Berlin. Die Siedlung Alwine in Brandenburg wird komplett versteigert. 15 Einwohner leben dort. Jahrelang interessierte sich niemand für sie.

Noch nicht einmal seinen alten Mercedes konnte Paulchen behalten. Den musste er abwracken lassen, erzählt er. „War ein Diesel, so was wollen die da oben ja nicht mehr.“ Eine Umrüstung für 4000 Euro oder einen Neuen hat er sich nicht leisten können, klar. Aber immerhin bleibt Paul Urbanek, den alle in der Siedlung Alwine Paulchen nennen, nur noch ein Benz: Daimler-Benz, sein schwarzer Mischlingshund.

Der 71-Jährige zeigt auf das Haus mit der Nummer 104. Ein Zweigeschosser aus Spritzbeton mit speckigen Fensterscheiben, vom Rahmen bröckelt die Farbe. Mit Daimler-Benz dreht er seine Runden durch die Siedlung, sie laufen Stunden durch die dunklen Niederlausitzer Wälder.

Bringen die Tage rum. Und vielleicht sagt das bereits, wie trostlos die Siedlung Alwine im Süden Brandenburgs ist. An diesem Samstag soll all das hier versteigert werden: 16.000 Quadratmeter Waldlichtung, ein halbes Dutzend bröselnder, schimmeliger Häuser, die die Eigentümer, zwei Brüder aus Berlin, 2001 von der Treuhand gekauft haben und seitdem vergammeln ließen. Dann übernahm ein Bankhaus, schließlich das Auktionshaus. Von der Auktion erfuhren die Bewohner durch ein Schild, das plötzlich am Ortseingang stand.

Mindestgebot liegt bei 125.000 Euro

Neben Paulchen leben hier 14 weitere Mieter. Mit ihnen kommt eine ganze Siedlung unter dem Hammer. Eine „Siedlung mit Dorfcharakter“, wie es in der Beschreibung des Berliner Auktionators heißt. Alwine, Gemeinde Uebigau-Wahrenbrück, Land Brandenburg. Mindestgebot: 125.000 Euro. Wie ist es dazu gekommen? Die neuere Geschichte von Alwine offenbart auf den ersten Blick die drei klassischen Ost-Probleme: Deindustralisierung, Abwanderung, Überalterung. Seit der Wende hat die Gemeinde Uebigau-Wah­renbrück Tausende Einwohner verloren.

Vor der Wende war Leben in der Siedlung, immerhin 50 Einwohner gab es damals. Die Arbeiter liefen zu Fuß in die nahe Brikettfabrik „Luise“, zehn Minuten auf dem sandigen Waldweg. Es war Europas älteste Brikettfabrik, 1992 wurde sie dichtgemacht. Die Zeit, als in den Zechen der Gegend noch Millionen Tonnen Braunkohle geschürft wurden, sind lang vorbei. Heute braucht man ein Auto, um dorthin zu gelangen, wo es Arbeit gibt. Der Bäcker kommt in Alwine montags und freitags vorbeigefahren, etwas öfter die Post. Strukturwandel nennt man das, worunter die Region leidet.

Gemeindeverwaltung will mögliche Investoren beobachten

Das sei allerdings keine Besonderheit der Lausitz, dass verfallende Siedlungen versteigert werden, versucht Andreas Claus (54) parteiloser Bürgermeister der Gemeinde, zu erklären. Solche Auktionen gebe es auch in anderen strukturschwachen Regionen wie im Saarland oder im Ruhrgebiet. Sucht man aber nach bisher versteigerten deutschen Dörfern, findet man nur den Ort Liebon – nur etwa 80 Kilometer von Alwine entfernt.

Dass die Mieter ausziehen müssen, sei der schlimmste anzunehmende Fall, erklärt Bürgermeister Claus. Seine Gemeindeverwaltung werde genau beobachten, was ein möglicher Investor vorhabe. Er hoffe, dass jemand Interesse habe, Alwine zu entwickeln. 40 Anfragen gab es vor der Auktion. Was will jemand mit Häusern, die zum Teil von Grund auf erneuert werden müssen? Paulchen, Daimler-Benz und die 14 anderen Alwiner wollen abwarten, was passiert. Was bleibt ihnen anderes übrig hier draußen, fragen sie. „Sollen sie doch kommen“, knurrt Paulchen.