Essen. Hinterbliebene des Germanwings-Absturzes erheben in einem neuen Brief schwere Vorwürfe gegen die Lufthansa. Die Airline schweigt aber.

Drei Seiten lang ist das Schreiben, das Anfang der Woche abgeschickt worden ist und auch unserer Redaktion vorliegt. Drei Seiten, die zu einer Abrechnung mit Deutschlands größter Luftgesellschaft werden. Zeilen voller Verbitterung und Wut, gerichtet an Lufthansa-Chef Carsten Spohr persönlich. Verfasst im Auftrag von rund 200 deutschen und niederländischen Hinterbliebenen der Katastrophe von Germanwings-Flug 4U9525.

Anlässlich des Ende März bevorstehenden dritten Jahrestag des Absturzes, wolle man Spohr an seine „Zusagen“ erinnern, die er unmittelbar nach der Katastrophe gemacht habe, beginnt der Brief. „Wir unternehmen alles in unserer Macht Stehende, um (…) Ihnen die Unterstützung zukommen zu lassen, die Ihnen eine Hilfe ist“, hatte der Vorstandsvorsitzende damals versprochen und versichert: „Dabei wollen wir unbürokratisch und schnell sein.“ „Leider“, heißt es in dem Brief, „müssen wir feststellen, dass Sie diese zentrale Zusage bis heute nicht eingelöst haben.“

Hinterbliebene: „Das müssen wir als Erpressung empfinden“

Auf völliges Unverständnis stößt der Umgang der Fluggesellschaft mit den Hinterbliebenen der 149 Opfer. „Entlarvend“ nennen die Verfasser das Angebot des Unternehmens, Angehörige gegen Zahlung eines „geringen Geldbetrages“ dazu zu bewegen, nicht weiter gegen die Lufthansa zu klagen. „Mit Verbitterung müssen wir zudem zur Kenntnis nehmen, dass Ihr Unternehmen neuerdings sogar psychotherapeutische Hilfe an die Unterschrift unter eine solche Verzichtserklärung knüpft“, heißt es weiter. Das „müssen wir als Erpressung empfinden“.

