Düsseldorf. In Düsseldorf hat sieben Jahre nach der Loveparade-Katastrophe in Duisburg der Strafprozess begonnen. Es wird ein Mammutverfahren.

Unter acht Menschen sei sie begraben gewesen. Wäre sie nur zwei Minuten später befreit worden – man hätte nichts mehr für sie tun können, sagten ihr die Ärzte später. Rebecca Doll wurde bei der Loveparade 2010 in Duisburg schwer verletzt. Am Freitag ist die 34-Jährige aus Hamburg gekommen, um beim Auftakt des Loveparade-Strafprozesses dabei zu sein. Sie ist eine der ersten, die sich am Freitagmorgen vor dem Kongressgebäude in Düsseldorf angestellt haben, um rechtzeitig hineinzukommen. „Wir wollen Gerechtigkeit für die 21 Toten“, sagt sie.

So sehnlich und sogleich voller Furcht war dieser Tag erwartet worden. Bei vielen war die Furcht am Ende zu groß: Viele Nebenkläger sind nicht erschienen, Eltern eines getöteten Mädchens aus Gelsenkirchen haben ihre Klage auf den letzten Metern noch zurückgezogen. „Emotionale Gründe”, heißt es. Ihre Plätze bleiben ebenso leer wie die meisten im Zuschauerraum. 200 Stühle stehen hier, allenfalls 45 sind besetzt.

Ein Familientreffen – nur ohne ihre Kinder

Insgesamt 500 Personen fasst der Saal auf dem Messegelände, der an den Verhandlungstagen nun eine Außenstelle des Landgerichts Duisburg ist. Kein Saal im Duisburger Landgericht war groß genug, die vielen Anwälte und Nebenkläger aufzunehmen: Für die zehn Angeklagten setzen sich 32 Verteidiger ein, weitere 38 Anwälte vertreten die 65 Nebenkläger. Hinzu kommen drei Staatsanwälte und die 6. Große Strafkammer mit mehreren Ergänzungsrichtern und Ergänzungsschöffen, falls jemand ausfällt. Manche Hinterbliebene sind auch nur gekommen, weil dies auch ein Familientreffen ist – nur ohne ihre Kinder.

Was seit der Loveparade-Tragödie geschah

weitere Videos

    Die Eltern Zapater sind aus Spanien angereist, mit einem bunten Button mit dem lachenden Gesicht ihrer Tochter Clara an der Brust. Mutter und Schwester der Italienerin Giulia sind da, die van Helsdingens aus den Niederlanden, die ihren Sohn Jan-Willem verloren. Sie umarmen sich, es wird gelacht. Später sitzen sie reglos, als der Ankläger die Namen ihrer toten Lieben vorträgt. „Eigentlich bin ich nur da“, sagt eine Mutter, „weil alle anderen auch da sind. Zu wissen, es geht hier los, und ich hocke zu Hause, das hätte ich auch nicht ausgehalten.“

    Auf Intensivstation mit Lungenquetschungen aufgewacht

    Im Gespräch mit anderen berichtet Rebecca Doll von ihren Erlebnissen am Unglückstag, jenem 24. Juli 2010, an dem 21 Menschen erdrückt und viele Hundert verletzt wurden in einem unfassbaren Gedränge am Fuß einer Rampe, dem einzigen Zu- und Abgang zum Loveparade-Gelände. Doll erzählt, wie sie und ihr Mann am Morgen aus Hamburg gekommen waren und sich auf die Party gefreut haben. Wie eng es schon an einem Kontrollpunkt zuging, noch vor dem Tunnel und sie schon dort am liebsten wieder umgekehrt wären.

    Wie sie schließlich an der Rampe ankamen und ihr Mann sie im Geschiebe noch beschützt habe, bis sie schließlich ohnmächtig wurde. Als sie wieder aufwacht, liegt sie auf der Intensivstation mit Lungen- und Beckenquetschungen. Der Prozessbeginn um 10.15 Uhr ist unspektakulär, die ersten Stunden sind zäh. Der Richter muss die Anwesenheit der Dutzenden Beteiligten feststellen. Dann kommen schon die Verteidiger mit den ersten Anträgen. Auf Befangenheit von zwei Ergänzungsschöffen etwa.

    Loveparade: Wie eine Antragsflut den Prozessauftakt ausbremst

    weitere Videos

      Bis Ende 2018 sind 110 Verhandlungstage geplant

      Laut Anklage wirft die Staatsanwaltschaft vier leitenden Mitarbeitern des Veranstalters Lopavent und sechs der Stadt Duisburg fahrlässige Tötung und fahrlässige Körperverletzung vor. Die Lopavent-Angestellten sollen ein ungeeignetes Zu- und Abgangssystem geplant haben. Vor allem die Rampe, die auf das Partygelände führte, soll zu eng gewesen sein, um die vorhergesagten Besucherströme aufnehmen zu können. Oberstaatsanwalt Uwe Mühlhoff erhebt schwere Vorwürfe „Die Veranstaltung hätte in der Form nicht genehmigt werden dürfen.“

      Am Nachmittag bezeichnet Rebecca Doll den Verlauf der Verhandlung als „enttäuschend“. Hinter den Anträgen der Verteidigung sieht sie eine „Verzögerungstaktik“. „Uns rennt die Zeit davon“, sagt sie und meint die Ende Juli 2020 eintretende Verjährung. Bis Ende 2018 hat das Gericht bereits 110 weitere Verhandlungstage angesetzt. Am Mittwoch geht es weiter. (mit dpa)