährden sein Überleben. Die Organisation „Polar Bears International“, eine der größten Initiativen zur Rettung der „weißen Riesen“, schätzt einen Rückgang der Population um zwei Drittel bis zum Jahr 2050 – sollte sich bei gleichbleibenden Bedingungen nichts ändern. © imago/Nature Picture Library | imago stock&people
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    In der Arktis gibt es laut Angaben der Weltnaturschutzunion IUCN nur noch rund 26.000 Eisbären. Der durch den Klimawandel begründete Verlust des Packeises zählt zur größten Bedrohung für das Überleben der Tiere. Auch in der Antarktis wird es immer wärmer. © iStock | Lanaufoto
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    Das Eis ist erschreckend weit zurückgegangen. Der Lebensraum der Eisbären schmilzt. © imago stock&people | United Archives
    Für die Jagdstrategie von Eisbären ist Eis wesentlich. Wenn flinke Ringelrobben aus Löchern auftauchen, um Luft zu schnappen, schlagen sie normalerweise zu. Doch ohne Eis gibt es keine Luftlöcher.
    Für die Jagdstrategie von Eisbären ist Eis wesentlich. Wenn flinke Ringelrobben aus Löchern auftauchen, um Luft zu schnappen, schlagen sie normalerweise zu. Doch ohne Eis gibt es keine Luftlöcher. © imago stock&people | imagebroker
    Für die Eisbären wird es immer schwieriger, Nahrung zu finden.
    Für die Eisbären wird es immer schwieriger, Nahrung zu finden. © www.arctic-dreams.com | Kerstin Langenberger
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    Seit der Industrialisierung produziert der Mensch mehr Kohlendioxid und andere Treibhausgase, als die Natur wieder aufnehmen kann. Dieser menschengemachte Treibhauseffekt hat die Luft bereits erwärmt und führt so dazu, dass sich das Klima auf der Erde ändert. © imago/Nature Picture Library | imago stock&people
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    Eisbären verbringen die ersten beiden Lebensjahre bei der Mutter. © imago stock&people | imagebroker
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    Ihr dichtes, öliges Fell ... © imago/All Canada Photos | imago stock&people
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    ... schützt den Eisbären vor Kälte und Nässe. © imago | Nature Picture Library
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    Das potenzielle Höchstalter von Eisbären wird in freier Wildbahn auf etwa 25 bis 30 Jahre geschätzt. © imago | Nature Picture Library
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    Doch die globale Erwärmung ... © imago | Nature Picture Library
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    Dieses kleine Eisbär-Baby braucht sich keine Sorgen über seinen Lebensraum zu machen. Das Jungtier wurde im November in der Zoom Erlebniswelt in Gelsenkirchen geboren. Seit Ende Februar steht fest: Es ist ein Mädchen. © dpa | ---
    Plüschiges Bündel mit schwarzen Knopfaugen – und ganz schön berühmt: Knut war das erste Eisbärenjunge im Zoologischen Garten Berlin seit 30 Jahren. Er wurde am 5. Dezember 2006 geboren.
    Plüschiges Bündel mit schwarzen Knopfaugen – und ganz schön berühmt: Knut war das erste Eisbärenjunge im Zoologischen Garten Berlin seit 30 Jahren. Er wurde am 5. Dezember 2006 geboren. © imago | Metodi Popow
    Knut wurde von Tierpfleger Thomas Dörflein von Hand aufgezogen. Die beiden erfuhren ein enormes nationales und internationales Medienecho.
    Knut wurde von Tierpfleger Thomas Dörflein von Hand aufgezogen. Die beiden erfuhren ein enormes nationales und internationales Medienecho. © imago | Olaf Wagner
    Im März 2011 starb Knut mit nur vier Jahren vor den Augen der Zoobesucher.
    Im März 2011 starb Knut mit nur vier Jahren vor den Augen der Zoobesucher. © imago stock&people | IPON
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    Warum sind die Daten von 1910 bis 1940 so wertvoll? Hat sich das Klima seitdem nicht noch weiter verändert?

    Wegmann: Die recht unbekannte arktische Erwärmung zwischen 1910 und 1940 gibt uns die Möglichkeit, die Gegenwart in Relation zu setzen. Wann ist etwas ein klimatisches Extremereignis? Wie oft müssen wir mit Klimaänderungen rechnen und wann können diese eintreffen? Für solche und ähnliche Fragen ist es absolut notwendig, die Klimaevolution der Vergangenheit zu erforschen.