Der Germanwings-Absturz – eine Chronik

Katastrophe in den französischen Alpen: Eine Germanwings-Maschine auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf stürzte am 24. März 2015 in der Nähe von Seyne-les-Alpes ab und zerschellte im Gebirge. Alle 150 Menschen an Bord des Airbus A320 kamen ums Leben.
Katastrophe in den französischen Alpen: Eine Germanwings-Maschine auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf stürzte am 24. März 2015 in der Nähe von Seyne-les-Alpes ab und zerschellte im Gebirge. Alle 150 Menschen an Bord des Airbus A320 kamen ums Leben. © REUTERS | REUTERS / EMMANUEL FOUDROT
Am Tag nach der Katastrophe gedachten Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident François Hollande und Spaniens Premierminister Marian Rajoy in Seyne-les-Alpes der Opfer. 72 der Opfer kamen aus Deutschland, darunter...
Am Tag nach der Katastrophe gedachten Bundeskanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident François Hollande und Spaniens Premierminister Marian Rajoy in Seyne-les-Alpes der Opfer. 72 der Opfer kamen aus Deutschland, darunter... © REUTERS | POOL
...16 Schülerinnen und Schüler und zwei Lehrerinnen einer Schule im nordrhein-westfälischen Haltern am See, die auf der Rückreise von einem Schüleraustausch waren. Die ganze Stadt stand unter Schock, ...
...16 Schülerinnen und Schüler und zwei Lehrerinnen einer Schule im nordrhein-westfälischen Haltern am See, die auf der Rückreise von einem Schüleraustausch waren. Die ganze Stadt stand unter Schock, ... © dpa | Marcel Kusch
... die Schülerinnen und Schüler des Joseph-König-Gymnasiums trauerten um die Toten.
... die Schülerinnen und Schüler des Joseph-König-Gymnasiums trauerten um die Toten. © dpa | Marcel Kusch
Auch 51 Spanier starben, weitere Opfer kamen aus Argentinien, den USA, Kasachstan, Australien, Großbritannien, dem Iran, Kolumbien, Venezuela, Japan, Dänemark, Belgien, Marokko, Mexiko, den Niederlanden und von der Elfenbeinküste.
Auch 51 Spanier starben, weitere Opfer kamen aus Argentinien, den USA, Kasachstan, Australien, Großbritannien, dem Iran, Kolumbien, Venezuela, Japan, Dänemark, Belgien, Marokko, Mexiko, den Niederlanden und von der Elfenbeinküste. © dpa | Diego Crespo / Spanish Govt. / H
Hunderte Helfer bargen über Wochen die sterblichen Überreste der Absturzopfer, untersuchten und sicherten die Wrackteile.
Hunderte Helfer bargen über Wochen die sterblichen Überreste der Absturzopfer, untersuchten und sicherten die Wrackteile. © REUTERS | REUTERS / GONZALO FUENTES
Zwei Tage nach dem Absturz nährte die Auswertung des Stimmenrekorders den Verdacht, dass Andreas Lubitz, Copilot auf dem Flug, den Airbus mit Absicht zum Absturz brachte. Nach und nach wurde klar, dass Lubitz das Cockpit abgeschlossen hatte, als der Pilot es kurz verlassen hatte, und ihn anschließend nicht mehr herein ließ.
Zwei Tage nach dem Absturz nährte die Auswertung des Stimmenrekorders den Verdacht, dass Andreas Lubitz, Copilot auf dem Flug, den Airbus mit Absicht zum Absturz brachte. Nach und nach wurde klar, dass Lubitz das Cockpit abgeschlossen hatte, als der Pilot es kurz verlassen hatte, und ihn anschließend nicht mehr herein ließ. © dpa | Guillaume Horcajuelo
Am 27. März berichteten Ermittler von zerrissenen Krankschreibungen des Copiloten. Auch für den Tag des Absturzes hatten sie eine Krankschreibung gefunden.
Am 27. März berichteten Ermittler von zerrissenen Krankschreibungen des Copiloten. Auch für den Tag des Absturzes hatten sie eine Krankschreibung gefunden. © Reuters | REUTERS / GONZALO FUENTES
Am 30. März, sechs Tage nach dem Absturz, wurde offiziell mitgeteilt, dass Andreas Lubitz (hier ein Bild bei einem Halbmarathon im Jahr 2009) vor Jahren als suizidgefährdet eingestuft worden und in Psychotherapie gewesen war.
Am 30. März, sechs Tage nach dem Absturz, wurde offiziell mitgeteilt, dass Andreas Lubitz (hier ein Bild bei einem Halbmarathon im Jahr 2009) vor Jahren als suizidgefährdet eingestuft worden und in Psychotherapie gewesen war. © REUTERS | REUTERS / STRINGER
Laut Lufthansa, zu der die Fluglinie Germanwings gehört, wusste die Verkehrsfliegerschule während der Ausbildung des Copiloten von seiner früheren Depression.
Laut Lufthansa, zu der die Fluglinie Germanwings gehört, wusste die Verkehrsfliegerschule während der Ausbildung des Copiloten von seiner früheren Depression. © REUTERS | REUTERS / EMMANUEL FOUDROT
Lufthansa-Chef Carsten Spohr (r.) and Germanwings-Manager Thomas Winkelmann legten am 1. April an einer Gedenkstätte für die Absturzopfer im Dorf Le Vernet Blumen nieder.
Lufthansa-Chef Carsten Spohr (r.) and Germanwings-Manager Thomas Winkelmann legten am 1. April an einer Gedenkstätte für die Absturzopfer im Dorf Le Vernet Blumen nieder. © REUTERS | REUTERS / JEAN-PAUL PELISSIER
Einsatzkräfte fanden am 2. April auch den Flugdatenschreiber des zerschellten Flugzeugs. Einen Tag später ergab die Analyse der Daten, dass Andreas Lubitz den Airbus bewusst in den Sinkflug gebracht hatte.
Einsatzkräfte fanden am 2. April auch den Flugdatenschreiber des zerschellten Flugzeugs. Einen Tag später ergab die Analyse der Daten, dass Andreas Lubitz den Airbus bewusst in den Sinkflug gebracht hatte. © dpa | Duclet Stephane
Laut Staatsanwaltschaft Düsseldorf hatte sich Lubitz im Internet über Wege der Selbsttötung und den Schutz von Cockpit-Türen informiert.
Laut Staatsanwaltschaft Düsseldorf hatte sich Lubitz im Internet über Wege der Selbsttötung und den Schutz von Cockpit-Türen informiert. © REUTERS | REUTERS / RALPH ORLOWSKI
Deutschland vereint im Schmerz: Bei einer Trauerfeier im Kölner Dom gedachten am 17. April Angehörige, Bürger und die Staatsspitze der Opfer des Germanwings-Absturzes. Die Erschütterung war auch dreieinhalb Wochen nach der Katastrophe ...
Deutschland vereint im Schmerz: Bei einer Trauerfeier im Kölner Dom gedachten am 17. April Angehörige, Bürger und die Staatsspitze der Opfer des Germanwings-Absturzes. Die Erschütterung war auch dreieinhalb Wochen nach der Katastrophe ... © dpa | Oliver Berg
...noch greifbar. „Es ist etwas zerstört worden, das in dieser Welt nicht mehr geheilt werden kann“, sagte Bundespräsident Joachim Gauck. Bei der zentralen Trauerfeier mit insgesamt 1400 Gästen versuchten Vertreter von Kirchen und Politik, den etwa 500 Angehörigen Trost zu spenden.
...noch greifbar. „Es ist etwas zerstört worden, das in dieser Welt nicht mehr geheilt werden kann“, sagte Bundespräsident Joachim Gauck. Bei der zentralen Trauerfeier mit insgesamt 1400 Gästen versuchten Vertreter von Kirchen und Politik, den etwa 500 Angehörigen Trost zu spenden. © dpa | Oliver Berg
Knapp vier Wochen nach dem Absturz hatten die Helfer alle Wrackteile geborgen. Die Lufthansa hatte eine Spezialfirma mit den Aufräumarbeiten beauftragt. Die Überreste des Flugzeugs wurden per Hubschrauber abtransportiert und zunächst in einer Halle in Seyne-les-Alpes gelagert. Am 26. Mai 2015 kamen ...
Knapp vier Wochen nach dem Absturz hatten die Helfer alle Wrackteile geborgen. Die Lufthansa hatte eine Spezialfirma mit den Aufräumarbeiten beauftragt. Die Überreste des Flugzeugs wurden per Hubschrauber abtransportiert und zunächst in einer Halle in Seyne-les-Alpes gelagert. Am 26. Mai 2015 kamen ... © REUTERS | REUTERS / ROBERT PRATTA
... Angehörige zu einer Gedenkfeier nach Le Vernet in der Nähe der Absturzstelle. Flaggen repräsentierten einige der Nationalitäten der Opfer.
... Angehörige zu einer Gedenkfeier nach Le Vernet in der Nähe der Absturzstelle. Flaggen repräsentierten einige der Nationalitäten der Opfer. © REUTERS | REUTERS / ROBERT PRATTA
Elf Wochen nach dem Absturz von Flug U49525 wurden die 18 Opfer aus Haltern am See mit einer Kolonne weißer ...
Elf Wochen nach dem Absturz von Flug U49525 wurden die 18 Opfer aus Haltern am See mit einer Kolonne weißer ... © dpa | Rolf Vennenbernd
... Leichenwagen in ihre Heimatstadt gebracht.
... Leichenwagen in ihre Heimatstadt gebracht. © dpa | Marcel Kusch
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Mit einer „Strategie des Mürbemachens und der Drohungen“ habe die Fluggesellschaft „viele Hinterbliebene dazu gebracht, aufzugeben“. Sie hätten nur unterschrieben, um „neben der schweren Trauerarbeit nicht länger Kraft in solche zusätzlich traumatisierenden Auseinandersetzungen stecken zu müssen“.

