Essen. Geschätzt 1200 Tötungsdelikte bleiben jährlich ungeklärt. Alexander Stevens, Buchautor, Jurist und Anwalt über den perfekten Mord.

Urlaub auf dem Kreuzfahrtschiff – das klingt nach Sonne, blauem Himmel und Cocktails auf dem Sonnendeck. Für Millionen Menschen ist der All-Inclusive-Urlaub auf dem Meer Luxus pur. Doch der Münchener Strafrechtler Alexander Stevens schwärmt keineswegs von der tollen Aussicht oder dem mediterranen Lebensgefühl. Im Gegenteil, er zieht ein böses Fazit, das Fans des schicken Schipperns irritieren könnte: Das Kreuzfahrtbusiness ist „ein Eldorado für Mordgetriebene“.

Dass in der Welt von Eleganz und jedem erdenklichen Service überhaupt der Wunsch aufkommen könnte, jemanden um die Ecke zu bringen, mag erstaunen. Aber auf einem Kreuzfahrtschiff sei es schon „sehr beengt“, Paare können sich nicht aus dem Weg gehen, der Stresspegel ist dementsprechend hoch, sagt Stevens. Was aber den Dampfer als Tatort so attraktiv mache, seien die Umstände: „Es gibt nur selten eine Leiche und noch seltener jemanden, der sich ernsthaft darum bemüht, diese zu finden.“ Die Menschen, die über Bord gehen, hinterlassen kaum Spuren. 99 Prozent der Opfer werden nie gefunden, so der Anwalt.

Nicht alle Mordfälle werden aufgeklärt

Wer Sebastian Fitzeks „Passagier 23“ gelesen hat, dieser Krimi, in dem der Mord auf einem Kreuzfahrtschiff zu einem Psychothriller verdichtet wurde, mag nicht so überrascht sein. Für die anderen aber wird die Erkenntnis neu sein – und bitter. Welcher von den etwa 25 Millionen Hobby-Kreuzfahrern, die pro Jahr in See stechen, will sich schon in die Suppe spucken lassen?

Stevens (36), der Anwalt, den die Zuschauer auch aus TV-Formaten wie „Die spektakulärsten Kriminalfälle der Geschichte“ oder „Richter Alexander Hold“ kennen, schlägt mit seinen Thesen Wellen. Dass Morde nicht aufgeklärt werden, komme natürlich nicht nur auf Kreuzfahrtschiffen vor. Geschätzt 1200 Tötungsdelikte bleiben jährlich ungeklärt – im Wald, im Seniorenheim, in der Etagenwohnung. Zwar würden über 90 Prozent aller Taten aufgeklärt werden, aber eben nicht alle. Und da komme wieder die Kreuzfahrt ins Spiel.

Auf Schiffsmorde kam Stevens durch Zufall

Autor Alexander Stevens hält den perfekten Mord unter gewissen Umständen für möglich.
Autor Alexander Stevens hält den perfekten Mord unter gewissen Umständen für möglich. © Julian Hartwig | Julian Hartwig

Wer es nicht glauben mag, dass in der Welt der ewigen Buffets das Verbrechen wohnt, dem erzählt Stevens eine Geschichte nach der anderen, die er auch in seinem Buch „9 ½ perfekte Morde – Wenn Schuldige davonkommen“ (Piper) gesammelt hat. Zum Beispiel die von Merrian C. aus Phoenix, deren Kabinenbett fünf Tage lang unberührt geblieben war. „Der Steward hatte daraufhin seinen Vorgesetzten informiert, der ihn anwies, sich nicht um Dinge zu kümmern, die ihn nichts angingen.“ Die Frau blieb verschwunden, die Polizei erfuhr nichts.

Es wirkt wie ein Abenteuerroman, wenn Stevens erzählt. Dabei war es gar nicht vorgesehen, dass er sich mal mit Schiffsmorden befassen sollte. Aber dann kam er durch Zufall auf Key West mit einem Herrn ins Gespräch, der ihm später einen Brief schrieb. Der Mann, dessen bessere Hälfte ihn vor versammelter Crew im volltrunkenen Zustand lächerlich gemacht hatte, erzählte detailliert, „wie er seine Ehefrau von Bord eines Kreuzfahrtschiffes ins Meer geworfen hat. Er ist nie überführt worden. Im Gegenteil. Er bekam eine Million Dollar von der Reederei, damit er den Fall nicht öffentlich macht.“

Schwierige Rechtslage auf Kreuzfahrtschiffen

Das gibt es auf keinem Schiff, hat sich Stevens erst gedacht. Doch kam nach Recherchen zu dem Ergebnis: „Die Geschichte des Mannes deckte sich mit den etwa 100 anderen Geschichten von Leuten, die in den letzten 15 Jahren spurlos verschwunden sind.“ Die meisten Reedereien hätten ein hohes Interesse an Geheimhaltung.

Bei seinen Nachforschungen stützt sich der Jurist auf Aussagen von Hinterbliebenen und deren Anwälten, die berichteten, dass das Prozedere bei so fast allen Reedereien ähnlich abläuft: „Wird eine Person als vermisst gemeldet, dringen so wenig Informationen wie möglich nach außen, alles wird auf ganz kleiner Flamme gekocht.“

Deutsche Ermittler müssen nicht an Bord

Jede Durchsage wäre ein Angriff auf die gute Stimmung an Bord. Dass selten Suchtrupps eingesetzt würden, liege auch daran: „Die Chance, einen Sturz vom Kreuzfahrtschiff aus einer Höhe von zwanzig bis sechzig Metern zu überleben, ist verschwindend gering.“

Aber wo bleibt die Polizei? „Viele dieser Schiffe sind ja nicht unter deutscher Flagge unterwegs. Sie sind in Ländern registriert, die es mit allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht so genau nehmen“, so Stevens. Schon gar nicht seien sie verpflichtet, deutsche Ermittler an Bord zu lassen.

Muss man jetzt Angst haben? Darauf hat ein Anwalt naturgemäß keine Antwort. Er will ja nur aufklären, sagt er.