Berlin/Neapel. Der neue Roman des Mafia-Experten Roberto Saviano spielt im Neapel der Jugendbanden. Seine Fiktion ist längst Wirklichkeit geworden.

Die Paranza ist ein Boot, mit dem Fischer nachts aufs Meer fahren. Mit grellen Scheinwerfern locken sie vor allem kleinere Fische an die Oberfläche und in ihre Schleppnetze. Paranza nennt sich auch eine Straßengang von Jugendlichen in Neapel, die dort auf eine andere Art von Fischzug aus sind: Diebstahl, Drogenhandel, Schutzgelderpressung. Schon Elfjährige ziehen mit der Waffe in der Hand los. Und der Weg vom Drogenkurier zum Killer ist kurz.

„Der Clan der Kinder“( Hanser Verlag, 24 Euro) heißt der neue Roman des italienischen Schriftstellers und Mafia-Experten Roberto Saviano („Gomorrha“). In dem Buch, das in diesen Tagen auf deutsch erscheint, beschreibt Saviano den Aufstieg einer Gang von Jugendlichen in Neapel.

Täter sind erst elf oder zwölf Jahre

Seine Geschichte bekommt eine besondere Brisanz durch ihren Bezug zur aktuellen Realität: In den Straßen der süditalienischen Camorra-Hochburg, aber auch in anderen Städten wie Rom und Mailand, sorgen Banden, deren Mitglieder oft nicht älter sind als elf, zwölf Jahre, seit einigen Wochen für Angst und Schrecken. 17 Raubüberfälle mit insgesamt 32 Opfern nur in Neapel zählte die Zeitung „La Repubblica“ von Oktober bis November 2017. Die in Neapel erscheinende Tageszeitung „Il Mattino“ spricht bereits vom „Baby-Gang-Notstand“.

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    Der jüngste Fall ereignete sich am Wochenende: In San Giorgio a Cremano, einem Vorort Neapels, fasste die Polizei drei Minderjährige, die seit einigen Tagen auf offener Straße Passanten bedrohten und ausrauben wollten. Bei den Jungen fanden die Beamten eine Platzpatronen-Pistole und zwei Klappmesser. Die Fahnder hatten die Gang 24 Stunden lang observiert. Als das Trio gerade wieder zuschlagen wollte, schnappte die Falle zu.

    „Es sind Kinder, die schon alles kennen“

    Roman-Autor und Mafia-Experte Roberto Saviano.
    Roman-Autor und Mafia-Experte Roberto Saviano. © imago stock&people | imago stock&people

    Was steckt hinter den „Baby Gangs“ von Neapel? Roman-Autor Saviano beschreibt die Protagonisten seiner Geschichte so: „Sie hatten den Gesichtsausdruck von Kindern, die schon alles kennen, die über Sex und Waffen reden. Seit ihrer Geburt war keinem Erwachsenen je eingefallen, dass es Wahrheiten, Ereignisse oder Verhaltensweisen gibt, die für ihre Ohren ungeeignet waren.“ Und weiter: „In Neapel gibt es keinen geschützten Weg zum Heranwachsen. Man wird schon in der Wirklichkeit geboren, mittendrin.“ Auf die Welt gekommen, um Verbrecher zu werden?

    „Aufgewachsen ohne Regeln und Grenzen“

    Maura Manca, Leiterin der staatlichen italienischen Beobachtungsstelle für Heranwachsende, beschreibt das Phänomen der Gangs so: „Es sind Banden von Jugendlichen, die ohne Regeln und Grenzen aufgewachsen sind.“ Sie spricht von einem „geistigen Verfall“, der schon in früher Kindheit beginne. Dies beobachte sie bereits seit Jahren. Neu sei lediglich, dass Jugendliche inzwischen schon als Elfjährige ihre kriminelle Karriere starten.

    Im real existierenden Neapel tut man schwer mit den „Baby-Gangs“. Politiker überschlagen sich derzeit förmlich mit Forderungen nach härteren Strafen. Der Präsident der Region Kampanien, Vincenzo De Luca, mahnte in der Zeitung „Corriere del Mezzogiorno“ kürzlich „harte Entscheidungen“ an – beispielsweise die Herabsetzung der Strafmündigkeit von derzeit 16 Jahren. Neapels Bürgermeister Luigi de Magistris hielt dagegen: „Einen Elfjährigen ins Gefängnis zu stecken ist eine Bankrotterklärung.“

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    „Du bist Gearschter oder Verarscher“

    Roman-Autor Roberto Saviano (39) wurde selbst in Neapel geboren. Seine Enthüllungsbücher über die neapolitanische Camorra brachten ihm Morddrohungen ein, er steht unter Polizeischutz und lebt seit Jahren gleichsam im Untergrund. Saviano beschreibt in „Der Clan der Kinder“ eine Generation, für die Verbrechen der einzige Weg zum Aufstieg darstellt.

    Sie nennen sich Teletabbi, Lollipop oder Drone, sie tragen Markenschuhe und haben sich einen Engel auf den Rücken tätowieren lassen. Wenn sie auf ihren aufgemotzten Motorini durch die Stadt rasen, fühlen sie sich unangreifbar. Ihr Anführer Maraja drückt es so aus: „Man wird als Gearschter oder als Verarscher geboren. Letztere können reinlegen, Erstere lassen sich reinlegen.“