Berlin. Auf der Berlinale polarisiert der Film über das Massaker von Utøya. Der Regisseur sagt, er will Betroffenen helfen. Doch tut er das?

Am 22. Juli 2011 richtet Anders Behring Breivik auf der Insel Utøya ein Massaker an. Der Rechtsextreme kommt als Polizist verkleidet auf die Insel, gibt zunächst an, die Kinder, die an einem Ferienlager teilnehmen, schützen zu wollen. Dann schießt er auf sie. 69 Menschen werden getötet, 33 weitere verletzt.

72 Minuten dauert das Massaker. Genau wie im Film „Utøya 22. Juli“ vom norwegischen Regisseur Erik Poppe, der derzeit auf der „Berlinale“ läuft. 72 Minuten, in denen der Kinobesucher mit jedem Schuss tiefer in den Sitz gepresst wird. So unerträglich wirken die Bilder, wirkt die Angst, die Poppe in seinem One-Shot-Film auf die Leinwand bringt.

„Utøya 22. Juli“ sorgt auf Berlinale für Diskussionen

Der Film hat auf der Berlinale zu Diskussionen geführt. Ist ein Spielfilm überhaupt das richtige Format, die Tat künstlerisch zu verarbeiten? Ist es hilfreich, die Panik der Kinder, ihren Todeskampf darzustellen? Zu zeigen, wie sie vom Massenmörder erschossen werden?

Erik Poppe sagt: ja, besonders in Zeiten, in denen sich Rechte wieder auf dem Vormarsch seien, müsse man zeigen, wozu das führen kann. Überlebende und Hinterbliebene sind zum Teil allerdings ganz anderer Meinung.

Kaja spielt in „Utøya 22. Juli“ die tragische Hauptrolle.
Kaja spielt in „Utøya 22. Juli“ die tragische Hauptrolle. © Berlinale Filmstills | Berlinale Filmstills

Schauspielerin Andrea Berntzen spielt als Kaja die tragische Hauptrolle. Sie ist auch im Ferienlager, gemeinsam mit ihrer Schwester, die wie alle Personen im Film erfunden ist. Als das Massaker beginnt, sind die Geschwister getrennt.

Kaja sucht nach ihrer Schwester, lässt ihre Freunde zurück und begibt sich immer wieder in Gefahr, in dem sie sich aus vermeintlich sicheren Verstecken wagt. Für den Zuschauer ist das kaum auszuhalten, weil unaufhörlich laute Schmerzenschreie und Schüsse zu hören sind.

Breivik ist kaum im Film zu sehen

Doch woher kommen sie? Wie viele Angreifer sind es? Und warum schießt die Polizei? Ist es vielleicht nur eine Übung? Warum greift niemand ein? All das sind Fragen, die den Kindern in dem Moment durch den Kopf gehen.

Und obwohl man weiß, dass Breivik ein Einzeltäter war, der aus politischen Gründen handelte, stellt man sich die Fragen als Zuschauer beinahe selbst. Durch die außergewöhnliche Perspektive – der Film wurde mit einer Handkamera aufgenommen – wirkt es fast so, als würde man die grauenvolle Tat live aus Sicht der Opfer miterleben.

Breivik ist kaum im Film zu sehen. Nur in wenigen Szenen sieht man seine Silhouette aus der Perspektive der auf dem Boden liegenden Kinder. Man sieht nicht, wie er in scheinbar vollkommener Ruhe über die Insel läuft und einen Schuss nach dem anderen loslässt.

Opfer in den Mittelpunkt stellen

Regisseur Erik Poppe.
Regisseur Erik Poppe. © dpa | Ralf Hirschberger

Und genau das ist das, was Regisseur Poppe wollte. Er wollte nicht Breivik, über den bereits so viel berichtet wurde, in den Mittelpunkt stellen – sondern die Opfer. Er habe den Angehörigen und Überlebenden, mit dessen detaillierten Erzählungen er das Drehbuch geschrieben habe, helfen wollen, wie er nach der Aufführung sagt.

Er habe viele Gespräche geführt, den Film mit „großem Respekt“ vor Opfern und Hinterbliebenen gedreht. Einigen der Betroffenen sei der Film allerdings zu früh gekommen, sagt die Vorsitzende der norwegischen Opfer-Selbsthilfegruppe, Lisbeth Kristine Røyneland. Sie selbst hält das Werk für „ehrlich und auf eine Art gewalttätig und brutal. Aber in jedem Fall nicht brutaler als das, was ich in meinem eigenen Kopf habe“. Ihr Fazit dürfte Erik Poppe gerne hören: „Der Film ist deshalb sehr wichtig, weil er daran erinnert, was passieren kann, wenn jemand radikalisiert wird“.

Fest steht: Erik Poppe hat mit seinem Film die Sicht der Opfer festgehalten und den Fokus ein Stück weit weg vom Massenmörder Breivik gelenkt. Dafür hat er bereits viel Lob bekommen. Ob man die Erinnerung aber auf so eine brachiale Weise aus dem tiefsten Innern des Bewusstseins ziehen muss, ist eine andere Frage.