Mexiko-Stadt . Márcio Mizael Matolas lebt in einem Schloss aus Sand. Paläste der Inka haben ihn zu seiner außergewöhnlichen Unterkunft inspiriert.

Wenn das kein sozialer Aufstieg ist: Márcio Mizael Matolas wurde in Armut geboren, aber ist heute König und Besitzer eines märchenhaften Schlosses. Er lebt in einer der teuersten Gegenden Lateinamerikas, hat unverbaubaren Meeresblick und schläft jeden Abend mit dem Auf und Ab der Atlantikwellen ein. Márcio Mizael Matolas hat seine Existenz auf Sand gebaut. Und es ist das Verlässlichste und Stabilste, was er in seinen 44 Lebensjahren hatte.

Sie nennen es „Castelinho“ (Schlösschen). Wobei das eigentlich untertrieben ist, wenn man die Sandburg am Pepê-Strand von Barra da Tijuca sieht, dort, wo vor zwei Jahren die Olympischen Spiele stattfanden. Es ist eine ganze Schlosslandschaft, dominiert von Dutzenden kleinen Türmchen, Erkern und Zinnen. Ein Holzzaun und Sandsäcke verwandeln das Bauwerk in eine Trutzburg.

Matolas braucht viele Bücher um sich herum

Matolas braucht nicht viel für sich – ein Schlafsack reicht ihm. Hauptsache, er hat Platz für seine unendlich vielen Bücher. Matolas ist ein passionierter Leser. Dostojewski mag er, die Bücher des brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer schätzt er, aber besonders liebt er die Werke von Jorge Amado, einem der bekanntesten Stimmen Brasiliens.

Matolas’ Lieblingsbuch ist „Herren des Strandes“. Amado schrieb eine Geschichte der Straßenkinder von Salvador de Bahía im Jahr 1937. „Es beschreibt sehr gut, wie es ist, auf der Straße zu leben, den Egoismus und die Einsamkeit.“ All das kennt der Strandmann von Rio auch aus eigenem Erleben.

Seit Jahrzehnten lebt er auf der Straße

Matolas setzt sich gern als König in Szene. Mit tief gebräunter Haut, Dreitagebart und schwarzen kurzen Rastalocken posiert er fotogen für die Fotos der Touristen. Zum Zepter trägt er, wie es sich in Rio gehört, gern Bermudas. Seine Krone besteht aus stilisierten goldenen Kreuzen mit roten und blauen Edelsteinen. Seinen Thron hat der König aus Holz zusammengezimmert, das ihm das Meer angeschwemmt hat. „Die Menschen machen sich viel aus Besitz, ich versuche, mein Herz an nichts zu hängen“, sagt der Sandkönig von Rio fast philosophisch.

Rund drei Viertel seines Lebens verbringt Matolas schon am Strand, zwischen Sand und Büchern. Er kam schon als Halbwaise zur Welt. Sein Vater starb eine Woche vor seiner Geburt. Mit acht Jahren zog es ihn auf die Straße. Um zu überleben, verkaufte er Comics, Zeitschriften und Secondhand-Bücher im bekannten Stadtteil Flamengo von Rio. Er konnte zwar nicht lesen, aber im Verkaufen war er gut. Wenn er Zeit hatte, ging er immer wieder zum Strand, baute Schmetterlinge, Krokodile und Meerjungfrauen, die irgendwann die Wellen holten.

Das einsame Leben ist Fluch und Freude zugleich

In Flamengo konstruierte er seine erste Sandburg. „Dann lernte ich, Paläste der Inka und Maya nachzubauen. Ich habe einfach kopiert, was ich in den Zeitschriften gesehen habe.“ Mit zehn Jahren verdiente der kleine Márcio genug, um seine Mutter zu unterstützen. Da er immer Bücher bei sich trug, brachten ihm Nachbarn das Lesen bei. Wie viele Bücher er inzwischen gelesen hat, weiß er nicht mehr. Aber es seien sehr, sehr viele, sagt er.

Das einsame Leben ist dem König Fluch und Freude zugleich. Einmal bot eine Familie ihm an, ihn zu adoptieren. Er lehnte ab. Dann hat er vor einigen Jahren geheiratet, als er längst in seiner Sandburg lebte. Da hatte er endlich eine Familie und ein festes Dach über dem Kopf. Aber weder die Ehe noch die Beziehungen danach hielten.

„Es ist schon so lange her, dass ich weiß, was Liebe ist“

Alle wollten ihm immer sein Leben ausreden, ihn verändern, sagt er. „Hör mal, ich will nicht in einem Schloss leben“, bekam er von seiner Frau zu hören. Selbst schuld, dachte er. Und so blieb er mit sich und seiner Sandburg allein. „Es ist schon so lange her, dass ich weiß, was Liebe ist“, sagt er.

Wenn er nicht in seinen Büchern liest, dann muss er sich als Baumeister betätigen. Denn so ein Sandschloss braucht viel Pflege. „Die Sonne trocknet alles aus.“ Wenn es lange nicht regnet, kippt Matolas eimerweise Wasser auf seine Unterkunft, damit sie nicht zusammensackt. „Ich liebe das Vergängliche“, sagt er. Aber auch das braucht ein bisschen Stabilität.