Familien wollen wissen, warum Andreas Lubitz fliegen durfte

„Wir fordern Sie auf, uns zu helfen!“, schließt der Brief. „Unsere Katastrophe sollte gleichermaßen auch Ihre Katastrophe sein! Stimmen Sie unseren berechtigten Wünschen nach Anerkennung der moralischen Schuld, das Ihr Unternehmen auf sich geladen hat, zu! Orientieren Sie die Entschädigungsleistungen zumindest an dem neuen Hinterbliebenengeldgesetz!“

Erbost sind die Hinterbliebenen auch über die Aufarbeitung des Einsatzes von Co-Pilot Andreas Lubitz, der die Maschine bewusst zum Absturz gebracht haben soll. „Wir verlangen Aufklärung darüber, wie es dazu kommen konnte, dass Ihr Unternehmen einem eindeutig psychisch Kranken Verantwortung für Hunderte von Menschenleben übertragen hat“, schreiben die Hinterbliebenen und vermuten „schwerste organisatorische Versäumnisse“.

Ein Lufthansa-Sprecher hat gestern den Eingang des Briefes bestätigt. Zum Inhalt wolle das Unternehmen sich öffentlich nicht äußern. Man werde aber, sagte der Sprecher, weiterhin „den persönlichen Dialog mit den Betroffenen suchen“.

Dieser Artikel erschien zuerst auf www.waz.de.